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Interview Alban Gerhardt

„Die meisten Musiker überschätzen sich“

Selbstkritik ist nicht jedes Künstlers Sache. Doch Alban Gerhardt spart nicht mit Wertungen – sich selbst wie anderen gegenüber

vonKlemens Hippel,

Alban Gerhardt ist nicht nur einer der besten Cellisten unserer Tage: Der Berliner ist auch einer, der offen und ehrlich seine Meinung sagt. Etwa, dass man „bei zweitklassigen Komponisten manchmal ein bisschen nachhelfen“ müsse. Und dazu stehe er auch, erklärt der mehrfach Echo Klassik-Preisträger bei unserem Interview in seiner Wohnung in Nikolassee. „Andere Interpreten helfen erstklassigen Komponisten nach und ignorieren die Tempoangaben eines Genies wie Robert Schumann, der sich meines Erachtens schon etwas dabei gedacht haben wird, wenn er Tempo 130 vorschreibt – Tempo 85 ist dann schon ein krasser Eingriff, oder?“ Ein Gespräch ohne Blatt vorm Mund.

Herr Gerhardt, Ihr Facebook-Account meldete gerade, Sie hätten einen 10-km-Lauf in einer Stunde absolviert …

Das ist diese Runtastic-App. Das mache ich mit meiner Frau um die Wette, weil wir beide ein bisschen faul sind. Aber ich dachte eigentlich, das können nur meine Freunde sehen. Nicht? So war das eigentlich nicht gedacht … Aber ich finde es gar nicht schlecht, wenn die Leute erfahren, was man alles machen muss als Musiker. Wenn ich nur sitze und Cello spiele, werde ich diesen Beruf nicht lange ausüben können. Man braucht einen Ausgleich.

Wieviel darf das Publikum denn über Sie wissen?

Alles, was mir nicht peinlich ist. –und so viel gibt es gar nicht, was mir peinlich ist.  Deshalb habe ich ja damals angefangen, meinen Blog zu schreiben. Ich glaube, wir müssen uns aus dem Elfenbeinturm herausbewegen. Man muss heute mehr zu bieten haben, als nur schön spielen zu können – so ist nun mal die Entwicklung. Ich kenne genug Leute, die sensationell spielen, aber nicht mehr viel zu tun haben: Das kann man gut oder schlecht finden, aber so ist das. Ein Sokolov – jemand, der gar nichts um sich her macht – würde heute nicht mehr groß rauskommen. Leider. Und die Frauen müssen sich besonders reinhängen, weil da auch noch das Aussehen so eine große Rolle spielt.

Gibt es Rückmeldungen von den Fans über Ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken?

Nach dem Konzert höre ich oft, dass die Leute die Blogs toll finden, weil sie da hinter die Kulissen schauen können. Obwohl das eigentlich nur so eine Art sporadisches Tagebuch ist. Und das ist in letzter Zeit sehr viel weniger geworden, da ich gerade privat viel zu glücklich bin – bin ich hingegen nicht mit Frau und Kind zusammen, dann bin ich viel produktiver in den sozialen Medien.

Woran kann das Publikum einen guten Cellisten erkennen?

Es gibt sehr viele gute Cellisten, vielleicht noch mehr als bei den Geigern und Pianisten, weil das Cello nicht ganz so schwer zu bändigen ist wie eine Geige. Das Klavier ist zwar schneller zu beherrschen, aber die Stücke sind viel schwerer. Wenn man indes als Cellist fit ist, kann man das Repertoire einfach abrufen – ein Pianist muss da viel mehr für tun. Das gute Cellospielen ist also relativ schnell erreicht, aber was einen Cellisten für mich interessant macht, ist ein eigener Ansatz.

Wie kann der aussehen?

Ich hörte kürzlich jemanden in einem Meisterkurs, der war nicht unbedingt ein überragender Cellist, aber sehr interessant. Er hat Britten gespielt: völlig anders als ich dachte, wie man das spielen soll, aber vollkommen überzeugend. Das war so einer von hundert, der wirklich was zu sagen hatte. Ich würde das von allen jungen Musikern erwarten.

Sie könnten es ihnen ja auch vermitteln, doch über die Meisterkurse hinaus unterrichten Sie nicht.

Ich habe die Energie nicht. Du musst für die Studenten gleichzeitig Vater, Lehrer, Psychologe und Karriereberater sein: Das schaffe ich neben meiner Familie gar nicht. Heinrich Schiff etwa hat fantastisch beides gemacht, unterrichten und spielen – aber der hat keine Familie. Davon abgesehen kann ich nicht gut Musik unterrichten: Wenn mir jemand etwas anbietet, kann ich mit ihm arbeiten, aber wenn jemand die Musik nicht bringt? Inspiration zu vermitteln, ist sehr schwer: Vorspielen geht ja nicht, dann spielen die alle wie du.

