Der künstlerische Leiter Tomasz Konieczny hat mit unserem Autor Christian Schmidt über den besonderen Reiz des Baltic Opera Festival gesprochen:
Wie ist es Ihnen innerhalb kürzester Zeit gelungen, aus der Waldoper wieder einen so großartigen Festivalort zu machen?
Tomasz Konieczny: Die Waldoper im Kurort Sopot zwischen Danzig und Gdynia gibt es schon seit 1909. Der Ort ist einzigartig, schon allein wegen der hervorragenden Akustik, die schon 1909 entdeckt wurde. Auch haben wir hier die gesamte Infrastruktur für Opernaufführungen. Der Zuschauerraum ist als Amphitheater für mehr als 5.000 Zuschauer gebaut. Darüber hinaus gibt es einen wunderbaren Orchestergraben. Die erste Ausgabe im letzten Jahr hat wirklich Riesenwellen in Europa und in der Welt geschlagen. Der ursprüngliche Grund war allerdings ein anderer – die Pandemie: Wir freischaffenden Künstler hatten damals keine Auftrittsmöglichkeiten durch die Maßnahmen. Im Freien zu spielen war ungleich einfacher und entsprach den damaligen Regeln. Das hatte ich auch irgendwo im Hinterkopf gehabt – und so habe ich gehandelt. Die Idee ist 2020 entstanden, 2023 konnten wir starten. Drei Tage dauerte das erste Festival, allein 8.000 Zuschauer erlebten den „Fliegenden Holländer“.
Wie erlebt das Publikum die Synästhesie zwischen Naturmusik und Bühnengeschehen, wen sprechen Sie mit dem Programm gezielt an?
TK: Das Ambiente der Waldoper Sopot zwischen Hügeln, mitten im Wald, mit Vögeln und manchmal auftauchenden Windböen, aber auch mit dem Bewusstsein eines nur 500 Meter entfernten Strandes ist einzigartig. Natur und Oper bilden hier eine einzigartige Synthese. Seit letztem Jahr ist es auch für Zuschauer und Bühne überdacht – der Klang des Orchesters kommt aus den Tiefen des Grabens. Es ist mystisch. Mit dem Baltic Opera Festival möchte ich mich nicht nur an Opernfans wenden, sondern auch an alle, die in der Gegend Urlaub machen. Wir öffnen Oper für ein breiteres Publikum. Und es funktioniert: Bei uns ist das Publikum ca. 20 Jahre jünger als bei den meisten anderen Festivals. Ich möchte aber auch beweisen, dass Kultur und Oper verbindet und Brücken bauen kann. Die Schirmherrschaften hatten im Sommer 2023 der deutsche und der polnische Präsident übernommen – ein großes Zeichen, für das ich sehr dankbar bin. Dieses Jahr haben wir auch das Ukrainian Freedom Orchestra als Festivalorchester zu Gast. Das ist ein Versuch, Solidarität zu zeigen mit der ukrainischen Nation.
Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Hochkultur im Allgemeinen und die Opernlandschaft im Besonderen in Polen bestellt?
TK: Die Situation der Oper in Polen ist wirklich nicht sehr rosig. Wir haben zwar etwa 20 Opernhäuser, was auf den ersten Blick nicht wenig ist. Die polnische Opernlandschaft ist allerdings sehr isoliert, es wird wenig bis gar nicht kooperiert. Auch sind Budgets in der Regel nicht sehr hoch. Die polnischen international auftretenden Sänger – von denen es in jedem Stimmfach welche gibt – sind kaum bei uns zu erleben. Auch ist das Repertoire eingeengt. Noch immer ist es schwierig, in Polen Wagner zu spielen. Dazu kommen jetzt die russischen Werke, die aufgrund unserer Solidarität mit unseren Nachbarn nicht gespielt werden. Auch wenn ich das verstehen kann – ich finde, es geht ein bisschen zu weit. Ich liebe Wagner über alles und möchte es auch in Polen zeigen. Das sind auch einer der Gründe, warum ich das Baltic Opera Festival veranstalte. Wir haben die Möglichkeit, Dinge zu ändern.
Die Kombination des veristischen Jubilars Giacomo Puccini und Richard Wagner, samt seinem Anhänger Engelbert Humperdinck wirkt spannend. Sind es diese Gegensätze, die Sie als Sänger und Intendant anziehen?
TK: Giacomo Puccini ist einer meiner Lieblingskomponisten..,. und wir haben ein Jubiläum. Das einzigartige Ambiente der Waldoper bietet auch eine unglaublich tolle Bühne für Turandot, Puccinis letztes und reiftes Werk.Eine Wagneroper in Sopot aufzuführen, erklärt sich schon allein aus der Historie: Die Festspiele hießen vor dem Zweiten Weltkrieg auch das „Bayreuth des Nordens“. Dieses Jahr wiederholen wir die Erfolgsproduktion des letzten Jahres, Der Fliegende Holländer. Auch Hänsel und Gretel von Humperdinck war vor dem Zweiten Weltkrieg eine der am häufigsten gespielten Werke der Waldoper. In diesem Jahr ist sie an der Baltischen Oper in Danzig zu erleben, dem offiziellen Veranstalter des Baltic Opera Festivals.
Das Ukrainian Freedom Orchestra spielt Beethovens 9. – Wie politisch kann und sollte ein Musikfestival sein?
TK: Ein Musikfestival soll absolut unpolitisch sein. Das Ukrainian Freedom Orchestra ist unser diesjähriges Festivalorchester, das in unserer Festivalneuproduktion Turandot zu erleben ist. Außerdem spielen sie in der Crist Werft in Gdynia das Solidarity and Freedom Concert als Nebenveranstaltung des Baltic Opera Festivals. Aufgeführt wird Beethovens 9. Sinfonie in einer speziellen ukrainischen Version, es singen polnische Sänger, die Schirmherrschaft hat der ehemalige Präsident Lech Walesa übernommen, was mich außerordentlich freut. Mit den drei Spielorten in Danzig, Sopot und Gdynia komme ich auch meiner Ursprungsidee nahe, diese an der Ostsee gelegene Metropolregion zu zeigen