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Interview Marek Janowski

„Eigentlich wollte ich nur noch ein wenig gastieren“

2019 wurde Marek Janowski mit achtzig Jahren zum zweiten Mal Chefdirigent der Dresdner Philharmonie – und musste wenige Monate später alle Pläne umwerfen.

vonEcki Ramón Weber,

Marek Janowskis erste Saison als neuer Chefdirigent der Dresdner Philharmonie wurde nach nur wenigen Monaten von der Corona-Pandemie ausgebremst. Ein Gespräch über Arbeiten im Ausnahmemodus und die weiteren Pläne in Dresden und anderswo.

Herr Janowski, wie haben Sie die Wochen des Lockdown verbracht?

Marek Janowski: Mein Naturell ist, die Dinge realistisch zu betrachten und dann zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Das Lamentieren darüber, dass wir nicht spielen können, nützt ja nichts. Es galt, Alternativen zu entwickeln.

Und zwar?

Janowski: Auf keinen Fall wollte ich eine Beschäftigungstherapie für das Orchester machen, indem man alles Mögliche für Kleinstbesetzungen bearbeitet. Ich empfinde das als nicht legitim. Wir haben uns stattdessen Repertoire ausgesucht, das für kleinere Besetzungen konzipiert ist: früher Mozart, Schubert, Beethoven und natürlich das sinfonische Werk von Haydn. Wir haben eine Programmidee entwickelt mit Haydns sechs Pariser Sinfonien und sie mit frühen Kammermusiken von Hindemith kombiniert. Das waren Gruppierungen bis zu zwanzig Musikern. Deutschlandfunk Kultur hat die Konzerte Mitte Juni live übertragen.

Das lief ohne Saalpublikum. In den anschließenden Konzerten vor Publikum haben Sie Orchester- und Kammermusik verbunden …

Marek Janowski
Marek Janowski

Janowski: Bei unseren Planungen für das Beethovenjahr wollten wir etwas Originelleres machen als alle Sinfonien zu bringen. Beethovens seltener gespielten Sinfonien Nr. 1, 2, 4 und 8 sollten deshalb jeweils zwischen zwei seiner Streichquartette stehen. Wir haben dafür das Quatuor Ébène gewonnen. Vor Corona gab es bereits ein Konzert mit der vierten Sinfonie. Im Juni haben wir dann das ­Quatuor Ébène wieder engagiert und Haydns Londoner Sinfonie Nr. 99 mit einem der Beethoven-Streichquartette kombiniert, vor 450 Besuchern im Saal. Wir werden versuchen, im Herbst wieder auf die geplante Form „Streichquartett – Sinfonie – Pause – Streichquartett“ zurückzukommen.

Konnten Sie überhaupt noch etwas vom Programm der ersten Spielzeit realisieren?

Janowski: Geplant war ein konzertanter „Fidelio“ mit einer bombastischen Sängerbesetzung, der als Live-Mitschnitt auf CD erscheinen sollte. Das fiel auch erst einmal aus. Wir haben aber dann im Juni mit der Unterstützung des Labels und mit den Sängern, die wir für das Konzert engagiert hatten, auf altmodische Art und Weise wie vor fünfzig Jahren Nummer für Nummer aufgenommen. Ohne Publikum.

Also Aufnahmen mit den entsprechenden Abstandregeln?

Janowski: Die Sänger standen weit auseinander oben auf der Orgel­empore. Bei „Fidelio“ brauchen Sie nicht so einen enormen Streicherapparat, deshalb verteilte sich das Orchester großzügig über die Bühne. Trompeten und Posaunen waren auf den Seitenemporen. Wir müssen jetzt nur noch die Passagen mit dem Leipziger Rundfunkchor nachproduzieren.

Sie waren ja von 2001 bis 2003 bereits Leiter der Dresdner Philharmonie. Wie kam es zur Entscheidung, noch einmal nach Dresden zu gehen?

Janowski: Bei den Verhandlungen damals wollte man mir Dresden schmackhaft machen, indem es hieß, man baue einen neuen Konzertsaal. Jeder wusste, dass der bisherige Saal im Kulturpalast – eine Mehrzweckhalle – akustisch stumpf, dumpf und unerfreulich war. Ich habe zugesagt und bald einen guten Kontakt zum Orchester entwickelt, aber mit dem Saal passierte nichts. Deshalb habe ich damals Dresden verlassen. Dem Orchester sagte ich aber: Solltet ihr jemals einen neuen Saal bekommen, komme ich gerne als Gast wieder. Ich habe dann 2017 mein Wort gehalten und zwei Konzerte nach der Eröffnung des neuen Saals dirigiert, Bruckner und Mahler. Dann kam die Anfrage, das Orchester noch einmal zu leiten. Ich wollte in meinem Alter eigentlich nur noch etwas gastieren, aber diese Anfrage und die Erfahrung in diesem Saal haben mich umgestimmt.

