Porträt Iveta Apkalna

„Nutella oder Marmelade aufs Brot?“

Eigentlich hatte Iveta Apkalna Klavier studiert. Dann entdeckte sie, wie auch schon ihre Großväter, die Orgel für sich

© Nils Vilnis

Iveta Apkalna

Iveta Apkalna

Organisten gehören zu den Schattenwesen im Musikgeschäft: Niemand nimmt sie wahr, wenn sie hoch droben am Spieltisch sitzen. Wer sich da vorwagt als aberwitzige Glamourerscheinung wie ein Cameron Carpenter, verdient sich rasch den Ruf eines Enfant terrible – der Exzentriker seinerseits hält es für exzentrisch, wenn jemand „30 Jahre an der gleichen Orgel sitzt“. So scharf würde das Iveta Apkalna nie formulieren. Dafür ist die Lettin viel zu höflich: „In 38 Lebensjahren habe ich in sehr verschiedenen Epochen gelebt. Dieses Bewusstsein für die Veränderlichkeit der Zeit haben viele Organisten nicht.“

Aber aus ihrer Vorliebe für Extroversion macht Apkalna keinen Hehl: Groß, blond und blauäugig wagt sie sich mit silbernen, goldenen oder roten Lackschuhen auf die Orgelemporen und in die Konzertsäle, lässt sich ähnlich illuster für CD-Cover abbilden und achtet darauf, dass der Spieltisch genau im rechten Licht steht, wenn sie etwa mit den Berliner Philharmonikern auftritt.

Durch das Abbild meines Gesichtsausdrucks nehme ich Kontakt zum Menschen auf. Das bedeutet bestenfalls auch mehr Zugang zur inneren Welt.“ Dass ihr die Puristen der hehren und wahren Orgelkunst diese vermeintlichen Äußerlichkeiten vorwerfen, überrascht nicht; und doch erzielt Apkalna ihren Erfolg nicht aus ihrer Schönheit. Sie kann glaubwürdig vermitteln, dass es ihr um Authentizität geht. „Mir reicht das nicht, wenn jemand nur gut vorspielt. Das Publikum ist nicht dumm, es spürt alles.“ 

Vom Tanz zu den Tasten

Seit sie als 15-Jährige vor Papst Johannes Paul II. spielte und mehrere Wettbewerbe gewann, gehört sie einfach zu den Besten ihrer Zunft. Dass so viele Profi-Musiker aus dem Baltikum erfolgreich sind, führt sie auf die gute Musikausbildung in der früheren Sowjetunion zurück, die sich auch ins moderne Lettland hinübergerettet habe. Tasten kennt Apkalna, die unter strenger Aufsicht einer Pianistenmutter erzogen wurde, von Kindesbeinen an. Doch sie hatte noch andere künstlerische Talente, gewann als Tänzerin früh viele Wettbewerbe. „Vielleicht untypisch für eine Neunjährige, dachte ich mir dann ganz praktisch, dass man ja mit 40 aufhören muss“, kokettiert die Musikerin. „Dann hörte ich auf unseren alten Platten den Rubinstein noch mit 80 spielen und wusste: Das ist was für dich.“

Zur Orgel indes fand Apkalna erst nach ihrer Pianistenausbildung. „Ich hatte immer einen großen Appetit auf etwas Neues. Als Anfang der 90er-Jahre die Kirchen in Lettland wieder öffneten, begann ich mich für die Orgel zu interessieren.“ Apkalna wurde parallel zu ihrer Klavierausbildung die erste Studentin am heimischen Konservatorium im neuen Fach. „Wieder war das sehr appetitlich, und ich konnte mich nicht entscheiden: Nutella oder Marmelade aufs Brot?“

Kurze Zeit später merkte sie, „dass rein physisch zu wenig bewegt wird beim Klavier, das vor allem etwas für den Verstand ist, die Orgel eher fürs Herz“. Erst als die junge Frau sich für das Königsinstrument entschieden hatte, erfuhr sie, dass beide Großväter auch Organisten gewesen waren. „Auf natürliche Weise bin ich so zu meinem beruflichen Erbe gekommen.“ Trotzdem wahrt Apkalna eine gewisse Distanz: „Die Orgel ist so majestätisch, dass wir uns nach wie vor siezen, obwohl wir uns sehr gern haben.“ Wichtig sei vor allem, dass sie auch in säkularen Räumen ihre Berechtigung habe. „Ich will die Orgel aus ihrem Schattendasein befreien.“

CD-Tipp

Termine

Freitag, 12.04.2024 19:30 Uhr Jesuitenkirche Heidelberg

Iveta Apkalna

Heidelberger Frühling Musikfestival
Montag, 22.04.2024 20:00 Uhr Elbphilharmonie Hamburg

Iveta Apkalna

Liszt/Guillou: Prometheus, Liszt: Funérailles & Légende Nr. 2 „St. François de Paule marchant sur les flots“, Pierné: Trois Pièces op. 29, Boëllmann: Suite gothique op. 25, Franck: Pièce héroïque h-Moll, Dupont: Méditation

Freitag, 24.05.2024 20:00 Uhr Philharmonie Essen

Gábor Boldoczki, Iveta Apkalna

J. S. Bach/Dupré: Sinfonia aus „Wir danken dir Gott, wir danken dir“ BWV 29 & Passacaglia c-Moll BWV 582, Friedman: Fanfare aus „Solus“, Enescu: Légende, Gubaidulina: Hell und Dunkel, Eötvös: E-C-H-O, Vivaldi: Sovvente il sole aus „Andromeda liberata“, Hakim: Quatre Études-Caprices & Trompetensonate

Donnerstag, 06.06.2024 19:00 Uhr Stadtkirche Pirna

Iveta Apkalna, Martynas Levickis

Dresdner Musikfestspiele
Sonntag, 09.06.2024 17:00 Uhr Alte Oper Frankfurt

Iveta Apkalna, Enthusiastenorchester, Michael Sanderling

R. Strauss: Festliches Präludium op. 61, Saint-Saëns: Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78, Bizet: Carmen-Suiten Nr. 1-2 (Auszüge)

Freitag, 05.07.2024 19:00 Uhr Konzerthaus Berlin

Iveta Apkalna, Konzerthausorchester Berlin, Juraj Valčuha

Sibelius: Die Okeaniden op. 73, Deutsch: Orgelkonzert, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

Samstag, 06.07.2024 20:00 Uhr Konzerthaus Berlin

Iveta Apkalna, Konzerthausorchester Berlin, Juraj Valčuha

Sibelius: Die Okeaniden op. 73, Deutsch: Orgelkonzert, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

Sonntag, 07.07.2024 16:00 Uhr Konzerthaus Berlin

Iveta Apkalna, Konzerthausorchester Berlin, Juraj Valčuha

Sibelius: Die Okeaniden op. 73, Deutsch: Orgelkonzert, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

Donnerstag, 11.07.2024 19:00 Uhr Konzertkirche Neubrandenburg

Vineta Sareika, Gunārs Upatnieks, Iveta Apkalna

Festspiele Mecklenburg-Vorpommern

Rezensionen

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