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Porträt Sofia Gubaidulina

„Inspiration muss bezahlt werden“

Sie gehört zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Nun ist Sofia Gubaidulina Capell-Compositrice der Dresdner Staatskapelle

vonThomas Jakobi,

„Für mich sind die Einsamkeit und die Stille nötig. Ohne die Natur, die mich hier umgibt, ist es unmöglich, die Konzentration des Geistes zu bekommen.“ Im Gespräch mit dem NDR hat Sofia Gubaidulina diese klaren Worte gefunden. Die Stille findet sie seit fast zwei Jahrzehnten im kleinen Ort Appen vor den Toren Hamburgs, wo sie sich auch heute ganz aufs Komponieren konzentrieren will – keine Zeit für Interviews.

Am 24. Oktober 1931 wurde sie in Tschistopol in der damaligen Tatarischen Sowjetrepublik geboren. In den 60er Jahren, nach dem Studium am Konservatorium in Moskau, lebte sie in der sowjetischen Hauptstadt als freie Komponistin, obwohl das im sozialistischen System eigentlich nicht vorgesehen war und alles, was man unter „Neuer Musik“ verstand, als westlich-dekadent verbannt wurde. Auch am Konservatorium musste sie sich gegen Kritik wehren – sie sei zwar talentiert, wurde ihr nach ihrer Abschlussprüfung bescheinigt, habe aber stilistisch einen falschen Weg eingeschlagen. Immerhin riet ihr Dmitri Schostakowitsch, ihren Weg, „so fehlgeleitet er auch ist“, fortzusetzen.

Ein Zusammenspiel aus Emotion und Konstruktion

Das tat sie dann auch, mit der Folge, dass sie sich die wesentlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts – erweiterte Tonalität, Aleatorik, Serialismus, Umgang mit Elektronik – selbst aneignete und diese Einflüsse zu ihrer ganz eigenen Mischung verschmolz. Besondere Bedeutung hat für Sofia Gubaidulina die Symbolik der Zahlenverhältnisse, wie sie im Werke Bachs zu finden ist – ihm fühlt sie sich auch durch den tiefen christlichen Glauben verbunden und durch die Überzeugung, dass in jeder Komposition Emotionalität und Intellekt zusammen finden müssen. Ihre Musik soll, wie sie es formuliert, „unbedingt ihre logische Struktur, einen dramaturgisch gezielten Aufbau haben, zugleich aber unmittelbar erschüttern, die Gefühle des Hörers schonungslos aufwühlen.“

Sie würde ihre Werke eher „züchten“ als „bauen“, hat sie einmal gesagt, und darum bilde die gesamte von ihr vorgefundene und in ihr Bewusstsein aufgenommene Welt gleichsam die Wurzeln eines Baumes und das daraus gewachsene Werk seine Zweige und Blätter. Es ist selten absolute Musik, die Gubaidulina komponiert – fast immer stehen ihre Werke in Bezug zu außermusikalischer Symbolik, religiösen, philosophischen, manchmal auch mystischen Gedanken oder literarischen Texten.

1980 schrieb sie das Violinkonzert Offertorium, das ein Schlüsselwerk ihrer Karriere werden sollte. Der schon damals berühmte Geiger Gidon Kremer, der die Sowjetunion gerade verlassen hatte, hat das ihm gewidmete Konzert immer wieder aufs Programm seiner Konzerte gesetzt. Damit wurde Gubaidulina im Westen erstmals dem Publikum bekannt – einem kleinen, spezialisierten natürlich. Auch nach ihrem Umzug nach Deutschland 1992 dauerte es, bis sie von der breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurden. Heute ist das geschafft: Inzwischen gehört sie zu den großen Namen der Neuen Musik, ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und Trägerin des Ordens Pour le mérite. Viele Entbehrungen gab es auf dem beschwerlichen Weg, aber das kennt Sofia Gubaidulina nicht anders – und eigentlich will sie es auch nicht anders, denn die raren Momente des Erfolgs seien es wert. „Eigentlich ist es ein sehr interessantes Leben in solchen phantastischen Momenten – aber dann: so viel Arbeit, so viele Enttäuschungen – jede Inspiration muss bezahlt werden. Aber das ist gut so, das ist das Leben!“

Was zu Sowjetzeiten der politischen Situation geschuldet war, hat sich Sofia Gubaidulina zum Schaffensprinzip gemacht: ganz bei sich selbst zu sein, unbedingte Originalität zu verwirklichen und alle Zugeständnisse an den Mainstream zu verweigern.

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