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Reportage Budapest

Der schöne Glanz der Vergangenheit

Schein oder Sein? Ungarns Regierung lässt in Budapest die Pracht der k.u.k.-Monarchie neu erblühen – das lockt Kulturtouristen an

vonChristoph Forsthoff,

Schon von außen ist das Budapester Vigado mit seinen vielen historischen Statuen und reichen Fassadenverzierungen im neoromanischen Stil ein Schmuckstück – die frisch sanierte Pracht im Inneren des im letzten Frühling wiedereröffneten Konzert- und Ballsaals lässt den Besucher indes nur noch sprachlos staunen. Und Erinnerungen aufkommen an jene Zeit, als Franz Liszt in der Konzerthalle im Stadtteil Pest nicht nur vor Kaiser Franz Joseph I. auftrat – und 1875 sein einziges gemeinsames Konzert mit Richard Wagner gab –, sondern auch zu speisen pflegte: War doch in dem seinerzeit Redoute genannten Gebäude auch ein Restaurant untergebracht.

Ohnehin lässt sich in Ungarns Hauptstadt allenthalben auf den Spuren des berühmten Komponisten wandeln, der zu Lebzeiten wie ein Popstar gefeiert wurde und mit seinen Werken die Identität der Nation prägte und in die (Musik-)Welt hinaustrug.

Betstuhl, Kruzifix oder Akademie: Liszt hat in der Stadt viele Spuren hinterlassen

Am Platz „Liszt Ferenc tér“ sitzt eine Skulptur des Komponisten, um die Ecke findet sich die von ihm gegründete Musikakademie, auf der Orgel der Franziskanerkirche – einer der schönsten barocken Sakralbauten des 16. Jahrhunderts – spielte er nicht nur sein letztes Stück in Budapest, sondern fand sich auch schon morgens um halb sieben zur Frühmesse ein; ein Schild mit seinem Namen rechts in der ersten Bankreihe erinnert bis heute an seinen Platz. Seine letzte Wohnung in der Donaumetropole – heute ein „Gedenkmuseum“ für den „Musiker mit den fliegenden Fingern“ – beherbergt neben Salon und Arbeitszimmer auch sein schmales, kurzes Bett samt Betstuhl und Kniebank mit tiefviolettem, abgewetztem Samtbezug, Kruzifix und Rosenkranz: Liszt war zeitlebens ein tiefgläubiger Mensch.

Ministerpräsident Orbán setzt auf nationalen Glanz

Von atemberaubender Pracht ist der Saal in „seiner“ Akademie, dessen golden verzierte Wände und Decke jedem Besucher den Atem stocken lassen – ganz im Sinne des heutigen ungarischen Ministerpräsidenten. Denn Premier Viktor Orbán setzt zumindest in der Hauptstadt auf (frisch sanierten) Glanz und nationales Selbstbewusstsein – und wo ließe sich selbiger besser zeigen als in solchen historischen Bauten aus den glorreichen Gründerjahren der legendären Donaumonarchie? Selbstredend, dass all diese Säle und Gebäude auch Eingang in das siebzehntägige Budapester Frühlingsfestival mit seinen mehr als 200 Veranstaltungen an 60 Orten finden, die neben Stars wie Elīna Garanča oder Vladimir Ashkenazy vor allem auf einheimische Künstler setzen: Nationales Selbstbewusstsein ist auch hier gefragt.

