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FESTIVALGUIDE – Samos Young Artists Festival 2016

Auf Pythagoras‘ Spuren

Inmitten der Flüchtlingsströme sucht das Samos Young Artists Festival den Brückenschlag zwischen den Genres und Kulturen

vonChristoph Forsthoff,

Sterne. Wohin die Augen der Konzertbesucher im Amphitheater von Pythagorion auch schauen: Abermillionen glitzernder Punkte überziehen den Nachthimmel über der Ägäis. Darunter wiegen sich im warmen Nordwind Zypressen und Zedern, Pinien, Ölbäume. Während sich der Blick in der Dunkelheit des Mittelmeeres verliert, wehen von unten die zarten Töne der späten Schubert-Sonate D 959 herauf. Auf einem Podium, das im Halbrund auf den Ruinen des im 4. Jahrhundert vor Christus erbauten Theaters errichtet wurde, sitzt Herbert Schuch am Flügel. Sein Rezital ist eines der Konzerte des von Chiona Xanthapoulou-Schwarz initiierten Samos Young Artists Festivals, das Klassik mit Jazz und Weltmusik verbindet.

Wenn Musiker zu Flüchtlingshelfern werden

Das Boot kam in der Frühe. Fast 50 Menschen hätten im Schlauchboot gesessen, erzählt Strandwächter Alexis. Nun liegt das schwarze Gummiboot verlassen am Strand von Pythagorion – keine 30 Meter entfernt von den Sonnenschirmen und Liegen, auf denen Touristen ihren Urlaub genießen. Und ist doch nur eines von Hunderten, die hier seit dem letzten Jahr angelandet sind: Bis zu 500 Flüchtlinge kommen täglich auf Samos an – dabei leben auf der Sonneninsel selbst gerade einmal 33 000 Menschen. Unmöglich für die Insulaner, diese Flüchtlingsströme allein zu bewältigen – doch Europa ist fern, nicht nur auf Samos sehen sich die Griechen weitgehend allein den Flüchtlingsströmen gegenüber.

Manche der deutschen Festival-Musiker handelten da letzten Sommer pragmatisch, funktionierten ihr Leihauto zum Lieferwagen um: „Das sind Bilder, die man nicht wieder vergisst – wie das der verzweifelten jungen Mutter mit ihrem apathischen Säugling und seinem verranzten Schnuller“, erzählt Pianistin Silke Avenhaus, die mit ihrer Freundin und den Töchtern für die Flüchtlinge Wasser und Lebensmittel im deutschen Discountmarkt einkaufte. Stundenlang stehen die Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Somalia vorm Gebäude der Hafenbehörde und warten, dass sie registriert werden, um auf eine der Fähren zu kommen,die sie nach Athen bringen – vielleicht in eine bessere Zukunft. „Es ist ein Gefühl der Ohnmacht“, beschreibt Armin Steuernagel die eigene Hilflosigkeit. Dennoch hat der Berliner gemeinsam mit Schwarz-Tochter Paula für die Ankömmlinge die Webseite first-contact.org gestaltet, um ihnen erste Hilfe in Sachen Bürokratie zu bieten.

Kulturelle Wurzeln als Rettungsanker in der Not

Flüchtlinge waren auf der Insel immer ein Thema, ja der berühmteste Samonite war selber einer von ihnen: Pythagoras, der hier seine Ideen zur Musik und Mathematik entwickelte, wurde einst vom Tyrannen Polykrates ins Exil verbannt, später verliehen die Römer dem Hera-Tempel auf Samos das Privileg einer Asylstätte für jedermann. Doch vor allem die Jugend von heute habe längst den Glauben an die eigenen Politiker verloren, sagt der junge Samonite Vassilis Pristouris; auch dem Premier Alexis Tsipras traue die junge Generation keine Lösung der griechischen Krise zu. Und doch mag der 27-Jährige die Hoffnung nicht aufgeben: „Es muss ein Umdenken stattfinden – wir müssen neue Wege finden.“ Vielleicht ja nicht zuletzt in und mit der Rückbesinnung auf die gemeinsamen kulturellen Wurzeln, wie Akkordeonist Andreas Hinterseher glaubt, der mit Quadro Nuevo vergangenen Sommer zum Festival eingeladen war: „Wenn die Zeiten schwieriger und schlechter werden, wird die Kultur für uns Menschen immer wichtiger.“

Die Festivaldaten im Überblick:

Zeitraum: 7. – 13.8.2016

Ort: Amphitheater Samos 

Künstler: Alexej Gerassimez, Martin Klett, Sebastian Manz, Guy Mintus, Tai Murray, Diego Imbert u. a.

Was es im Bereich Festival außerhalb von Samos zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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