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Opern-Kritik: Opernfestspiele Heidenheim – Macbeth

Sommernachts-Schlachthaus

(Heidenheim, 3.7.2015) Festivalintendant Marcus Bosch wagt viel und gewinnt haushoch

vonPeter Krause,

Die letzten Meter hinauf zur Rittersaal-Ruine muss man gehen, oder viel besser: emporschreiten, ja pilgern. Durch den stimmungsvollen Hofplatz vorbei am Renaissance-Schloss, um schließlich einzutreten in die imposanten Mauerreste der Burg Hellenstein. Von ihr stehen gerade noch so viele Seitenwände, dass die Sänger bestens zu verstehen sind. Und der gestirnte Sommerhimmel, an dem noch ein Segelflieger seine Bahnen zieht, spielt gnädig mit – das befürchtete Gewitter hat musengnädig einen Bogen um den Schlossberg von Heidenheim gemacht.

Festival folgt Fußball: Deutlicher Drang nach oben

Hier finden bereits zum 51. Mal sommerliche Festspiele Heidenheim statt. Seit Marcus Bosch als Intendant hier die Geschicke lenkt, sind sie freilich vom Lokalereignis mit rasanter Bestimmtheit in die zweite Liga der Opernfestivals aufgestiegen. Heidenheims Fußballmannschaft lässt grüßen. Natürlich bestimmen die Bayreuther Festspiele auch ohne nennenswerte künstlerische Nachrichten derzeit und Wochen vor irher Eröffnung die Feuilleton-Schlagzeilen. Doch was sich auf diesem anderen Grünen Hügel in Operndingen tut, ist mehr als bemerkenswert.

Da paart sich auf enorm sympathische Weise höchste Professionalität mit einem festival-familiären Do-it-Yourself-Geist: Das Authentische, nicht das Gewollte, hier wird’s Ereignis. Da gibt es einen dirigierenden Intendanten zum Anfassen, der nicht nur exzellenter Maestro, sondern auch kluger Netzwerker und echter Kümmerer ist, wenn er mit seinem Team, vom Publikum gänzlich unbemerkt, in der Pause noch schnell das defekte Lichtpult tauschen muss. Da gibt es einen Bürgermeister und einen Kulturamtsleiter, die derart für die Kultur brennen, dass sie den städtischen Zuschuss substanziell erhöht haben. Und da gibt es in diesem Jahr eine Sängerbesetzung, die deutlich macht: An der Brenz strebt Bosch jetzt in die erste Liga!

Stimmungsstarker Open-Air-Ort der Oper

Dabei haben es seine Sänger dort eigentlich schwer. Denn kein hölzerner, geschweige denn ein amphitheatralischer Resonanzraum macht die Stimmen hier groß. Der Klang in einem der stimmungsstärksten Open-Air-Orte der Oper nördlich der Alpen ist naturgemäß offen, lässt den Gesang gleichsam nackt erscheinen. Man hört die Solisten so, wie sie wirklich sind. Marcus Bosch muss also zwingend sehr gute Sänger nach Heidenheim einladen. Und das tut der glückvolle Nürnberger GMD und nebenberufliche Intendant in seiner Heimatstadt dann auch. Da auf dem Programm Verdis bluttriefender Macbeth steht, sind die Anforderungen sogar extrem hoch.

Gefragt ist ein dramatischer Sopran mit bombiger Ausstrahlung, viel Bruststimmen-Bosheit und dennoch belcanto-agiler Höhe. Dazu ein Heldenbariton mit extra prägnantem Charakterisierungsvermögen für die psychologisch dichten Duette und Rezitative und doch auch viel Legato-Sinn für eine der schönsten Verdi-Arie überhaupt: „Pietà, rispetto, amore“. Ja, und eine Choroper ist Macbeth auch noch: „Patria oppressa!“ ist schließlich eine der stärksten Chor-Nummern, die Verdi je ersonnen hat, mit ihrem gänsehautevozierend implodierendem Pianissimo sogar dem gedankenfliegenden Patriotismus aus Nabucco noch weit überlegen.

