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Generalintendant Guy Montavon: „Als Theatermacher kann ich nicht am Ukraine-Krieg vorbeiinszenieren“

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DomStufen-Festspiele in Erfurt

Jeden Sommer werden die siebzig Stufen des Erfurter Dombergs zur Opern- oder Musicalbühne. Vom 15. Juli bis 7. August 2022 dient das Ensemble aus Mariendom und Severikirche als Kulisse für Verdis alttestamentarischen „Nabucco“.



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Sie sind seit fast zwanzig Jahren Generalintendant in Erfurt. Wie würden Sie die DNA der DomStufen-Festspiele beschreiben?

Guy Montavon: Die Festspiele sind eine künstlerische Herausforderung und eine Notwendigkeit für den Biorhythmus der Stadt Erfurt. Ich finde das Wort DNA richtig, aber es handelt sich um die DNA der Stadt. Die DomStufen-Festspiele sind mit ihrer Diversität und ihrem Charme nicht mehr wegzudenken.

Wie haben sich die Festspiele in dieser Zeit entwickelt?

Montavon: Als ich 2003 nach Erfurt kam, waren nur tausend Plätze auf dem Domplatz vorgesehen, mittlerweile hat sich ihre Anzahl verdoppelt. Bei Werner Herzogs Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ im Jahr zuvor wurden die Stufen total überbaut, das hat die Menschen sehr überrascht. Ich habe daher auch die Ästhetik der Festspiele verändert. Mir ist es wichtig, dass wir Stücke machen, in denen die Treppen nicht bloße Kulisse sind, sondern einen dramaturgischen Sinn bekommen. Manchmal gelingt das, indem sie zu sehen sind, manchmal, indem sie nicht zu sehen sind und manchmal, indem man auf ihnen Objekte platziert, sodass die Architektur besser zur Geltung kommt. Auch das Repertoire hat sich mit Einführung einer Pause während der Vorstellung deutlich erweitert. Das Publikum erlebt dadurch auch noch intensiver das Zusammenkommen auf dem Festspielgelände.

Ihre Inszenierung von Verdis „Nabucco“ war bereits für 2020 geplant. Wieso haben Sie sich damals für dieses Stück entschieden?

Montavon: Wir möchten grundsätzlich mit bekannten und weniger bekannten Werken jonglieren und keines doppelt zeigen. „Nabucco“ wird die bislang populärste Oper auf den Domstufen sein. So ist es zur Abfolge mit Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ 2021 gekommen. Durch den Krieg in der Ukraine erhält die Musik des „Nabucco“ eine ganz neue Botschaft. Denken Sie nur an das Kernstück dieser Oper: den Gefangenenchor. Als Regisseur muss ich überlegen, was ich damit mache.

Und was machen Sie damit?

Montavon: Aufgrund des Krieges in der Ukraine werde ich das Ende wahrscheinlich anders gestalten als ursprünglich gedacht. Details will ich noch nicht verraten. Nur so viel: Es ist der Versuch einer Versöhnung. In der Oper schwingt das Pendel definitiv auf die Seite Jehovas und des jüdischen Volkes, aber ich weiß nicht, ob ich diesem Pendel folgen werde. Wir werden ein Ende erarbeiten, das Sinn macht. Ich hoffe, dass bis zur Premiere im Juli der Krieg vorbei ist, aber meine Hoffnung schwindet jeden Tag. Als Theatermacher und Geschichtenerzähler kann ich daran nicht vorbeiinszenieren.

Was möchten Sie dem Publikum vermitteln?

Montavon: Die Botschaft der Oper ist: Toleranz muss sein, Dialog muss sein. Totalitarismus, der zur Vernichtung führt, ist nie der richtige Weg. In „Nabucco“ sehen wir: Es gibt keinen besseren Gott, es gibt keine bessere und auch keine andere Gesellschaft, und erst recht hat niemand das Recht, eine andere Art von Leben oder Glauben zu vernichten.

Vor welchen Herausforderungen stehen Regisseure bei diesem Festival?

Montavon: Auf den Domstufen muss man als Regisseur ganz anders arbeiten als auf einer Guckkastenbühne. Was man in einem geschlossenen Theater durch die Tiefe erreichen kann, fällt hier flach: Es gibt nur oben und unten, links und rechts. Sie müssen dafür sorgen, dass die siebzig Stufen einerseits in Kollektiven von den großen Massen mit Statisten und Chor ordentlich bespielt werden. Andererseits müssen die Solisten in intimen Szenen möglichst den ganzen Raum füllen. Das ist so, als ob alle handelnden Personen direkt vor Ihrer Nase vorbeirennen, allerdings mit entsprechendem Abstand. Das setzt Vertrauen in die Wirkung der Architektur voraus. Eine weitere Herausforderung sind die Witterung und die Lichtverhältnisse. Zu Beginn einer Vorstellung ist es ziemlich hell, so dass sich die Magie des Theaters mit ihren Beleuchtungseffekten erst nach der Pause entfalten kann.

Seit 2009 steht in der Reihe „Domino“ auch jeweils ein Kinderstück auf dem Programm.

Montavon: Das ist eine Idee, die mir eines Abends zu Hause gekommen ist. Die ganze Infrastruktur, die – rechnet man die Probenzeit mit ein – fünf Wochen lang auf dem Domberg steht, bleibt tagsüber ungenutzt. Warum also nicht ein Stück für Kinder und Jugendliche machen, das nicht länger als eine Stunde dauert und bei dem man das Ambiente aus Dom, Severikirche und Stufen präsentieren kann. Das hat sich zu einer wahren Erfolgsgeschichte entwickelt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Festspiele?

Montavon: Dass sie im Sinne des Repertoires weiterwachsen, dass ihre musikalische Qualität noch besser wird, wobei wir diesbezüglich schon ganz oben dabei sind. Das Orchester spielt, wie in Bregenz auch, im Theater und wird mittels Glasfaser auf den Domberg übertragen. Ich wünsche mir, dass man nicht in die Falle des Events tappt: Es ist möglich Kunst zu machen, obwohl es ein Event ist. Es wäre fatal, würde man zukünftig nur noch populäre Stücke inszenieren, die keine Botschaft haben. Das Erfurter Publikum ist empfänglich für einen künstlerischen Vermittlungsprozess, der auf Exzellenz setzt. Das gilt es, auch weiterhin beizubehalten.

Gibt es ein Werk, das Sie bei den Festspielen gerne noch inszenieren möchten?

Montavon: Ja, ich werde 2027 meine Intendanz mit Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ beenden. Ein gewagtes, hoch spannendes Projekt!

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