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Opern-Feuilleton: Die Operngala auf dem Prüfstand

Magie des Wiederhörens

Sie wird innig geliebt und heftig geschmäht: Am Format der Operngala scheiden sich die Geister in Wiederholungstäter und Totalverweigerer. Zeit für eine Hommage.

vonPeter Krause,

Primadonnen staksen in wallenden, dennoch nicht immer vorteilhaft figurbetonten Gewändern auf die Vorderbühne, Tenöre und Baritone folgten ihnen mit geschwollener Brust in den immergleichen schwarzen Fracks. Nach einer vom Orchester pflichtschuldig absolvierten Ouvertüre geben die Sänger jene Arien und Duette zum Besten, die allesamt den Bekannt­heitsgrad einer OpernHitparade besitzen. Eine mindestens stadtbekannte Persönlichkeit moderiert den Abend und mischt Anekdoten mit mehr oder weniger witzig verpacktem Hintergrundwissen. So lauten die Vorurteile, wenn es darum geht, das Phänomen der Operngala zu beschreiben.

Doch das scheinbar in die Jahre gekommene Format verströmt ungebrochen seinen Reiz und wirkt weiterhin enorm attraktiv auf all jene melomanen Menschen, die sich vom Zauber schöner Stimmen allzu gern berühren lassen. Psychologisch ist die Wirkungsweise nur verständlich. Denn einerseits sind wir zwar von Geburt an neugierig und offenohrig für das bislang Unerhörte, wollen den Horizont eigener künstlerisch-emotionaler wie intellektuell-wissens­orientierter Erfahrungen ein Leben lang erweitern. Andererseits ist das Wiederhören des einmal als schön, gut und wahr Erkannten von ganz eigenem Zauber. In der Wiederholung liegt das Faszinosum der Erinnerung: Anders ist das jährlich erneuerte Feiern von Geburtstagen oder die Wahl des immergleichen, bestenfalls variierten Urlaubsortes kaum erklärbar. Auch die lebenslange Liebe, die den kurzfristigen Kick der ­Affäre überdauert und überstrahlt, ist nur als lebensfreudiges Wiedererkennen und Bestätigen des einstmals als richtig Erfassten zu verstehen.

Musikerlebnis in der Gruppe

Zudem nicht zu unterschätzen ist der Punkt, an dem das psychologisch Individuelle in die Entstehung von Gemeinschaft und Gesellschaft mündet. Denn eine starke Operngala ist immer auch ein Fest, in dem das Teilen des musikalischen Erlebens in einer Gruppe von Gleichgesinnten die Emotionen gleich einem kollektiven Ritual besonders intensiv macht. Ein spannender Fußballabend funktioniert da kaum anders. Die häufige Bezeichnung als „festliche“ Operngala ist kaum zufällig gewählt. Die erfolgreichen Charity-Events der Deutschen AIDS-Stiftung funktionieren gerade deshalb so gut. An der Deutschen Oper Berlin sowie den Opernhäusern in Bonn und Düsseldorf spielen die Gala­abende der Stiftung regelmäßig sechsstellige Eurobeträge als Reinerlös für den guten Zweck ein, dem sich auch die teilnehmenden Künstler verpflichten, da sie auf ihre Gage verzichten.

Erfolgsgarant neben der unbedingten musikalischen Qualität ist die mitreißende Moderation. Die AIDS-Gala in Berlin beispielsweise wird Tenorliebling Rolando Villazón in seiner sehr eigenen Mischung aus Charme, clowneskem Witz und profundem Wissen mit seinen prägnanten Wortbeiträgen bereichern. Eine exzellente Moderation schafft Mehrwert durch lustvolle Musikvermittlung eines Programms, das im besten Falle dann doch nicht nur schlicht die Nummern eines Wunschkonzerts aneinanderreiht. Eine kluge Dramaturgie des Galaabends schmuggelt eben neben Puccinis Verismo-Evergreens auch die Arien seiner Zeitgenossen Cilea oder Giordano, konfrontiert Mozart mit Salieri oder verknüpft Verdis Hits aus seinem mittleren Schaffen auch mal mit Höhepunkten aus seinem viel zu selten gehörten Frühwerk.

Letztlich bietet aber sogar die Magie des Wiederhörens des sattsam bekannten Repertoires weit mehr als den gepflegten Genuss des immergleichen Menüs. Denn jede Sängerin und jeder Sänger gestaltet mit dem eigenen Gespür für Zwischentöne, Phrasenbildung und Wortnuancen noch die berühmteste Arie neu und frisch. Solche kleinen, feinen Unterschiede wahrzunehmen und zu würdigen, macht die Freunde der Operngala zu veritablen Experten des schönen Singens.

concerti-Tipps:

27. Festliche Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung
Ensemble, Chor, Kinderchor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Andrea Sanguineti (Leitung), Rolando Villazón (Moderation)
Sa. 4.11., 19:00 Uhr
Deutsche Oper Berlin

14. Festliche Operngala für die Deutsche AIDS-Stiftung
Ensemble der Deutschen Oper am Rhein, Düsseldorfer Symphoniker u. a.
Sa. 23.3.24, 19:30 Uhr
Deutsche Oper am Rhein – Opernhaus Düsseldorf

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