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Porträt Bertrand Chamayou

„Bei Ravel bin ich zu Hause“

Der französische Pianist Bertrand Chamayou hat sich nicht nur mit Musik seines Lieblingskomponisten einen Namen erspielt

vonKatherina Knees,

Bertrand Chamayou ist ein leidenschaftlicher Stadtmensch. Gerade ist er aus New York zurückgekommen, die Koffer stehen noch unausgepackt in seiner Pariser Wohnung, doch trotz Jetlag plaudert er beim Interview fröhlich drauf los. Abends kommen noch Freunde, dann kocht er – „das mache ich für mein Leben gern.“ Mediterrane Küche, viel Gemüse, Gewürze, Fisch. In ihm weckt das Erinnerungen an seine unbeschwerte Kindheit in Toulouse. Frankreichs Süden ist seine Heimat, dort hat er noch eine zweite kleine Wohnung am Meer, in Saint-Jean-de-Luz, dem kleinen Örtchen, in dem Maurice Ravel geboren wurde. „In der Musik von Maurice Ravel bin ich zu Hause“, schwärmt Chamayou. Ravels Musik begleitet den Pianisten seit Kindertagen, die kompletten Solowerke des französischen Komponisten hat er bereits aufgenommen.

Auf die Frage, wann er wusste, dass er sein Leben dem Klavierspiel widmen will, sprudelt es aus Bertrand Chamayou heraus: „Mit neun Jahren wollte ich eigentlich Komponist werden. Wenn ich dazu komme, dann schreibe ich auch jetzt hin und wieder noch selbst, ich wünschte, ich hätte mehr Zeit dafür!“ Bertrand Chamayou ist sich sicher, dass ihn das auch als Solist prägt: Sitzt er vor einem Orchester, dann empfinde er sich immer als ein Teil des Ganzen, höre jede einzelne Stimme im Orchester und versuche, seinen Klang zu integrieren und nicht als Solist vorneweg zu spielen. Überhaupt habe er gar nicht unbedingt eine solistische Laufbahn einschlagen wollen, das sei eher ein Zufall gewesen – sein Erfolg lässt ihn denn bis heute noch staunend schmunzeln.

Vom Allesspieler zum Ravel-Spezialisten

Damals nämlich, vor mehr als einem Jahrzehnt, spielte Chamayou praktisch alles, was ihm unter die Finger kam. Von Mozart, Beethoven, Brahms, Bartók bis hin zu zeitgenössischer Musik, außerdem viel Kammermusik: Duo, Trio, Quartett. Er arbeitete mit verschiedenen Komponisten zusammen, reiste und schrieb selbst Stücke. „Das war eine tolle Zeit, aber es fehlte mir auch eine Richtung, ein Fokus.“ Dann, mit 27 Jahren, kam die entscheidende Wende in seinem Leben, denn der Mann aus Toulouse erlebte den Albtraum eines jeden Pianisten – er litt unter einem neurologischen Problem in der rechten Hand.

Eine Krise, die mittlerweile zum Glück Vergangenheit ist – und, so sein selbstkritischer Blick zurück, ihm die große Chance bot, sich auf das zu besinnen, was für ihn im Leben wirklich zählt. Heute geht Chamayou besser mit sich selbst um, haushaltet mit seinen Kräften. „Ich spiele weniger Konzerte, bin dafür fokussierter und konzentrierter, lege mehr Wert auf die Qualität.“ Und ihm ist wichtig, dass es auf der Bühne wirklich „klick“ macht – mit dem Publikum und mit den anderen Musikern. In einem richtig guten Konzert müsse etwas passieren, das über das Spielen der Töne hinausgehe: „Es muss eine Energie zwischen Solist und Publikum entstehen.“ Das ist das, was er heute Abend für Abend sucht.

In der Krise liegt die Kraft – und die Fokussierung auf
 das Wesentliche

Längst hat sich Chamayou bei dieser Suche über Frankreich hinaus einen Namen gemacht, besonders bekannt ist er für seinen ganz eigenen hellen Klang. „Kleine Mädchen mit lockigen Haaren wollen gerne glatte Haare haben, und Mädchen mit glatten Haaren wünschen sich Locken“, erklärt der Musiker und lacht. Denn bei ihm waren es früher eben nicht seine Haare, sondern sein Klang, der ihm Kopfzerbrechen bereitete: Setzte er sich an die Tasten, so klang es von Natur aus erstmal hell und klar. Und weil man eben immer das reizvoll findet, was man nicht hat, faszinierte Chamayou bei anderen Pianisten am allermeisten ein dunkler, satter Klang. Den versuchte er nachzuahmen – doch es klang in seinen Ohren gekünstelt und verstellt.

Als junger Mann ließ ihn das verzweifeln – heute ist der Mann aus Toulouse froh, diesen besonders hellen und leuchtenden Klang mit hohem Wiedererkennungswert zu haben. „Auch das gehört zum Erwachsenwerden dazu“, findet er. „Man kann sich selbst mehr nehmen, wie man ist.“

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