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Reportage: Neueröffnung Schumann-Haus Düsseldorf

Wo der junge Brahms einst an die Pforte klopfte

Hier verbinden sich Literatur- und Musikgeschichte, versöhnen sich Wirklichkeit und Poesie: Das neu eröffnete Schumann-Haus in Düsseldorf war der letzte gemeinsame Wohnort des legendären Musikerpaars Clara und Robert Schumann und ihrer sieben Kinder. Das Museum macht das 19. Jahrhundert in seiner Komplexität zwischen Romantik und Revolution so greifbar wie nur wenige Orte in Deutschland.

vonPeter Krause,

Sind Romantiker heimliche Revolutionäre? Oder neigen Romantiker nicht eher zum Reaktionären? Für Letzteres scheint ihre Weltflucht ins Ideale, verschwommen Vergangene zu sprechen, das sich einer positivistischen Realitäts- und Fortschrittsgläubigkeit entzieht. Doch ein Richard Wagner stand anno 1849 höchstselbst auf den Barrikaden des Dresdner Maiaufstands, um als überzeugter Republikaner bürgerliche Grundrechte und demokratische Partizipation wider das monarchische Machtmonopol zu erkämpfen. Sein dichtender Düsseldorfer Kollege Heinrich Heine sog im Exil in Paris, jener „Hauptstadt der Revolution“, die umfassenden Ideen der Freiheit auf, als Schriftsteller des „Jungen Deutschland“ war er entflammt für die Dynamik großer gesellschaftlicher Veränderungen. Und Robert Schumann? Unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts gilt er als der deutsche Romantiker schlechthin. Seine vor poetischem Gehalt überströmende Kammermusik und Sinfonik, seine die Liebestreue feiernde Oper „Genoveva“, seine Lieder, die er mit besonderer Vorliebe auf Gedichte just von Heinrich Heine schrieb – sein ganzes Werk ist Inbegriff des romantischen Geistes.

Das Schumann-Haus Düsseldorf in der Bilker Straße 15, in dem das Komponistenehepaar von 1852 bis 1855 lebte
Das Schumann-Haus Düsseldorf in der Bilker Straße 15, in dem das Komponistenehepaar von 1852 bis 1855 lebte

Zwischen Romantik und Revolution

Rund ein Drittel davon hat er in Düsseldorf geschrieben, wo er mit seiner Frau Clara und den sieben Kindern in der Bilker Straße 15 ab 1852 in zwei Geschossen seinen Wohnsitz nahm. „Straße der Romantik und Revolution“ wird die kulturhistorisch bedeutsame Adresse heute genannt. Hier treffen sich Heine und Schumann. Hier verbinden sich Literatur- und Musikgeschichte, versöhnen sich Wirklichkeit und Poesie. Hier wird das 19. Jahrhundert in seiner Komplexität zwischen Romantik und Revolution so greifbar wie an nur wenigen Orten in Deutschland. Doch erst durch die jüngste Eröffnung des Schumann-Hauses wird das Bild vollends komplett. Und es konfrontiert die Besucher, schreiten sie vom Museumsshop im Erdgeschoss in die Belle Etage der Familie Schumann empor, sogleich mit dem Künstlerpaar – als Revolutionäre. Denn der erste Blick im durch den Museumsausbau möglich gewordenen modernen Empfangszimmer fällt auf eine Installation in der Ästhetik des Scherenschnitts: Das reisende Ehepaar Clara und Robert Schumann kommt mit Koffern in Düsseldorf an – und findet sich wieder in einer in die Farbe der blauen Blume getauchten Doppelwelt zwischen idyllischen Bäumen zur Linken und mit Kanonen aufgerüsteten Barrikaden zur Rechten. In anderen Worten: zwischen Romantik und Revolution.