Was schätzen Sie so an diesem neuen Konzertsaal im Kulturpalast, der von Gerkan, Marg und Partner konzipiert und realisiert wurde?

Janowski: Er ist einer der geglücktesten Kon­zertsaalneubauten in Deutsch­land nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Akustik ist phänomenal. Sie hat eine klangliche Wärme und ermöglicht gleichzeitig, wenn man entsprechend mit dem Orchester arbeitet, eine große strukturelle Durchhörbarkeit. Mit knapp 1 800 Plätzen hat er genau die richtige Dimension. Bei größeren Sälen hört man sowieso auf manchen Rangplätzen nur das Blech. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Stadtväter in Dresden noch gar nicht richtig begriffen haben, was für ein Juwel sie besitzen.

Wie sieht nun die Planung für die nächste Saison aus, mit dem Jubiläum aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der Dresdner Philharmonie?

Marek Janowski dirigiert die Dresdner Philharmonie
Dirigent Marek Janowski am 11.06.2020 im Kulturpalast

Janowski: Es wird weiterhin auf Sicht gefahren: Wir haben vor den Ferien angesichts der Corona-Situation nur den Monat September programmiert – mehr nicht. Für die Saison 2020/21 und das Jubiläum muss man ganz neue Dinge entwickeln. Geplant waren ursprünglich drei verschiedene Programme mit dem Orchester während der Festwoche im November, Schumann, Strauss, Wagner, eine groß besetzte Uraufführung von Salvatore Sciarrino. Geht alles nicht mehr, wird teils verschoben. Der aktuelle Stand der Festlichkeiten ist, dass es zwei Konzerte in einer Woche werden. Das erste Programm: ein Mozart-Klavierkonzert und die Fünfte von Schubert. Und das zweite: die sowieso geplante Suite „Der Bürger als Edelmann“ von Strauss, vielleicht mit einer Beethoven- oder Dvořák-Sinfonie. Unter dem Vorbehalt, dass keine neue Infektionswelle kommt.

Und dann war ja noch ein konzertanter Ring des Nibelungen mit der Dresdner Philharmonie angesetzt …

Janowski: Er war für Herbst 2021 geplant. Das hat sich wegen Corona verschoben. Wir versuchen es jetzt im Herbst 2022.

In Ihrer Zeit als Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin haben Sie konzertante Aufführungen von Wagner-Opern in der Berliner Philharmonie etabliert, nicht zuletzt weil sie mit manchen Formen des Regietheaters an den Opernhäusern nicht einverstanden waren.

Janowski: Mit Auswüchsen des Regisseurtheaters! Als ich erleben musste, dass die Sänger mit den Aktionen, die sie auf der Bühne vollführen mussten, von sich aus überhaupt nicht für ein Zusammengehen mit dem Orchester garantieren konnten, habe ich mich von den Opernhäusern verabschiedet. Ich fand aber auch – und das ist jetzt das nicht-polemische Argument – dass es speziell bei Wagner für ein Publikum interessant sein könnte, in den Maschinenraum der Musik zu blicken. Das hat sehr gut funktioniert und das Orchester weitergebracht. Diese Wagner-Serie, in aller Bescheidenheit, ist für viele Zuhörer Kult geworden.

Nun wollte ja Wagner für sein Gesamtkunstwerk das unsichtbare Orchester.

Janowski: Wagner hätte mich wahrscheinlich verprügelt. Und trotzdem denke ich, Gesamtkunstwerk hin und her, das Fundamentale des Wagnerischen ist die Musik, das Orchester als Träger der Handlungsentwicklung durch die Leitmotivik. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass das Orchester die Sänger nicht zudeckt.

Sie sind 2016/17 ausnahmsweise an ein Opernhaus zurückgekehrt, haben bei den Bayreuther Festspielen dirigiert. Können Sie sich weitere solcher Ausflüge vorstellen?

Janowski: In den 1980er-Jahren gastierte ich mehrmals an der New Yorker Met. Ich habe es dann gelassen, weil man dort immer gleich für sechs Wochen festsaß, alle drei, vier Tage war eine Aufführung. Jetzt, als alter Mann, genieße ich solche freien Tage. Deshalb werde ich, so ist es vorgesehen, im Frühjahr 2022 eine neue Ariadne auf Naxos dort dirigieren. Ein bisschen Oper gibt es also doch noch.

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