Startseite » Porträts » Lisztomanie

Spurensuche Franz Liszt

Lisztomanie

Vor 200 Jahren wurde Franz Liszt geboren – und vor 170 Jahren versetzte er wochenlang Berlin in Aufruhr

vonKlemens Hippel,

So begeistert wie in Berlin ist Franz Liszt in seiner Virtuosenzeit nirgends gefeiert worden. Von Weihnachten 1841 bis März 1842 weilte der 30jährige zehn Wochen an der Spree und gab in dieser Zeit 21 öffentliche Konzerte mit über 80 verschiedenen Werken.

Die Begeisterung, die seine Anwesenheit auslöste, stellt alle heutige Hysterie angesichts von Klassik-, aber auch Popstars in den Schatten. Wer von ihnen würde heute von über 50.000 Menschen verabschiedet, wenn er die Stadt verlässt? Wer könnte nach zehn Konzerten in sieben Wochen gezwungen sein, aus einem Saal, der „nur“ gut 800 Personen fasst, in größere umzuziehen, um dort weitere fünf Konzerte zu geben?

Dabei war eine solche Begeisterung nicht unbedingt zu erwarten gewesen, als Liszt am 23. Dezember in Berlin eintraf und im noblen Hotel de Russie am Kupfergraben Quartier bezog. In Leipzig hatte sich gerade die Presse auf den Virtuosen eingeschossen: In der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ hatte ein Kritiker vom „verflachenden Treiben der neuesten Klaviervirtuosität, die oft ganze Koncertabende mit ihren Etuden, Variationen und sogenannten Phantasien für Pianoforte solo ausgefüllt“, geschrieben. Doch wer erwartet hatte, die Berliner Presse würde sich dem Feldzug anschließen, sah sich getäuscht. Kritikerpapst Ludwig Rellstab von der „Vossischen Zeitung“ war, anders als seine Kollegen in Leipzig, angetan von Liszts Spiel.

Das erste Konzert hatte Liszt am 27. Dezember in der Singakademie gegeben. Das Gebäude mit seinem 800 Zuschauer fassenden Konzertsaal war 1827 eröffnet worden. Heute bietet nur noch die rekonstruierte Fassade des kriegszerstörten Hauses einen Eindruck vom ältesten Berliner Konzertsaal, das Innere des heutigen Maxim-Gorki-Theaters wurde beim Wiederaufbau neu gestaltet. Das Hotel de Russie lag nicht nur in unmittelbarer Nähe, es verfügte auch selbst über einen großen Saal, geeignet für Matineen und Empfänge. So konnte Liszt hier noch am Tag seiner Abreise ein Abschiedskonzert geben. Und auch die „Ausweichquartiere“ für Liszts Konzerte lagen in der Nachbarschaft: In den 1.200 Zuschauer fassenden Konzertsaal des Schauspielhauses wich Liszt am 10. Februar aus, dann ging es noch viermal ins damals 3.000 Gäste fassende königliche Opernhaus.

Da die Eintrittspreise sehr hoch waren, kamen bei den Konzerten erhebliche Summen zusammen – bereits mit den ersten vier Veranstaltungen hatte Liszt „10-12.000 Franken verdient“ – kein schlechtes Einkommen im Vergleich zu den festangestellten Kollegen: In Dresden verdiente Richard Wagner damals 1.200 Franken im Jahr! So konnte Liszt es sich leisten, beinahe die Hälfte seiner Konzerte für gute Zwecke zu geben – mal ein „Zehn-Groschen-Konzert“ für die Studenten, mal ein Konzert für notleidende Lehrer.

Überfüllt waren die Konzerte allesamt, und dass man für eine derartige Aufmerksamkeit dem Affen Zucker geben musste, war Liszt durchaus klar: Er habe „noch kein Rezept gefunden, um 40 oder 50.000 Franken jährlich zu verdienen durch bloße Beschäftigung mit Kunstwerken“, schrieb er einmal der Gräfin d‘Agoult. Dennoch waren seine Programme in Berlin weit entfernt von bloßem Virtuosenfutter: Neben eigenen Bearbeitungen und Bravourstücken standen auch Beethoven, Bach und Scarlatti auf den Programmen. Von all diesen Stücken hat er die Mehrzahl auswendig gespielt – eine seiner zahlreichen Innovationen im Konzertsaal, ohne Noten hatten vor ihm nur Straßenmusiker ihre Kunst gezeigt. Ebenso wie fast alle seine Vorgänger stets mit Kollegen konzertiert hatten – während Liszt seinem Publikum oft reine Klavierabende bot. Sein zehntes Berliner Konzert etwa bestritt er mit Beethovens Sonate op. 26, zwei eigenen Werken und zwei Sätzen aus Beethovens Hammerklavier-Sonate – ein für die Zeit ganz außergewöhnliches Programm.

Das Publikum hat‘s gerne gehört – gefeiert hat man dennoch vor allem den Virtuosen: „Eine Dame ist vor ihm niedergekniet und hat ihn gebeten seine Fingerspitzen küssen zu dürfen, – eine andere hat ihn im Koncertsaal publice umarmt, – eine dritte hat den Überrest aus seiner Theetasse in ihr Flacon gegossen, – Hunderte haben Handschuhe mit seinem Bild getragen, – Viele haben den Verstand verloren. Alle haben ihn verlieren wollen“, berichtete die Abendzeitung. Und seine Abreise wurde endgültig zum Event: „Ein Wagen, mit sechs Schimmeln bespannt, stand vor dem Hotel. Unter dem Zujauchzen der Menge wurde der Künstler zur Treppe fast hinab getragen und in den Wagen gehoben, wo er zwischen den Senioren der Universität Platz nahm. Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Seinem Wagen folgten dreißig vierspännige mit Studierenden, geleitet von einer großen Anzahl Reitern im akademischen Festornat, zahllose andere Wagen und Berittene schlossen sich an. Nicht nur die Straßen und Plätze, sondern auch die Fenster der Häuser, aus denen Kränze und Sträuße ihm zuflogen und Grüße zugewinkt wurden, waren besetzt; bis hinaus zur ‚neuen Welt‘ war die Chaussee von einer ihm zurufenden Menschenmenge bedeckt.“

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!