Statt Unterricht widmen Sie sich derzeit sehr viel der Kammermusik – eine neue Liebe?

Ich bin aktiver geworden und habe nicht nur genommen, was angeboten wurde, sondern mir selbst Gedanken gemacht. Kammermusik gemeinsam mit einem Komponisten zu machen, finde ich zum Beispiel sehr spannend: Das muss keine Uraufführung sein – ich finde sowieso, es gibt zu viele Uraufführungen im Vergleich zu dem Repertoire der letzten 30, 40 Jahre, das regelmäßig gespielt wird. Als ich das Pintscher-Konzert gespielt habe, hat mich ein Journalist doch gefragt, was das für ein Gefühl sei, ein Stück zu spielen, das nicht für mich geschrieben ist. Wenn ein Stück gut ist, spiele ich es – und ich tue so, als ob es für mich geschrieben wäre. Das ist doch die einzige Rechtfertigung, die wir haben: etwas Eigenes daraus zu machen. Deswegen ist das Gerede von Referenzaufnahmen so dumm – das ist genau das, was nicht sein soll: Man braucht eine eigene Aussage.

Und nach welchen Kriterien suchen Sie neue Musik aus?

Nach der Spielbarkeit und ob es Lust macht, sich damit zu befassen: Dauert es hunderte von Stunden, etwas zu lernen, verzichte ich vielleicht lieber auf das Konzert. Aber das ist eine gute Frage, denn es ist eigentlich unmöglich zu sehen, ob ein Stück gut ist, bevor man es lernt. Das Konzert, das Unsuk Chin für mich geschrieben hat, kam gut an und ich fand es toll. Ob ich es jedoch bei einem völligen Misserfolg weiterhin geliebt hätte, kann ich natürlich nicht sagen – und ob es unsterblich wird, lässt sich ohnehin erst nach Jahrzehnten feststellen.

Nun spielen Sie diese modernen, aber auch andere Werke sowohl in den großen Häusern als auch in der Provinz – was zieht Sie in letztere?

Das liegt am Instrument. Top-Geiger spielen nur mit Top-Orchestern, aber Cellisten müssen auch andere Orte bedienen, weil wir nicht so viel gebraucht werden – und ich finde das auch gar nicht schlecht. Jüngst habe ich ein Solo-Recital in Ulm gespielt: Das ist natürlich Provinz, aber die haben so toll zugehört, da spiele ich gerne wieder. In der Carnegie Hall wird oft nicht so konzentriert gelauscht, schon gar nicht bei einem Cello-Solo-Recital.

Stichwort Konzentration: Es heißt, Sie würden mit Ohrstöpseln üben …

… ich spiele auch im Konzert mit Ohrstöpseln – alles. Das führt zu einer unglaublichen Konzentration, der Fokus ist weg von mir, ich bin mehr in der Musik und auch weniger nervös. Und rein technisch höre ich viel genauer, was um mich herum passiert: Mein Klang ist halbiert und ich höre mehr vom Orchester. Außerdem bin ich unabhängig von der Qualität der Halle.

Wie meinen Sie das?

Es gibt drei Sorten von Hallen: Manche klingen überall toll – da könnte ich auch ohne Ohrstöpsel spielen. Die meisten Hallen klingen von der Bühne aus ganz schlecht und im Publikum gut; doch unter dem schlechten Eindruck des Klangs auf der Bühne fängt man an, zu sehr zu drücken. Und in manchen Hallen klingen wir dort, wo wir sitzen, wie Gott – und dann arbeitest Du nicht hart genug.

Und wie ist das klangliche Ergebnis mit Ohrstöpseln?

Es klingt extrem trocken und sehr nackt. Beim ersten Mal habe ich mich furchtbar gefühlt, aber als ich dann den Mitschnitt gehört habe, war es viel besser, als ich dachte. Es war vor allem musikalischer, als ich sonst gespielt habe: Der Klang war für mich so unbefriedigend, dass ich gezwungen war, musikalisch mehr zu machen – man ergötzt sich nicht so sehr am eigenen Klang.

Ist das so eine große Gefahr, sich selbst zu gefallen?

Ich denke, wir alle halten uns für bessere Musiker, als wir eigentlich sind – sonst könnten wir uns gar nicht da draußen hinstellen. Ich kenne ganz wenige, die sich für etwas schlechter halten, als sie sind: Die meisten überschätzen sich – mich auf jeden Fall eingeschlossen. Aber das zu wissen, ist schon mal nicht schlecht.

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