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Interview Anna Prohaska

„Die zwei Züge werden mich schon nicht umbringen“

Anna Prohaska liebt es, in neue Rollen zu schlüpfen – dafür greift die Sopranistin sogar einmal zu Zigarette

vonJakob Buhre,

Im „Zimt & Zucker“ ist es viel zu laut. Das beliebte Kaffeehaus in Berlin-Mitte ist bis auf den letzten Platz besetzt,  und angesichts des Geräuschpegels macht sich Anna Prohaska zu Beginn des Interviews Sorgen um die eigene Stimme. Doch ihre Freude an Konversation gewinnt rasch die Oberhand – und die Gedanken der erfolgreichen Sopranistin sind dabei so frisch und klar wie ihre Koloraturen.

Frau Prohaska, neben Ihren Opernengagements sind Sie derzeit auch mit der Akademie für Alte Musik und dem Ensemble Il Giardinio Armonico erleben. Haben Sie Ihr Faible für Alte Musik entdeckt?

Dieses Faible habe ich eigentlich schon mein ganzes Leben. Ich bin mit Komponisten wie Purcell, Bach, Pergolesi und Händel aufgewachsen, diese Musik haben wir zuhause gehört, es wurde auch viel über die historische Aufführungspraxis diskutiert. Und wenn es da hieß „Aber Harnoncourt hat gesagt …“, war das immer das Totschlagargument. Für mich als Sängerin ist es allerdings relativ schwer, in die Alte-Musik-Szene reinzukommen.

Warum das?

Da man sich in die meisten der Ensembles erst „hineinkämpfen“ muss. Viele sind auf ihre eigenen kleinen Inseln und Elfenbeintürme fixiert, für die spielt es keine Rolle, ob man anderweitig erfolgreich ist. Die wollen einen am liebsten selber entdecken.

Was vermuten Sie hinter dieser Abschottung?

Ich glaube, sie haben tendenziell Angst, dass jemand, der schon in der „Klassikmühle“ verarbeitet wurde, musikalisch nicht flexibel genug ist, nicht offen für ihre Ideen. Es ist auch die Sorge, dass jemand wie ich mit Primadonna-Allüren ankommt oder dass ich zu romantisch singe – dabei singe ich gerne ohne Vibrato. Auch in Mozart-Opern sage ich manchmal zu Kollegen: Hört aufeinander, singt mit weniger Vibrato, wenn da „sotto voce“ oder „piano“ steht. So können wir alle besser intonieren.

Geht Ihr Interesse an Alter Musik auch einher mit einem generellen Interesse für Historie?

Ja, ich beschäftige mich schon sehr lange mit Geschichte, auch mit Kunst- und Musikgeschichte. Ich finde, man kann die moderne Zeit auch gar nicht richtig verstehen, wenn man kein Geschichtsbewusstsein hat. Zum Beispiel den Balkankrieg kann man besser begreifen, wenn man weiß, was im 15. Jahrhundert los war. Im Moment suche ich ein Buch, das den Nahostkonflikt möglichst unparteiisch behandelt. Ich habe sowohl israelische als auch arabischstämmige Freunde, bin aber noch nicht genug informiert, was diesen Konflikt anbelangt.

Gehören auch Historienromane zu Ihrer Lektüre?

Ja, etwa die von Robert Harris: Ich liebe Pompeji, oder auch Fatherland, wo er sich ausmalt, was passiert wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte. Ich lese aber auch viele englischsprachige Sachbücher, von Christopher Clark oder Antony Beever. Die schreiben sehr unterhaltsam über Geschichte, während aus dem deutschsprachigen Raum eher etwas schwerfällige und trockene Geschichtsbücher kommen.

Alte Musik, Klassik, Moderne – Sie widmen sich allen Bereichen sehr intensiv. Ist es schwierig, immer in dieser Bandbreite aktiv zu sein?

Für mich ist es einfach wichtig, gute Musik zu machen. Denn es gibt so viel gute Musik, dass das Leben dafür zu kurz ist. Insofern möchte ich auf jeden Fall das Maximum machen, das mir möglich ist. Die Stimme hat aber nur eine gewisse Ausdauer, irgendwann ist man ausgebrannt, daher muss man es sich extrem gut einteilen und die Stimme nicht verschwenden.

Keine Zeit verschwenden mit schlechter Musik?

Ich meine nicht nur, dass man keine Lust hat, billig gestrickte Musik zu singen. Sondern man muss auch aufpassen, dass man nicht übertreibt, nicht nur hohe Sachen, nicht nur Koloraturen singt, sondern auch die Mittellage ausbaut, Liedgesang und Alte Musik pflegt, die Stimme ein wenig ölt und nicht nur in der Höhe herumquietscht. Denn die Anzahl der Spitzentöne, die man im Leben produzieren kann, ist endlich. Das ist wie eine Schale Erdnüsse: Irgendwann sind die alle aufgegessen. Ich kenne kaum 50- oder 60-jährige Koloratursoprane, die immer noch ihr hohes F oder E singen.

Der Berliner Klavierkabarettist Bodo Wartke beklagte jüngst, dass bei einer Oper wie der Zauberflöte das Libretto immer unangetastet bleibe – dabei sei der Text „total dämlich, schlecht gereimt, seichter Humor und redundant bis der Arzt kommt.“

Ich denke, da sollte sich Bodo Wartke einmal mit Schikaneder beschäftigen, mit der Entstehungszeit, der Tiefe und der politischen Brisanz dieses Stücks, wo es auch um Matriarchat versus Patriarchat geht. Es ist bei Schikaneder natürlich wie unter einem Deckmantel – so wie Stanisław Lem einen Science-Fiction-Roman über fremde Planeten schreibt, aber eigentlich das Regime meint, unter dem er leidet: Da muss man zwischen den Zeilen lesen. Doch selbst wenn man das Libretto nur oberflächlich betrachtet, so sind es doch sehr rührende Gestalten.

Sie haben also nicht das Gefühl, dass in der Oper nur dogmatisch an Traditionen festgehalten wird?

Heute kämpfen alle um ihre Brötchen. Jede ernstzunehmende Institution ist darum bemüht, neues Publikum anzuziehen – klassisches Beispiel sind die vielen Community- und Education-Projekte, die es gibt. Die Klassik sollte sich aber auch nicht zu sehr anbiedern, denn man darf von ihr nicht den gleichen Effekt erwarten wie von einem Lady-Gaga-Song: Das ist einfach etwas anderes. Es muss nicht immer Crossover sein, man muss nicht alles miteinander vermischen und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen. Sonst verliert die klassische Musik ihre Konturen, ihre Persönlichkeit und Botschaft.

Sie sind Nichtraucherin, doch in der Berliner Inszenierung von Strawinskys „Rake’s Progress“ rauchen Sie auf der Bühne. Kräuterzigaretten?

Nein, das waren echte Zigaretten.

Und das ist für Sie kein Problem?

Es kommt drauf an, in welchem Moment der Oper es sein soll – vor einer schweren Arie wäre das für mich nicht möglich. Doch bei dieser Inszenierung gehe ich nach der Szene noch mal ab, kann mir zwischendurch also die Zähne putzen und gurgeln. Ich wurde jetzt auch nicht vom Regisseur dazu gezwungen. Er hat es sich so gewünscht und ich dachte: Die zwei Züge werden mich schon nicht umbringen.

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