Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Die Hugenotten

Honig und Heroik

(Berlin, 13.11.2016) Michele Mariotti dirigiert, David Alden inszeniert die Wiederentdeckung des Meisters der Materialschlacht – Giacomo Meyerbeer

© Bettina Stöss

Wenn schon, dann muss sie hier passieren – die Renaissance und am besten gleich auch noch die Rehabilitation von Giacomo Meyerbeer. Nicht nur weil der Komponist hier geboren wurde und nach seinen Erfolgen als Meister der Grand Opéra in Paris dann anno 1841 zurück in der Heimat zum Königlichen Generalmusikdirektor und Hofkapellmeister avancierte. Sondern sicher auch, weil ihn – den weltweit zu Ruhm und Ehre gelangten deutschen Juden – ein jüngerer Kollege so heftig schmähte, der nun just Namensgeber der Adresse der Deutschen Oper Berlin ist – die liegt schließlich an der Ecke der Richard-Wagner-Straße und der Bismarckstraße. Nicht nur Wagner freilich war es, der auf der Suche, seinerseits in Paris Fuß zu fassen, zunächst die Protektion und die Förderung durch Meyerbeer erbettelte und erhielt. Auch ein Robert Schumann empörte sich über das Werk des Landsmanns.

In „Die Hugenotten“ wage es ein Jude, den hehren Luther-Choral „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ für profane Opernzwecke zu missbrauchen. Das musikalische Signet der Reformation nutzt Meyerbeer schon in der Ouvertüre als Leitmotiv der am Ende der Handlung von den Katholiken niedergemetzelten Hugenotten – die Historienoper gipfelt im großen Schlachten der Bartholomäusnacht von 1572. Meyerbeer, der im Schicksal der reformierten Christen zweifellos auch die jahrhundertlange Verfolgung der Juden mitschwingen ließ, verschwand schließlich mit dem Verdrängen der jüdischen Musik durch die Nationalsozialisten vollends aus den Spielplänen. Wagners Intrigengift wirkte gleichsam mit Spätfolgen.

Hochgradiges Handwerk, dem die wahre Genialität fehlt?

Ein ganzer Zyklus von Opern Meyerbeer soll es in Berlin nun sogar sein. Nach „Vasco da Gama“ in 2015 und „Die Hugenotten“, die jetzt Premiere feierten, ist bereits „Der Prophet“ für die Saison 2017/18 avisiert. Auf der Suche nach Repertoire-Alternativen ist man längst auch andernorts auf den in den Augen seiner damaligen Konkurrenten so Verdächtigen gestoßen. Zuletzt brachte man in Würzburg und Kiel just „Die Hugenotten“ heraus. Keine leichte Herausforderung, denn der von Meyerbeer geforderte Aufwand an Solisten, Chor, Ballett und Orchester ist und bleibt gigantisch – er gleicht einer Materialschlacht. Hatte man sich an den kleineren Häusern indes für eine auch fürs Publikum konsumable Kurzfassung entschieden und die Großmannssucht der Grand Opéra behutsam verkleinert, gilt in Berlin nun der Ruf nach dem Original. Eine ehrenwerte Entscheidung, die in der annähernd fünfeinhalb Stunden dauernden Aufführung an die Aufmerksamkeit des Publikums dennoch enorm hohe Anforderungen stellt und am Ende die Frage nach der Qualität der Komposition unumgänglich macht. Ist Meyerbeers Inspirationsgrad durchgängig hoch? Oder sind zu viele Teile, zumal in den statischen Tableau-Szenen, eben doch nur hochgradiges Handwerk, dem die wahre Genialität fehlt?

