Blickwinkel: Gerald Mertens

„Worst-Case-Szenarien helfen jetzt nicht weiter“

concerti fragt Akteure aus der Branche: Wie kommt das Publikum zurück? Der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung Gerald Mertens darüber, wie die Konzertbranche gut durch den Winter kommt.

© Maren Strehlau

Gerald Mertens ist Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung

Gerald Mertens ist Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung

Die Festival-Saison neigt sich dem Ende, der normale Spielbetrieb geht los. Wie ist die Lage bei Abonnenten-Zahlen und Vorverkauf?

Gerald Mertens: In der Tat kann man an den Auslastungszahlen manch großer Sommerfestivals sehen, dass das Publikum zur klassischen Musik zurückgekehrt ist. Und auch die Zahlen für Abonnements sind nicht so schlecht, wie man es vermuten könnte: Die Tonhalle Düsseldorf ist mit ihren Abo-Zahlen auf Vor-Corona-Niveau angekommen, die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz konnte bei den Abonnentenzahlen ein Plus von 51% einfahren.

Ihnen wurde unterstellt, sie würden mit Jubelmeldungen den Ernst der Lage verkennen.

Mertens: Keinesfalls, aber ich bin auch kein Freund von Unkenrufen. Selbstverständlich stellt sich die Frage, wie sich diese positive Stimmung in den Herbst und Winter hineintragen lässt. Wir haben auch an vielen Opern- und Konzerthäusern eine gewisse Zurückhaltung bei Ticketbuchungen für die eben angelaufene Saison beobachtet. Nach zwei Corona-Wintern mit häufigen Konzert-Absagen und einem sich ständig verändernden Maßnahmen-Katalog für die Säle kaufen viele Menschen lieber Einzelkarten als wieder mit Gutscheinen vertröstet zu werden. Die Glaubwürdigkeit in das Abo zurückzugewinnen, ist jetzt die große Herausforderung. Diese Strategie zur Kundenbindung ist ja keinesfalls tot.

Wie beeinflusst die Energiekrise das Verhalten des Publikums und der Veranstalter?

Mertens: Das ist eine zusätzliche Hürde auf dem Weg zur „Vor-Corona-Normalität“, ganz klar. Und auch da rate ich zur Besonnenheit. Worst-Case-Szenarien helfen jetzt nicht weiter. Energieneutral zu arbeiten ist ein komplexes Thema, jedes Haus hat da andere Grundvoraussetzungen. Viele Häuser wissen jedoch überhaupt nichts oder nichts Genaues über ihren Verbrauch. Eine sorgfältige Energiebilanz aufzustellen, ist jetzt die große Chance. Dass Häuser geschlossen werden müssen, weil sie nicht mehr beheizt werden können, sehe ich nicht. Auch dass Menschen an der Kultur sparen werden, kann man mit Zahlen momentan nicht belegen. Kluge Großeltern erkennen den Wert einer gemeinsamen Vorstellung von „Hänsel und Gretel“ und verzichten lieber auf ein rein materielles Weihnachtsgeschenk.

Was sollten die Veranstalter jetzt tun?

Mertens: Mehr ins Marketing investieren! Klassikaffine Menschen – immerhin zehn bis zwanzig Prozent der Bewohner in Deutschland – müssen gezielt angesprochen werden. Man kann nicht dort weitermachen, wo man vor Corona aufgehört hat. Es bietet sich zum Beispiel ein Empfehlungsmarketing an, das im Internet schon lange Standard ist – etwa das System „Kunden werben Kunden“ nach der Devise „buy one, get one free“. Warum tun sich Konzertveranstalter damit so schwer? Da muss man zwar etwas Geld in die Hand nehmen, doch es wird sich auszahlen. Es ist außerdem sehr wichtig, in der Region präsent zu sein: in der Fußgängerzone, im Einkaufszentrum, in den Medien. Man muss persönliche Beziehungen schaffen, nahbar werden. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz hatte während der Corona-Zeit einen Stand auf dem Markt in Ludwigshafen mit Musikern und Mitarbeitenden. Damit hatte sie Erfolg. Und jetzt schon in Einschränkungen zu denken, wenn es um die Platzkapazitäten geht, mag dispositionell “sicher” sein, ist aber kein gutes Signal. Schachbrett ohne Not sollte keine Option sein.

Es wird eine für alle erfolgreiche und gewinnbringende Spielzeit, wenn …

Mertens: … sich die Veranstalter auf ihre inneren Werte besinnen und das Marketing dafür erheblich hochfahren.

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