„Patria oppressa“: Bestürzendes Schock-Bild

Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn nun macht eben diesen Auftritt zum berührendsten des Abends: In feinster Intonation und Homogenität bieten die Sängerinnen und Sänger wahre Lehrminuten des substanzsatten Leisesingens. Im Liegen übrigens. Macbeth singt zuvor seine hasserfüllten Tiraden und schießt auf die fliehende Menschenmenge. Regisseur Hermann Schneider fokussiert die Szene zu einem bestürzenden Schock-Bild mit einigem Gegenwartsbezug: Flüchtlinge in Regen-Capes (oder sind es gar Leichensäcke?) liegen auf der ganzen Bühnenbreite und singen ihre kollektive Anklage gegen die Tyrannei.

Festspielwürdiges Ensemble

Melba Ramos und Antonio Yang, das mörderische Paar, machen den nicht zuletzt auch selbstzerstörerischen Zerfallsprozess ihrer Shakespeare-Figuren grandios deutlich. Imposant, wie die schwarze Lady von Melba Ramos noch lange die strenge Fasson ihres Ehrgeizes aufrecht erhält. Erschütternd, wie der koreanische Macbeth des Antonio Yang stufenweise dem Wahnsinn anheimfällt. Ramos ist dazu stimmlich eine Intensitätswucht, der es nur in Verdis wenigen verzierten Phrasen an Präzision mangelt. Yang setzt seinen Prachtbariton zunächst in klug projizierter, mit seinem Understatement in gleichsam lauernder Schlankheit ein, um sich dann immer weiter hineinzugraben in den Wahn des königsmordenden Usurpators und seine große Arie mit einem fulminanten Crescendo zu krönen. Woong-ji Choi basswuchtiger Banco und Felipe Rojas Velozo als Last Minute-Macduff-Einspringer mit überströmendem Tenorschmelz vervollständigen ein festspielwürdiges Ensemble.

So soll Verdi klingen: Marcus Bosch zaubert einen fein akzentuierten, detailgenauen und dramatisch pulsierenden Verdi-Klang

Marcus Bosch zaubert dazu mit den Stuttgarter Philharmonikern einen fein akzentuierten, detailgenauen, zumal in den imaginativ sprechenden Holzbläser-Soli auch herrlich phrasierten Verdiklang, der gleichwohl von einem aufwühlenden dramatischen Pulsieren getragen ist. Hermann Schneiders starke, in den symbolisch aufgeladenen Lichtstimmungen nach dem Sonnenuntergang auch sehr dichte Bildfindungen haben im Ganzen hohe Suggestionskraft: Der Nürnberger Ring-Ausstatter Stefan Brandtmayr hat ihm dazu eine mit Wachturm und dunklem Sand bestückte bedrückende Lager-Atmosphäre geschaffen – ein unwirtlich bedrohlicher Un-Ort, in dem allerhand tiefschwarze Grufties ihr Unwesen treiben – die Hexen gar als mit Batman-Masken verhübschten Bad-Women.

Regie entfesselt die degenerativ destruktiven Energie der Figuren

Aktivposten der Regie in diesem entschiedenen Setting ist das genaue Nachspüren der degenerativ destruktiven Energie der Figuren. Zu bloßen Zitaten einer in die Jahre gekommenen „modernen“ aktualitätsheischenden Regie sind indes manche von deren längst obsoleten Versatzstücken: Oder bereitet das Ballern mit Maschinengewehren noch irgendeinen Erkenntnis fördernden Mehrwert? Kreative Dialektik bietet der Abend dennoch genug. Und dazu die erstaunliche Einsicht: Ein Shakespeare-Schlachthaus mit Verdis düster grandioser Musik taugt sehr wohl zum Sommernachtstraum auf der Schwäbischen Alb.

Opernfestspiele Heidenheim

Verdi: Macbeth

Ausführende: Marcus Bosch (Leitung), Hermann Schneider (Inszenierung), Stefan Brandtmayr (Bühne), Cornelia Kraske (Kostüme), Antonio Yang, Melba Ramos, Woong-ji Choi, Felipe Rojas Velozo, Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn, Stuttgarter Philharmoniker

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