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Porträt Simone Young

Ein schöpferischer Höhepunkt

Simone Young dirigiert Hans Pfitzners Palestrina an der Staatsoper

vonRichard Erkens,

Ich weiß, dass Sie Palestrina sind und dies Ihre Messe“, behauptete Wilhelm Furtwängler nach einer privaten Lesung des Textbuches. Eine kühne Behauptung, zumal Hans Pfitzner bis dato noch keine Note seiner neuen Oper niedergeschrieben hatte. Spekulationen und Deuteleien über persönliche Bezüge zwischen Werk und Schöpfer waren der „musikalischen Legende“ Palestrina also schon früh in die Wiege gelegt worden. Sie rissen auch nicht ab, als das Kind Laufen lernte, 1917 im Münchener Prinzregententheater. Für Thomas Mann, begeisterter Zeitzeuge der Uraufführung, bot das Werk einfach alles: Pessimismus und Humor, Metaphysik und Humanität, Künstlerdrama und Politiksatire.

Das ist schon ziemlich viel für eine Oper. Doch Pfitzners Opus Magnum löst diesen hohen intellektuellen Anspruch ein, bewegt es sich doch im Fahrwasser des Wagnerschen Musikdramas und kann als direkte Antwort auf die Meistersinger gelesen werden. So sieht das auch Simone Young: „Die Gemeinsamkeiten sind offensichtlich. Beide Opern greifen auf mittelalterliche Stoffe zurück, beide Opern sind Diskussionen über die Kunst.“ Musikalisch geht es moderat in die Moderne, aber umso beherzter zurück in die Vergangenheit. Eine Besonderheit dieser Zeit, von der wir sonst nur die avantgardistischen Extreme kennen. Pfitzner kombiniert den fülligen Orchesterklang mit der herben Strenge von Kontrapunkt und Kirchentonarten. Ein kompositorischer Bewahrer, der seinen eigenen Weg gegangen ist. „Meines Erachtens kann man etwa von Wagner über Pfitzner zu Hindemith eine ziemlich klare Traditionslinie ziehen“, sagt Young, die mit Künstleropern bestens vertraut ist. Die Meistersinger kennt sie auswendig, und mit Mathis der Maler hat sie ihren Einstand als Chefin an der Dammtorstraße gefeiert.

Um ein Meisterwerk geht es auch hier: Der Streit um die Reform der katholischen Kirchenmusik während des Trienter Konzils ist dafür der historische Rahmen. Giovanni Pierluigi da Palestrinas Missa Papae Marcelli gelingt es, Vokalpolyphonie und Textverständlichkeit zu vereinen. Ihr Entstehen hören wir am Ende des ersten Aktes als geisterumschwebte Inspirationsszene. Verstorbene Komponisten gucken ihm dabei über die Schulter. Palestrina ist ein Bewahrer, der dennoch seine künstlerische Individualität findet – als alter, vereinsamter Mann ohne Ambitionen. Mit der Welt der Bischöfe und Kardinäle, die sich im politischen Ränkespiel verkeilen, haben er und die Komposition der Messe wenig zu tun. Zwischen Kunst und Politik klafft ein tiefer Graben, so können wir das Werk Pfitzners verstehen.

Die Person Pfitzner dagegen nicht. In theoretischen und politischen Schriften meldete er sich immer wieder zu Wort, gebärdete sich als Deutschnationaler, der vor einer Futuristengefahr warnen zu müssen glaubte. Young meint dazu lapidar: „Seine Musik ist deutlich besser als seine schriftlichen Werke.“ Und mit Blick auf seine Anbiederung an die Nationalsozialisten: „Als Künstler muss ich das, was geschaffen wurde, von der Person, die es geschaffen hat, trennen können.“

Und ist Pfitzner nun Palestrina und die Oper seine Messe? Young formuliert es differenzierter als Furtwängler: „Vielleicht ging es ihm so ähnlich wie Palestrina in seinem Stück: Er hat mit diesem Werk seinen schöpferischen Höhepunkt erreicht und eigentlich alles gesagt, was er sagen musste.“

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