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Interview Thomas Hampson

„Ich möchte Sänger auf der Bühne denken hören“

Starbariton Thomas Hampson über tönende Gedanken, heldentenorale Versuchungen, metaphorische Landkarten und über neue und alte Grenzen

vonPeter Krause,

Mr Hampson, Sie seien kein „beautiful monster“, kein „Monster der Schönheit“, so bekannten Sie sich einmal zur unbedingten Wahrhaftigkeit des Singens. Wie verhalten sich Schönheit und Wahrheit beim Gesang?

Das ist eine sehr interessante Frage, und es ist schwierig, darauf eine klare Antwort zu geben. Ich gehe gern an Grenzen. Ich glaube, wenn ich etwa Mahlers Forderung zu schreien nachgehe, hat das nichts mehr mit Schöngesang zu tun. Ich glaube aber, dass Mahler meint, dass dieser höhere laute Ton tatsächlich für einen Moment von seinen Wurzeln entfernt sein soll. Es ist ein Hinweis des Komponisten, in welchem psychologischen Zustand man sich in einem bestimmten Teil des Liedes befinden soll. Es handelt sich dabei allerdings weniger um eine Frage der Gesangstechnik, als um die Aufforderung alle seine Ausdrucksmöglichkeiten zu nutzen. Ich möchte Sänger auf der Bühne denken hören. Es interessiert mich nicht, ob ein Sopran, z.B. die Tosca auf der Bühne zusammenbricht und weint, das wäre eine zu persönliche Darstellung, die Puccini eigentlich nicht entspricht. Ich möchte hören, wie dieser Sopran die Zerrissenheit der Seele Toscas und die universellen Themen dieses Stückes musikalisch ausdrückt.

Sie gestalten die Worte in Ihrem Gesang mit viel Sorgfalt, Genauigkeit und Feingefühl. Wie kriegt man Wort und Klang so perfekt zusammen?

Ich glaube, es ist eine Einheit, die untrennbar ist und nicht Konkurrenz. Ich empfinde Wörter letzten Endes als metaphorische Symbole von Gedanken. Sie sind in jeder Sprache absichtlich gebaute Symbole, die einen Hinweis auf eine bestimmte Gefühlswelt geben. Wenn die Musik dazukommt, kann sie jede Schicht hinter diesem Prozess erläutern. Sie kann Fantasien anregen und Erinnerungen beleben. Musik kann aber auch in ihrer eigenen Syntax, als musikalische Sprache mitdichten, kann sogar dazudichten. Es ist für mich eine sehr komplizierte, aber auch eine der aufregendsten und spannendsten Auseinandersetzungen, die ich kenne, der Dialog zwischen Sprache und Musik. Die Erarbeitung des Gedankens durch den Gesang reizt mich am meisten.

Aber gibt es im internationalen Sängergeschäft nicht Leute, die kaum verstehen, was sie singen? 

Mich würde wundern, wenn Kollegen wirklich nicht wissen, welche Texte sie singen. Es gibt vielleicht Sänger, die sich im Moment des Gesanges nicht wirklich damit auseinandersetzten, aber ich glaube nicht, dass wir heutzutage einfach dumme „Papageien“ vor uns haben. Und falls dieses Klischee wirklich einmal zutreffen sollte, würde eine derartige Karriere sicher von kurzer Dauer sein.

Wäre es für Sie nicht reizvoll, sich auch mal ins Tenorfach zu wagen?

Eher nicht. Selbst wenn ich den Parsifal oder den Siegmund singen könnte, bleibt die Frage offen, ob das wirklich notwendig ist. Dieser extravagante „Spaziergang“ würde meiner Stimme wahrscheinlich die Leichtigkeit, die Weichheit und auch die Expressivität nehmen. Eine gute Stimme zeichnet andere Dinge aus als nur der Tonumfang, nämlich vor allem Legato und Dehnbarkeit. Es geht also nicht in erster Linie darum, welche Töne man noch erreichen kann. Das Wagnis würde ungewollt Härte in meine Stimme bringen und ihre Beweglichkeit aufs Spiel setzen. Wenn ich ein geborener Heldentenor wäre, hätte ich diese Chance mit Eifer genutzt. Jeder Sänger muss aber genau von sich wissen, was er in seiner Seele ist. Und ich bin kein Tenor.

Sind die Grenzen zwischen den Stimmfächern nicht zu eng gezogen?

Unbedingt. Ich wollte mal ein anonymes Plattenprojekt angehen, bei dem ich manipulierte Laute und Gesang im Studio einspiele und eine Arienplatte vom Bass bis zum hohen Tenor mache. Die Platte hätte den Namen „What the fach was that?“. Aber das ist vielleicht nicht ganz vernünftig.

Wie finden Sie heraus, welches die Intentionen des Schöpfers der Musik waren?

Das Berührendste ist, wenn Mahler sagt, dass das Wesentliche nicht in den Symbolen der Partitur zu finden ist. Eine Metapher, die ich sehr gern für Musiknoten habe, ist eine Landkarte. Ich persönlich sammle im übrigen auch Landkarten, denn ich finde sie äußerst spannend und interessant. Aber ich könnte trotzdem nie eine Alpenwanderung beschreiben, wenn ich sie nicht wenigstens einmal gemacht hätte, also braucht man gewisse Erfahrung. Ich bewundere die Forschungswelt und lerne sehr gern – vor allem will ich wissen, aus welcher Quelle heraus ein bestimmtes Gedicht oder eine spezielle Musik entstanden ist. Aber ich komme nicht auf die Bühne mit der Absicht, mein Publikum zu belehren. Vielmehr ist es mein Wunsch, etwas hörbar zu machen. Was Sie als Zuhörer dann damit machen, ist nicht mehr meine Verantwortung. Deshalb bin ich auch manchmal mit sogenannten „Kennern“ recht ungeduldig, die die „Weniger- Kenner“ verspotten, besonders in der heiklen Umgebung eines Liederabends. Kenner hört man sagen, die Nicht-Kenner hätten noch nicht einmal 15 Prozent von dem verstanden, worum es geht. Aber für diese Zuhörer sind 15 Prozent Ihre 100 Prozent und das ist auch in Ordnung. Ich möchte bei aller Demut jeder guten Musik gegenüber vor allem Neugier und Fantasien wecken.

Bei allem Erfolg – welche Träume einer „new frontier“ bleiben dennoch? 

„New frontier“ heißt für einen Opernsänger: Welche Traumrollen gibt es noch? Da könnten wir jetzt stundenlang sprechen, denn ich entdecke immer wieder neue. In Zukunft werde ich im Liedgesang auch mehr Multimedia-Projekte beginnen, hoffentlich um vielleicht ungeübten Zuhörern den Zugang zu erleichtern. Unter all diesen Projekten leidet allerdings mein Golfspiel. Zurzeit spiele ich wirklich nicht so wie sonst und das ärgert mich ein wenig. So werde ich mich wohl, wenn das Wetter besser wird, auch wieder auf die Erweiterung dieser „old frontier“ konzentrieren. Langweilig wird’s mir nie.

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