Im Schumann-Haus Düsseldorf steht die sinnlich-spielerische Vermittlung des Lebens und Wirkens der Schumanns im Fokus
Im Schumann-Haus Düsseldorf steht die sinnlich-spielerische Vermittlung des Lebens und Wirkens der Schumanns im Fokus

Das Schaffen der Schumanns im Kontext ihrer Epoche

Das Bild ist kein Klischee. Denn Schumanns intellektueller und künstlerischer Freundeskreis zu den nur wenige Jahre zurückliegenden Dresdner Revolutionszeiten steht klar auf der richtigen Seite der radikalen Veränderung. Durchaus euphorisch sieht Robert Schumann „große Zeiten“ und den „Völkerfrühling“ aufziehen. Zwar greift er nicht aktiv ins aufgewühlt lebensgefährliche Geschehen ein, wie dies sein Kollege Richard Wagner tat. Der Schutz seiner jungen, stetig wachsenden Familie mag ihn davon abgehalten haben. Doch seine Musik ist weit mehr als tönende Poesie. Seine politische Position spricht aus ihr – auch als direkter Rekurs aufs Revolutionäre, so in den „Drei Freiheitsgesängen“ von 1848, ein echtes Bekenntnis zur Demokratie. Das Schaffen der Schumanns im Kontext ihrer Epoche zu sehen, wird im Eingangsraum des Museums plastisch ermöglicht dank der Parallelen, die ein Zeitstrahl aus allen Lebensbereichen aufzeigt. Doch das Museum eines Musikerpaars (fraglos eines der wichtigsten und zumal gleichberechtigsten der gesamten Musikgeschichte) ist im Kern natürlich kein Hort der politischen Bildung. Im Düsseldorfer Schumann-Haus – die einzig noch erhaltene Wohnadresse der berühmten Musikerfamilie in historischer Bausubstanz – steht denn auch die sinnlich-spielerische Vermittlung des Lebens und Schaffens des Ehepaars im Fokus.

Keine geschriebene Note wird ohne den dazugehörigen Klang präsentiert
Keine geschriebene Note wird ohne den dazugehörigen Klang präsentiert

Wertvolle Exponate

Für die Leichtigkeit des Konzepts steht etwa die sogenannte Lästerkammer. In dem besenkammerkleinen Raum kann jeweils nur eine Person auf einem Stuhl platznehmen, um allerhand Gerüchten und Lästereien aus der Düsseldorfer Stadtgesellschaft rund um das Ehepaar zu lauschen. Im wissenschaftlich seriösen Mittelpunkt der Ausstellung stehen indes wertvolle Exponate aus der umfangreichen Schumann-Sammlung des gegenüber gelegenen Heinrich-Heine-Instituts sowie einige schöne Stücke der Robert-Schumann-Gesellschaft e. V. Düsseldorf. So ist jenes Schwanenfedercape in einem eigens dafür gebauten Plexiglassturz zu bewundern, mit dem sich Clara Schumann direkt vor ihren Auftritten als damals weltweit berühmtester Klaviervirtuosin in den chronisch schlecht beheizten Konzertsälen ihrer Zeit vor Erkältungen schützte. Einer der Trauerschleier, die Clara nach dem frühen Tod ihres Mannes bis an ihr Lebensende trug, ist ebenso zu sehen wie eine rötlich verfärbte Locke Roberts, die bei einer späten Obduktion aus seinem Sarg entnommen wurde.

Ein Schreibtisch, der Robert Schumanns Möbelstück nachempfunden ist, vermittelt als museales Herzstück unter anderem den Tagesablauf des Komponisten
Ein Schreibtisch, der Robert Schumanns Möbelstück nachempfunden ist, vermittelt als museales Herzstück unter anderem den Tagesablauf des Komponisten

Jeder Winkel des Schumann-Hauses verströmt den Geist des 19. Jahrhunderts

Das im besten Sinne anschauliche Prinzip „keine Note ohne Musik“, ergo ohne Tonbeispiel, gilt für die zahlreichen Originalhandschriften der ausgestellten Notenblätter, unter denen zumal die in Düsseldorf entstandene „Rheinische“ Sinfonie natürlich nicht fehlen darf. Wo aber im strengen Sinne authentische Objekte fehlen, hat Sabine Brenner-Wilczek, die als Direktorin des Heinrich-Heine-Instituts und des Schumann-Hauses auch die Hüterin über das Archivmaterial ist, mit ihrem Team reizvolle Ideen der Vermittlung umgesetzt, um den Geist des 19. Jahrhunderts wirklich in jedem Winkel des Schumann-Hauses zu verströmen. Da das Original von Robert Schumanns Schreibtisch im Museum seiner Geburtsstadt Zwickau steht, ist nun in Düsseldorf eine Nachbildung zu sehen, an der die Besucher Platz nehmen und in alten Büchern blättern können, die der Lektüre der Schumanns entsprechen. Ein restaurierter historischer Flügel des renommierten Düsseldorfer Klavierbauers Klems, der im 19. Jahrhundert aufgrund seiner technischen Innovationen und dank seines ausgeglichenen Tons mit Erard verglichen wurde, erinnert an das Geschenk, das Robert seiner Frau zu deren 34. Geburtstag als Überraschung machte.

