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Porträt Omer Meir Wellber

„Was sollte man auch sonst tun?“

Dank seines Talents und Förderern ist der Dirigent Omer Meir Wellber auf dem besten Wege, ein ganz Großer zu werden

vonChristian Schmidt,

Zum Interview verabredet sich Omer Meir Wellber gern im Herzen jener Stadt, die er als Heimstätte für seine Weltreisen in Sachen Orchesterleitung auserkoren hat: am Neumarkt in Dresden. Hier ganz in der Nähe hat der Dirigent eine Wohnung: Steht er doch gleich mehrmals im Jahr am Pult der Staatskapelle, die er weniger pflichtgemäß als vielmehr mit echter Begeisterung zu den besten Orchestern der Welt zählt. Und er muss es wissen, denn Wellber – der sehr weit zurückliegende, aber durchaus nachvollziehbare deutsche Wurzeln hat – macht bei aller Weltgewandtheit aus seiner Sympathie für den individuellen Klang keinen Hehl. Vor allem dann nicht, wenn es um Werke geht, die ortsfeste Ensembles im Blut haben, wie der Kosmopolit meint: „Gerade Richard Strauss muss man hier nicht dirigieren, den lebt man. Ich höre geradezu das Erbe von Karl Böhm, der bei uns zu Hause einen prominenten Platz im Plattenschrank einnahm.“ Ganz ohne Worte finde da in Proben wie Aufführungen ein Dialog statt, der nur bei charakterstarken Klangkörpern wie der Staatskapelle möglich sei. „Zwar ist das Niveau der Orchester international gestiegen, aber die Identität geht verloren.“

Trotz seines beinahe noch jugendlichen Alters kann sich Wellber seine Engagements mittlerweile aussuchen – weltweit. Repertoireaufführungen macht er folglich nur dort, wo er mit den Orchestern vertraut ist. „In Dresden etwa reichen mir zwei Proben, wo ich anderswo zehn benötigen würde.“ Überhaupt hat der attraktive, sympathische Dirigent ganz klare Grundsätze, die er kaum einmal verlässt: Kommt eine Anfrage sehr langfristig, akzeptiert er ein Drittel neu einzustudierende Stücke – für das Übrige schöpft er aus seinem Repertoire. Und das ist weiß Gott riesig: Denn wofür andere Dirigenten in der Opern- wie in der sinfonischen Literatur ein ganzes Leben brauchen, da hat Wellber seine Programmlücken binnen kurzer Zeit gefüllt. Wie das geht? „Ich verfüge Gott sei Dank über ein immenses Gedächtnis, das während meines Studiums in Be’er Sheva geschult wurde.“

Bei Neuinszenierungen ist er im Probenprozess voll präsent

Aus eben diesem entsprechend genauen Partiturstudium erwächst auch die bezwingende Kraft seiner Interpretationen: „Ich halte mich möglichst genau an das, was in den Noten steht“, beschreibt Wellber selbst seine Arbeit zwar ganz nüchtern – „was sollte man auch sonst tun?“ Nur ergibt das eben kein Buchstabieren, sondern ein inneres Glühen, als stünden die Komponisten selbst am Pult! Wellber ist stets ihr Fürsprecher – auch in heiklen Fragen, die mit Regisseuren auszufechten sind. „Wenn ich nicht glücklich bin, sind es alle nicht, und wenn es nicht gut wird, gehe ich lieber“, sagt ohne falsche Bescheidenheit ein Dirigent, der auch schon mal auf die Bühne klettert, wenn es an Neuinszenierungen geht. „Ich versuche, von Anfang an sehr präsent zu sein, arbeite viel mit den Sängern und korrepetiere die Proben selbst. Dann haben wir für die Aufführungen eine nachgerade persönliche Beziehung aufgebaut.“

Eine ähnliche Anhänglichkeit führt den Künstler auch immer wieder in seine Heimat Israel zurück, wo er regelmäßig gastiert – nicht ohne Sorge über die Situation und Kritik an der politischen Führung, zugleich aber ganz Patriot. Denn trotz oder gerade wegen der Widersprüchlichkeiten des Krieges fände sich hier die „surrealistische Situation“, dass es bei nicht mal einer Million Einwohnern in der Hauptstadtregion eine riesige, öffentlich finanzierte Kulturszene gebe. „In Tel Aviv ist das Alltag, man flüchtet vor den realen Gefahren in die Genüsse der Kunst.“

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