Die unfasslich geforderten Sänger meistern Meyerbeer auf einsamem Weltklasseniveau

© Bettina Stöss

Zunächst verdrängt man an dem langen, ja zu langen Premierenabend solche Fragen. Denn die unfasslich geforderten Sänger meistern Meyerbeer auf einsamem Weltklasseniveau. Juan Diego Flórez betritt mit dem sympathisch naiven Hugenottenprinzen Raoul erstmals deutlich dramatischere Gefilde, als der Tenorkönig des Belcanto es gewohnt ist. Die leichte Höhe, die auch jenseits des Hohen C keine Grenzen kennt, blüht wie eh und je, dazu hat die Traumstimme des Peruaners an Mittellagenfundament gewonnen, ohne dafür an Schmelz und Schönheit Einbußen zu erleiden. Patrizia Ciofi, lange die internationale La Traviata-Violetta vom Dienst, bezirzt als französische Prinzessin Marguerite von Valois nicht nur mit überirdischen Schwebetönen im Pianissimo, sie mischt der späteren Königin im Ziergesang der kapriziösen Koloraturen auch den schwindelerregenden Wahnsinn einer Lucia di Lammermoor bei.

Olesya Golovneva hingegen besticht als im späten Liebestod von der Katholikin zur Hugenottin konvertierenden Valentine mit dem lyrischem Liebreiz wie der Leuchtkraft ihres fabelhaften Soprans. Einen wild heroischen Protestanten im sehr wohl politischen Sinne gibt Ante Jerkunica als Raoul-Diener Marcel – mit einer edlen Bass-Wucht wie aus längst vergang’nen Zeiten. Am Pult ist Michele Mariotti ein überzeugter wie überzeugender Anwalt Meyerbeers, der mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin und dem stark geforderten Chor das Hybride der Partitur zwischen Honig und Heroik nicht mit Überschwang zukleistert, sondern in feinen Details aus- und gegenüberstellt.

Meyerbeer – der Missing Link zwischen Rossini und Wagner

Doch lohnt der ganze Aufwand? Im Sinne einer späten historischen Gerechtigkeit für Meyerbeer zweifelsohne. Man hört und kapiert da sehr deutlich, wie der Berliner als eine Art Missing Link zwischen Rossini und Wagner fungierte. Während Meyerbeer sich reichlich beim Italiener und dessen Konzept der Grand Opéra inspirierte, bediente sich Wagner seinerseits eifrig bei Meyerbeer. Das Dumme nur ist nur im doppelten Sinne: Das Original Rossini ist halt ebenso genial wie der dreist abschreibende Schüler Wagner – Meyerbeer ist es nicht wirklich. Mit großartigem Geschick zwingt er musikalisch zusammen, was nicht zusammengehört, instrumentiert es kennerisch, originell und farbig, transzendiert die Konvention der Gattung aber nie in der ausgeprägten, viel zu stark Dur-getränkten Nettigkeit seiner Komposition. Obwohl Regisseur David Alden mit Victor Hugo gezielt das Groteske mit dem Erhabenen zu versöhnen suchte, bleibt die Inszenierung seltsam unentschieden zwischen ironischer Distanzierung, historischer Konkretisierung im Jahrhundert der Komposition und Ernstnehmen des tragisch die Konfessionsgrenzen sprengenden Liebespaars.

Deutsche Oper Berlin
Meyerbeer: Die Hugenotten

Ausführende: Michele Mariotti (Leitung), David Alden (Regie), Giles Cadle (Bühne), Constance Hoffman (Kostüme), Adam Silverman (Licht), Raymond Hughes (Chöre), Marcel Leemann (Choreografie), Jörg Königsdorf & Curt A. Roesler (Dramaturgie), Patrizia Ciofi (Marguerite von Valois), Derek Welton (Graf von Saint-Bris), Marc Barrard (Graf von Nevers), Olesya Golovneva (Valentine), Irene Roberts (Urbain), Paul Kaufmann (Tavannes / 1. Mönch), Andrew Dickinson (Cossé), John Carpenter (Méru / 2. Mönch), Alexei Botnarciuc (Thoré / Maurevert), Stephen Bronk (de Retz / 3. Mönch), Juan Diego Flórez (Raoul von Nangis), Ante Jerkunica (Marcel), Robert Watson (Bois-Rosé), Ben Wager (Ein Nachtwächter), Adriana Ferfezka & Abigail Levis (Zwei Hofdamen/Zwei katholische Mädchen), Orchester, Chor & Opernballett der Deutschen Oper Berlin

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