Obdachlose aus dem Blickfeld der Touristen verbannt

Die Kehrseite dieser glanzvollen Außendarstellung erfährt, wer mit den Menschen hinter den Kulissen und in jenen Seitenstraßen ins Gespräch kommt, wo die heruntergekommenen Fassaden der Jugendstilhäuser mangels Geld und touristischer Attraktivität nicht saniert werden. Wenn der Taxifahrer von der wachsenden sozialen Kluft im Lande erzählt, von den Obdachlosen, die aus dem touristischen Zentrum an den Stadtrand verbannt werden. Von hoher Arbeitslosigkeit und der zunehmenden Zahl derer in Ungarn, denen es schlechter als zu Zeiten des „Gulaschkommunismus“ geht, von Rentnern, die längst nicht mehr mit ihrer Rente auskommen. Oder die Studentin von Gebieten im Osten des Landes berichtet, wo der Staat kapituliert hat und marodierende Banden den Ton angeben. Ist es da verwunderlich, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Sehnsucht nach einem starken Mann ebenso wächst – und mit dieser eine Putinisierung der Gesellschaft einhergeht – wie nach dem Glanz längst vergangener Zeiten?

Letztere hat Orbán seit seiner Wahl 2010 immer wieder zu erfüllen gewusst – selbst dass der oberste Fußballfan des Landes gleich drei Stadien auf Staatskosten hat bauen lassen, haben ihm seine Landsleute im fußballverrückten Ungarn nachgesehen.

Prestigeträchtig: das Budapester Frühlingsfestival

Und zumindest die zahlreichen ausländischen Budapest-Besucher genießen die neue Pracht an der Donau wie auch das vielfältige musikalisch-kulturelle Leben: Straßenmusikanten singen und spielen allenthalben auf Plätzen, vor Metroeingängen und in Fußgängerunterführungen, Jazz und Roma-Melodien mischen sich hier mit Klassik und modernen Rhythmen.

In Hinterhöfen und heruntergekommenen Häusern hat sich eine lebendige und bunte Clubszene entwickelt, die an das Berlin der 90er Jahre erinnert, an der Donaupromenade – einst schon Liszts bevorzugte Wandelmeile für einen Spaziergang mit Freunden und Gästen – liegen nicht nur Restaurantschiffe, sondern auch schwimmende Jazzclubs, die Klezmer-Szene im jüdischen Viertel rund um die Große Synagoge lässt eine alte Musikkultur neu aufleben.

Wirklich prestigeträchtig ist indes das Frühlingsfestival – zumal der Kulturtourismus als stark wachsender Markt gilt. Und so hat denn 2014 die Regierung erstmals eine mittelfristige Finanzierungszusage von jährlich 5,3 Millionen Euro gegeben – im Gegenzug sollen nun nicht allein Konzerthäuser und Theater in die Planung einbezogen werden, sondern auch die Museen, soll das Programm die verschiedenen Künste integrieren, um so dem Anspruch des wichtigsten kulturellen Schaufensters des Landes umfassend gerecht zu werden. „Wir wollen der Welt das kulturelle Erbe und die Gefühle der ungarischen Nation zeigen – und natürlich auch, was wir für tolle Orte hier in Budapest haben“, formuliert es die offizielle Fremdenführerin mit pathetischem Selbstbewusstsein. Ein – zumindest nach außen – proklamierter Nationalstolz, der an die glanzvolle Epoche ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert anknüpfen will. 

 

Erlebt der Tanz auf dem Vulkan eine Neuauflage?

Wie die Geschichte seinerzeit endete, ist bekannt, die Musik dazu aus champagnertrunkener Operettenseligkeit und satirischem Tanz auf dem Vulkan wird bis heute im prachtvollen Budapester Operettentheater gepflegt. Ob diese Orbán eine Warnung ist? Eigene Fehler nagen an seiner Popularität, die wirtschaftlichen Probleme haben der rechtsradikalen Jobbik-Partei zu einem Höhenflug verholfen. Der Attraktivität des Kulturtourismus und der Ausstrahlung des Frühlingsfestivals tun diese Makel indes noch keinen Abbruch. Und vielleicht hält es der Premier ja auch mit Kálmáns Csárdásfürstin, die schon 1915 wusste: „Hurra! Hurra! Man lebt ja nur einmal! … Drum tanz‘, mein Lieber, eh’s vorüber!“

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