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Spielstättenporträt Radialsystem

Ein Ort der Innovation und Konzentration

Das Radialsystem V feiert seinen fünften Geburtstag

vonJakob Buhre,

Am Anfang stand Dido und Aeneas. Als die Koproduktion von Sasha Waltz & Guests, der Akademie für Alte Musik Berlin und dem Vocalconsort Berlin 2005 zum Publikumshit wurde, beschlossen die Akteure, ihre Zusammenarbeit fortzusetzen. „Wir waren euphorisiert“, sagt Jochen Sandig, Lebensgefährte von Sasha Waltz und Manager ihrer Compagnie. „Wir dachten: Das muss der Anfang von etwas Neuem sein.“

Gemeinsam mit Folkert Uhde, bis 2008 Dramaturg der „Akamus“ und Gründer des Vocalconsorts, entwickelte er das Konzept für das Radialsystem, ein „New Space for the Arts“. Untergebracht ist es im frisch sanierten Abwasserpumpwerk V am Spreeufer unweit des Ostbahnhofs, das architektonisch mit einem gläsernen Quader-Aufbau in die Neuzeit geholt wurde.

Zu Beginn herrschte noch wenig Klarheit darüber, in welche Richtung sich das Projekt entwickeln würde. „Wir haben uns überhaupt keine Gedanken gemacht, was in fünf Jahren sein würde. Nach der intensiven Vorbereitung waren wir erst mal froh, dass wir es überhaupt geschafft hatten, am 9. September 2006 die Tür aufzuschließen und dass davor Leute standen, die Interesse an unserer Idee hatten,“ erinnert sich Uhde.

Die Idee war, einen neuen Ort für klassische Musik, zeitgenössischen Tanz, bildende Kunst und Neue Medien zu schaffen, eine Produktions- und Aufführungsstätte zugleich. Dank der vier äußerst umtriebigen Hausensembles Akamus, Sasha Waltz, Vocalconsort und dem Solistenensemble Kaleidoskop ist das Radialsystem tatsächlich ein spannendes Haus geworden. Seit der Eröffnung sind 190.000 Besucher zu insgesamt 1.100 Veranstaltungen gekommen. Worunter natürlich auch die Aufführungen der zahlreichen freien Künstler und Ensembles fallen, die die ehemalige Maschinenhalle, die Studios oder auch die überdachte Freiterrasse bespielen. „Das ist immer eine große Gemeinschaftsanstrengung“, erklärt Sandig. „Wir können nicht mit großen Schecks winken, sondern die Künstler müssen sich am Risiko beteiligen. Dieses Mitmachen führt zu extremen Verknüpfungen der Chancen und Risiken, die aber letztlich auch künstlerisch unglaublich viel freisetzen.“

Von der Stadt gab es eine Anschubfinanzierung, doch im regulären Betrieb muss das Haus ohne Subventionen auskommen. Ein Teil des Geldes wird über Vermietung erwirtschaftet, auch eine Stiftung wurde ins Leben gerufen, um ausgewählte Produktionen zu unterstützen. Uhde spricht zwar von einer stetigen Umsatzsteigerung, doch klopft man auch beim Senat regelmäßig an: „Was wir brauchen, ist eine langfristige und regelmäßige Förderung, um im Wettbewerb bestehen zu können.“

In der Berliner Kulturlandschaft hat sich das Radialsystem jedenfalls fest etabliert – mit einer ziemlich breiten Angebotspalette von Barock-Lounge, Kinderoper und Klavierabenden über Clubnächte, Tanzperformances, Workshops und Konzerte im Liegen bis hin zu „Annettes DaschSalon“, einer Mischung aus Talkshow und Liederabend mit der gefeierten Sopranistin als Gastgeberin. Festivals wie Ultraschall und Märzmusik sind regelmäßig zu Gast, auch Pop-Konzerte finden hier statt.

Manch unkonventionelles Projekt des Radialsystems findet auch außerhalb des eigenen Hauses statt. So im letzten Herbst „Piano City“, das erste „Web 2.0-Klavierfestival“, das man zusammen mit dem Pianisten Andreas Kern entwickelte: 70 Klavierprofis und -laien luden das Publikum per Internetclip in ihre Wohnzimmer zum Hauskonzert ein. 2.500 Besucher kamen an dem Wochenende zusammen, „radial“ über die gesamte Stadt verteilt.

„Wir wollen eine starke emotionale Situation herstellen. Also nicht Brimborium oder Ablenkung, sondern Konzentration, die Verschärfung der Wahrnehmung“, formuliert Jochen Sandig das Ziel seiner Arbeit. „Es geht uns auch um Innovation, um den Wettbewerb von Ideen“, ergänzt Folkert Uhde. „Da sehen wir uns im Konzertbereich in einer klaren Vorreiterrolle. Wir merken das zum Beispiel daran, dass wir immer häufiger kopiert werden, auch von den finanziell gut ausgestatteten Häusern in Berlin.“ Verbinden wir unseren Glückwunsch zum fünften Geburtstag also mit der Hoffnung, dass das Radialsystem noch lange für spannende und innovative Musikabende sorgen wird.

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