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Interview Barrie Kosky

Das Mischpoche-Gefühl oder A love letter to Monteverdi

Barrie Kosky, der neue Intendant der Komischen Oper Berlin, inszeniert zum Auftakt die Monteverdi-Trilogie als 12-Stunden-Spektakel

vonIrene Bazinger,

Schon in Australien hat Barrie Kosky, der 1967 in Melbourne geboren wurde, sowohl Opern als auch Sprechtheater inszeniert. Von 2001 bis 2005 war er Ko-direktor des Wiener Schauspielhauses, wo er mit seinen musikalischen Crossover-Projekten Aufsehen erregte. Intendant Andreas Homoki holte ihn als Regisseur an die Komische Oper Berlin und schlug ihn dann als seinen Nachfolger ab Herbst 2012 vor. Koskys erster Spielplan vereint ernste Musik und leichte Muse, unbekannte und wohl vertraute Werke – alles geprägt von „Humor, Leichtigkeit, Erotik“.

Herr Kosky, Sie waren als reisender freier Regisseur sehr erfolgreich. Warum sind Sie nun Intendant geworden?

 

Ehrlich gestanden, habe ich das nie vorgehabt. Aber wenn Intendant, dann nur an der Komi-schen Oper Berlin! Ich habe keine großen Ambitionen, danach ein anderes Haus zu übernehmen. Denn ich liebe die Komische Oper, ihre Philosophie, ihre Identität, ihre Beschäftigten. Und man spürt, wenn man hier eine Inszenierung macht, wie sehr alle an einem Strang ziehen: Der Requisiteur, die Techniker, das Orchester, der Chor, die Solisten. Und die Bühnenarbeiter stehen während der Proben an der Seite, hören zu und be-obachten alles. Das passiert nicht an jedem Opernhaus. Dieses „Mischpoche-Gefühl“ ist sehr wichtig für mich!

Gerade an einem Haus wie diesem wird Ihnen die Gretchen-Frage nicht erspart bleiben: Wie halten Sie’s mit der Tradition?

 

Die ist in einem Haus wie der Komischen Oper natürlich sehr wichtig. Aber die Tradition der Komischen Oper hat für mich nichts damit zu tun, ob Felsensteins oder Kupfers Inszenierungen im Repertoire bleiben – sondern dass wir uns immer wieder aufs Neue fragen: Warum spielen wir Oper? Wie proben wir diese Opern? Diese Herangehensweise geht auf Felsenstein zurück. Ebenso der Stellenwert des Chores. Für mich sind die 58 Chorsolisten – was für ein schöner Titel! – sowieso „The beating heart of the house“. Aber es gibt noch andere Traditionen – denken wir an die Vorläufer der Komischen Oper, zumal das 1898 gegründete Metropol-Theater. Dessen Geschichte ist fast vergessen. Dabei traten hier alle Stars aus den 1920er, 1930er Jahren auf, wie Fritzi Massary, Adele Sandrock, Richard Tauber, Oskar Denesch, Max Hansen. Es gab Premieren von Franz Lehár, Paul Abraham, Oscar Straus. Warum spricht niemand darüber? Wir wollen das ändern und dem Haus wieder die Bandbreite beider Traditionen erschließen. Felsenstein hat übrigens auch Operetten inszeniert und das Haus 1947 mit Die Fledermaus eröffnet. Und Anatevka – Fiedler auf dem Dach in seiner Regie lief 18 Jahre und kam auf über 500 Vorstellungen.

 

Sie beginnen Ihre Intendanz mit einem Paukenschlag und bringen alle drei Monteverdi-Opern in einem zwölfstündigen Spektakel mit fast 200 Beteiligten heraus.

