Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Bürgerliches Trauerkammerspiel mit Happy End

Opern-Kritik: Theater Lübeck – Tristan und Isolde

Bürgerliches Trauerkammerspiel mit Happy End

(Lübeck, 6.10.2013) Anthony Pilavachi inszeniert Wagners „Tristan und Isolde“ am Theater Lübeck.

vonPeter Krause,

Vereint im künstlerischen Wähnen und Wollen sind Tristan und Isolde ein leidenschaftliches junges Paar –ihr Duett „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ ist Ausdruck ihres gemeinsamen Schöpfungs- und Liebesakts: Tristan diktiert seiner Isolde die erste Textzeile, die sie in die Partitur einträgt und dabei singend wiederholt. Hier entsteht also ein gemeinsames Werk. Zum „Habet acht“-Nachtgesang der Brangäne verschwinden die beiden kurz nach draußen und kommen hernach nur noch leicht bekleidet und sichtlich beglückt zurück auf die Bühne. Wann hat man die Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen durch die Kunst und dann am Ende auch den Liebestod als mystische Vereinigung zweier verwandter Seelen je so konkret und psychologisch präzise, so perfekt dem musikalischen Fluss abgelauscht erlebt wie in Anthony Pilavachis hellhöriger, Wagners Gedankenwelt, Biographie und den Geist der Romantik mit feinem Humor an- und ernst nehmender Inszenierung? Eine Fahrt an die Trave ist nach dem nur noch auf DVD nachzusehenden Ring des Dream-Teams Pilavachi und Brogli-Sacher ein Muss für Wagnerianer und solche, die es werden wollen. Es gibt wieder viel Grund zum Jubeln im Theater Lübeck, dem Jugendstilschmuckkästchen an der Lübecker Bäckergrube.

Wir befinden uns im frühen 19. Jahrhundert. Ausstatterin Tatjana Ivschina hat ein großbürgerliches Speisezimmer ersonnen, in dem die bläuliche Tapete schon abzublättern beginnt und zwei Damen, Hausherrin Isolde und Dienerin Brangäne, in strengen blauen Roben das Inventar aufhübschen. Hier herrschen „Zucht und Fug“, hier wird „Sitte“ noch formvollendet praktiziert. Die Geschlechter begegnen sich in den komplizierten Umgangsformen ihrer Zeit. Der Chef des Hauses ist auf See unterwegs, seine Ankunft wird jederzeit erwartet. Die Umkehrung vom Setting des Librettos, nach dem ja die Damen auf einem Schiff zu König Marke gebracht werden, der an Land wartet, funktioniert bis in textliche Details hinein verblüffend genau. Tristan, der Künstler, der Komponist, der Orpheus als Hausgast mischt die Ordnung alsbald auf. Nach Genuss des Liebestrankes reißen Tristan und Isolde sich die Klamotten vom Leib, Brangäne und Kurwenal gelingt es kaum, die beiden zur Ankunft des Bräutigams Marke wieder anzuziehen.

Überhaupt wird viel geknutscht in dieser Inszenierung, in der fürwahr keine Helden, sondern dem Eros ergebene Menschen zu sehen sind. Edith Haller ist in blendender Erscheinung eine apart blonde Isolde. Mit ihrem hellen, anrührend schnell flackernden, deutlich artikulierten jugendlich dramatischen Sopran ist sie mehr Tannhäuser-Elisabeth oder Freischütz-Agathe als düster fluchende Rachegöttin. Das kommt der Glaubwürdigkeit des Regiekonzepts sehr zu gute. Ja, die Liebe dieser beiden jungen Menschen ist eine echte. Davon weiß die Musik mehr als alle intellektuell überfrachteten Deutungen des Stücks je wahrhaben wollten. Isoldes „Lausch, Geliebter“ und die hier ganz ruhig fließende Musik des zweiten Aufzuges offenbart uns nicht weniger als die Ermattung nach der erotischen Erfüllung. Da traut sich ein Regisseur mal wieder, die Musik und den Text beim Wort zu nehmen und in behutsame, spannende, glaubwürdige Bewegungsabläufe zu überführen. So soll Musiktheater sein.

Eros und Thanatos als Triebfedern des kreativen Tuns, der Liebestod als positives Prinzip einer künstlerischen Gegenwelt zu den Normen der Gesellschaft – all dies zeigt Pilavachi in klugen, also nie platten Anspielungen auf Wagners Wesendonck-Affäre, auf seine Flucht aus dem Schweizer Asyl, auf sein Komponieren und seinen späteren Tod in Venedig. Wir nehmen Anteil an der Befreiung des Menschen in der Kunst und durch die Kunst, der Vollendung und Verewigung des eigenen Lebens durch das schöpferische Handeln und die Werke, die bleiben. Pilavachi verhandelt diese urwagnerischen Themen dabei nie verkopft, sondern als herrlich leichte, junge „Handlung“, als die Wagner sein Musikdrama verstanden wissen wollte. Hier ereignet sich ein bürgerliches Trauerkammerspiel mit Happy End. Roman Brogli-Sacher verleiht dem unerhört spannenden Abend mit Lübecks leuchtkräftigen Philharmonikern drängenden Fluss. Die zügigen Tempi und die Frische jenseits allen weihevollen Wagner-Zelebrierens untermauern den Regiezugriff trefflich. Und die Sängerbesetzung leistet ihrerseits Großes jenseits aller pathetischen Behauptung, hier Helden darstellen zu müssen. Neben Edith Hallers Isolde besticht Wioletta Hebrowska als anteilnehmende Freundin Brangäne mit wendig wasserklarem Mezzo. Einen ungewohnt lyrischen, dabei dennoch vor allem darstellerisch intensiven Tristan gibt Richard Decker. Eine Baritonwucht ist Michael Vier als treuer Kurwenal. Allein der Marke des Martin Blasius mit seinem ungeschlachten, flachen Bass enttäuscht.

Theater Lübeck

Wagner: Tristan und Isolde

 

Ausführende: Roman Brogli-Sacher (Leitung), Anthony Pilavachi (Inszenierung), Tatjana Ivschina (Ausstattung), Edith Haller, Wioletta Hebrowska, Richard Decker, Michael Vier, Martin Blasius, Jonghoon You, Daniel Jenz, Kong Seok Choi, Herren des Chores und des Extrachores des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Termine: 20.10., 16:00 Uhr; 27.10., 18:00 Uhr; 10.11., 18:00 Uhr; 1.12., 17:00 Uhr; 29.12., 17:00 Uhr; 19.1., 17:00 Uhr; 23.2., 17:00; 23.3., 17:00 Uhr; 13.4., 17:00 Uhr; 27.4., 17:00 Uhr; 11.5., 17:00 Uhr

Weitere Termine des Theater Lübeck finden Sie hier.

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!