concerti beim Symposium „Oper und Religion“ in Berlin

Der Kopf des Mohammed

(Berlin, 13.11.2016) Zehn Jahre später: Bei „Oper und Religion“ an der Deutschen Oper wird auch über den Skandal diskutiert, der einst zur Initiierung des Symposiums führte

© Eike Walkenhorst

Die Idee zu dem Symposium „Oper und Religion“ entstand in der Folge des Skandals vor genau zehn Jahren um eine Inszenierung der Mozart-Oper „Idomeneo“ – ein Skandal, der für das Haus höchst folgenreich war. Regie-Altmeister Hans Neuenfels hatte den an herrischen Göttern zerbrochenen Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Jesus, Mohammed und Buddha präsentieren lassen. Die Besucher der Premiere von 2003 und vieler nachfolgender Vorstellungen juckte das wenig. Erst 2006 gab der Berliner Innensenator Körting der Intendantin Kirsten Harms den Hinweis, dass für die Deutsche Oper aufgrund der Inszenierung eine „abstrakte Gefährdung“ durch islamistische Terrorattacken vorliege. Handlungsanweisungen aus der Politik gab es für die naturgemäß sicherheitspolitisch eher unerfahrene Opernintendantin nicht. Harms ihrerseits entschied, Neuenfels‘ „Idomeneo“ vorläufig nicht mehr zu spielen.

Argumente zur Kunstfreiheit haben sich seit 2006 kaum geändert

War das richtig? Die Frage, zu der damals jeder deutsche Lokalpolitiker und Journalist irgendeine Meinung zu haben schien – mit dieser Frage wurde die Abschlussdiskussion des Symposiums eröffnet. Starregisseur Barrie Kosky etwa räumte ein, dass er die Absetzung als Regisseur nicht sinnvoll gefunden, als Intendant aber Verständnis für die Entscheidung der einstigen Kollegin habe. Insgesamt zeigte sich auf dem Abschlusspodium, dass sich die Argumente zu Kunstfreiheit und zu möglicher religiöser Provokation auf der Opernbühne seit den dramatischen Tagen 2006 nicht wesentlich geändert haben. Um die Debatte über Islam und Muslime in der Oper etwas konkreter zu machen als damals, war bereits zu Beginn des Symposiums der islamische Religionsphilosoph Ahmad Milad Karimi von der Universität Münster eingeladen. Karimi verglich das Verhältnis des Regisseurs zu einer Opernpartitur mit dem Verhältnis eines Gläubigen zum Koran. Die Wahrheit liege nicht im schriftlich Niedergelegten, sondern darin, was in Kunst- und Religionsausübung damit angefangen würde.

Wären die Gemüter in Sachen „Idomeneo“ heute noch so erhitzt wie vor zehn Jahren, hätte diese Feststellung durchaus zu Missverständnissen führen können. Denn wenn die Praxis und nicht das Geschriebene die Wahrheit birgt, wäre die provokative Religionskritik des Regisseurs Neuenfels mit ihrem grausamen Bild weitaus gültiger als die „Idomeneo“-Partitur von Mozart – und die Aufführung dürfte für einen gläubigen Muslim mit zusätzlichem Recht ein rotes Tuch sein. Was in Karimis Referat unbefriedigend in der Schwebe blieb, wurde bei der Abschlussveranstaltung noch einmal breit ausdiskutiert – nicht zuletzt an Giacomo Meyerbeers „Die Hugenotten“, dem aktuellen Stück des Hauses, das ja im Gegensatz zu Mozarts „Idomeneo“ tatsächlich bereits vor religiösem historischem Hintergrund komponiert wurde.

„Eine Aufmerksamkeitsökonomie, die beängstigende Spiele in Gang setzt“

© Eike Walkenhorst

Der Musikwissenschaftler Anselm Gerhard fungierte als Spezialist für Parallelen von Vergangenheit und Gegenwart. Seiner Meinung nach sei es für Meyerbeers Werk historisch falsch, überflüssig und schädlich gewesen, als Hymne der französischen Hugenotten just Martin Luthers Choral „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ zu zitieren – zu denjenigen Protestanten, die damals ihr Beleidigtsein lautstark deklamierten, gehörten Robert Schumann und Friedrich Wilhelm III. War es für Meyerbeer damals, so Gerhards Frage, wirklich sinnvoll, die Gemüter mit einem deplatzierten protestantischen Choral zu erhitzen und so vom Wesentlichen seiner vierstündigen Grand Opéra möglicherweise abzulenken?

Gerade an der Formulierung einer solchen Frage könnte man feststellen, dass die Diskussion über Musiktheater, über Theater und Kunst überhaupt sich in den letzten zehn Jahren verändert hat – gerade in Hinblick auf den Sinn von Regie-Provokationen. Anselm Gerhard verwies auf die Ökonomie, welcher Theater nicht nur in Marx‘ und Lenins Theorie unterstände. Schon Richard Wagner sei über den Pariser „Tannhäuser“-Skandal, der die französische Erstaufführung des Werkes eigentlich verunmöglichte, nicht unbedingt traurig gewesen. Gerhard sprach von einer Aufmerksamkeitsökonomie, die zurzeit manch beängstigende Spiele gerade auch im politischen Leben in Gang setze.

Lieber ein Skandal weniger, um nicht neue Beleidigte zu produzieren? Zehn Jahre nach dem „Idomeneo“-Skandal kann man angesichts dieser Diskussionsrunde wohl vor allem feststellen, dass sich der öffentliche Diskurs über Oper geändert hat. Aufgeschlossene Kenner des Musiktheaters hätten vor einiger Zeit vielleicht noch gefragt, was uns ein Opernregisseur mit einer bestimmten religiösen Provokation auf der Bühne sagen möchte. Heute scheint sich an gleicher Stelle zunächst die Frage aufzudrängen, ob man auf diese Provokation nicht um des gesellschaftlichen Friedens willen hätte verzichten können. Um Religion und religiöse Gefühle geht es bei solchen Situationen keineswegs in jedem Fall. Und so kam die Diskussion in der Deutschen Oper Berlin mehr als einmal vom Thema ab. Was sie nicht weniger interessant machte.

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