 

Für mich zählt Monteverdi mit Mozart und Janácˇek zu den größten Opernkomponisten. Sein Blick auf die Welt ist fast wie der von Shakespeare – er bewertet nichts, was er sieht. Seine Götter und Menschen sind alle so kompliziert und problematisch wie wir, auch ihre Gefühle, ob Liebe, Hass oder Eifersucht. Monteverdis Werke enthalten die DNA der Oper – bis heute. Zur Eröffnung wollte ich etwas Besonderes für die Komische Oper und habe deswegen mit der usbekischen Komponistin Elena Kats-Chernin wegen einer Bearbeitung gesprochen. Sie hat die Harmonien und weitgehend die Tempi belassen, aber die Orchestrierung komplett verändert, sodass Orpheus, Odysseus und Poppea jeweils andere musikalische Begleitungen haben und in ganz verschiedene Klangwelten führen. Die Continuo-Gruppen werden von in diesem Zusammenhang sehr ungewöhnlichen Instrumenten wie zum Beispiel Cimbalom, Kamantche, Marimba, Bandoneon, Banjo, E-Gitarre gebildet. Manchmal klingt das jazzig, manchmal nach Zigeunermusik oder südamerikanisch nach Villa-Lobos und Piazolla. Für Barock-Fetischisten wird das vielleicht ein Alptraum, weil außerdem deutsch gesungen wird. Man versteht jedes Wort, das ist bei Monteverdi wichtig, es gibt eine neue, superschöne Übersetzung. Aber alle anderen spitzen hoffentlich die Ohren und hören Monteverdi ganz neu.

 

Haben Sie mit dieser Bearbeitung Monteverdis Kompositionen verbessert oder verschlechtert? Dekonstruiert, überfrachtet oder in die Gegenwart gerettet?

 

Weder noch! Es ist lediglich eine spezielle Interpretation und ein Experiment. Viele Komponisten wie Hindemith, Orff, Henze, Berio haben im 20. Jahrhundert Ähnliches versucht. Wir haben großen Respekt vor Monteverdis Musik, aber er hat eben nur die Singstimmen und den Basso continuo notiert. Wir haben keine Schallplatten, wie seine Opern tatsächlich aufgeführt wurden. Das heißt, wir haben heute eine unglaubliche Freiheit. Und so ist unsere Bearbeitung ein „Love letter to Monteverdi“! Für alle Beteiligten wird das eine unglaubliche Reise – man verbringt zwölf Stunden miteinander in der Komischen Oper! Es wird natürlich nicht nur Musik geben, sondern auch Frühstück, Mittagessen, Abendbrot für alle möglichen Geschmacksrichtungen vom Wurststand bis zur asiatischen Küche. Der rote Faden meiner Inszenierungen sind die Liebesgeschichten in diesen Opern. André de Ridder wird alle drei Stücke dirigieren, das ist auch für ihn neu. Später kann man sie selbstverständlich einzeln im Repertoire sehen. 

Ihr erster Spielplan reicht von Hochkultur zu leichter Muse, von Olga Neuwirths American Lulu als Uraufführung über die Kinderoper Ali Baba und die 40 Räuber von Taner Akyol, ebenfalls eine Uraufführung, und Tschaikowskys Mazeppa als Berliner Erstaufführung bis hin zu Paul Abrahams Operette Ball im Savoy. Ist das Kraut und Rüben oder ein ausgetüfteltes Konzept?

 

Ich möchte nicht jeden Tag dasselbe essen. Warum soll ich jeden Tag dieselbe Musik zu mir nehmen? So sehe ich das Leben und das Theater. Wir haben lange über den Spielplan diskutiert und uns dann zum Risiko entschlossen. Als Intendant der Komischen Oper habe ich unter anderem auch die Aufgabe, unbekannte Stücke vorzustellen und den Zuschauern neue Blicke auf bekannte Stücke zu ermöglichen. Für uns ist sehr wichtig, die Flexibilität und Vielfältigkeit des Hauses zu zelebrieren. Als Regisseur muss ich szenische Bilder schaffen, aber das ist einfach. Je älter ich werde, desto weniger interessiert mich Ausstattungstheater, denn das ist eine Sackgasse. Der singende Mensch soll hier auf der Bühne stets im Mittelpunkt stehen – das war immer eine Qualität der Komischen Oper. Und ich finde es toll, dass alle Stücke von denselben Musikern gespielt werden. In der zweiten Saison werden wir etwa Bernsteins Westside Story und Zimmermanns Die Soldaten neu herausbringen – wieder mit dem gleichen Orchester. Wer kann das denn sonst noch?

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