Ein Abend-Cape aus Schwanenfedern ist eines von vielen Ausstellungshighlights im neuen Schumann-Haus
Ein Abend-Cape aus Schwanenfedern ist eines von vielen Ausstellungshighlights im neuen Schumann-Haus

Die Ur-Ur-Ur-Enkelin von Clara und Robert Schumann spielte zur Eröffnung ein beziehungsreiches Programm, das die weibliche und männliche Perspektive bewegend verband

Klaviermusik von Clara Schumann und ihrem Umfeld erklang auch zur feierlichen Eröffnung des Museums im angrenzenden Palais Wittgenstein, dessen Kammermusiksaal jenseits der intimen Wohnräume auch größere Konzerte ermöglicht, die das Schumann-Haus in Verbindung mit dem Heine-Institut regelmäßig anbietet, im Besonderen für Formate zwischen Literatur und Musik. Schöner, beziehungsreicher und stimmiger konnte der Weg ins Museum nicht geebnet werden, als Heike-Angela Moser ihn nun zur Premiere bereitete. Die Pianistin und Ur-Ur-Ur-Enkelin von Clara und Robert Schumann ließ dazu den einstigen jungen Düsseldorfer Hausgast Johannes Brahms mit seinen Intermezzi op. 117 auftreten und konfrontierte ihn mit Werken der Hausherren – Clara Schumanns Scherzo d-Moll op. 10 und Robert Schumanns Romanze Fis-Dur op. 28 – sowie jenen der Geschwister Fanny Hensel mit ihrem Allegro molto c-Moll und Felix Mendelssohn mit seinem Frühlingslied A-Dur op. 62/6.

Angemessener könnte eine Eröffnung kaum sein: Heike Angela Moser spielt Werke von Brahms und Schumann.
Angemessener könnte eine Eröffnung kaum sein: Heike Angela Moser spielt Werke von Brahms, Mendelsohn, Hensel und Schumann.

Die Interpretin erläutert die Dramaturgie: „Die Programmzusammenstellung entspringt einem Ausschnitt aus ‚The Landscape of Clara Schumann‘, eines von mir neu konzipierten Rezital-Programmes. Johannes Brahms, der 1853 genau vor jener Wohnungstür der Schumanns gestanden haben muss, die nun in der Bilkerstraße einem jedem Museumsbesucher offen steht, bildet mit seinen beiden Intermezzi in Es-Dur und b-Moll gleich zu Beginn eine Einheit, die im Nachfolgenden nur noch Paarbeziehungen vergönnt ist: dem Geschwisterpaar Fanny und Felix Mendelssohn und dem Liebespaar Clara und Robert Schumann. Das Spannende und, wenn man so will, Experimentelle hierbei ist, dass hier weibliche und männliche Seelensprache, Gefühlsästhetik und Formalästhetik sowie die Kompositionsstile in unmittelbarem Kontrast aber auch in direkten Beziehungen aufeinandertreffen – ganz so, wie es zur damaligen Zeit im freundschaftlichen und kollegialen Umfeld der Schumanns war. Wie sehr die weibliche Kraft hierbei alles bisher Bekannte durch ihre spezifische Energie sprengt, ist vielleicht eine der zentralen Erfahrungen des Konzertabends.“ In den Kompositionen treffen der romantische Geist der Männer und der revolutionäre Trotz der Frauen aufeinander – sie differenzieren damit das Motto dieses Zentrums der Kultur des 19. Jahrhunderts noch einmal höchst ohrenfällig.

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