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Porträt MDR Kinderchor

„Einfach ein Geschenk“

Beim MDR Kinderchor kümmert man sich umfassend um die Ausbildung guter Nachwuchsstimmen

vonChristiane Schwerdtfeger,

A-a-a-a-men.“ Immer wieder lässt Ulrich Kaiser die kleine Wendung singen. Es ist ein sonniger Herbstnachmittag, doch vom schönen Wetter und den Schlangen an den Eisständen in der Leipziger Innenstadt bekommen die knapp 70 jungen Sängerinnen und Sänger im MDR-Probensaal am Augustusplatz nichts mit. Der Konzertchor des MDR Kinderchores probt sein Weihnachtsprogramm. Auf den Pulten liegt Vivaldis Gloria-Vertonung RV 589, und Chorleiter Ulrich Kaiser macht den Kindern klar: „Wir müssen das so lange üben, bis es ganz fest sitzt. Dann macht es richtig Spaß. Und dann habt ihr auch vergessen, dass es Mühe gemacht hat.“

Die Kinder entwickeln einen eigenen Ehrgeiz

Konzentrierte Probenarbeit steht bei Kaiser an erster Stelle. Der Leiter des MDR Kinderchores sieht darin den Schlüssel zu allem, was ihm bei seiner Arbeit wichtig ist. Natürlich geht es darum, sängerisch hervorragende Qualität zu erreichen – nicht weniger bedeutsam ist für den einstigen Kruzianer Kaiser jedoch, den knapp 200 Kindern in verschiedenen Teilchören zu vermitteln, dass es sich lohnt, eine Sache ganz und mit vollem Einsatz zu verfolgen. Denn eben diese Botschaft könne bei den jungen Sängern große Wirkung zeigen: „Wenn man die Kinder auf diese Spur gesetzt hat, bekommt das große Dynamik – manchmal werden sie noch anspruchsvoller und kritischer als ich.“

Anspruchsvoll ist auch das zeitliche Pensum. Die Kleineren proben einmal pro Woche, ab Nachwuchschor 2 treffen sich die Sänger zweimal wöchentlich, im Konzertchor (5. bis 12. Klasse) immerhin für jeweils zwei Stunden. Dazu kommen allwöchentliche Stimmbildung, ein Probenwochenende im März, eine Probenwoche im Sommer sowie – Zeichen des Erfolgs – zahlreiche Auftritte, Konzerte, Reisen – 2013 sogar bis nach Qatar. All das mit der Schule unter einen Hut zu bringen, erfordert Organisation, Disziplin und Flexibilität. Lotti kann auch davon ein Lied singen: Seit mehr als zehn Jahren ist sie nun dabei und bereitet sich gerade auf ihr Abitur vor – da wird es nicht nur zur Vorweihnachtszeit stressig, wenn sich die Auftritte des Chores häufen. Und doch kann die Teenagerin sich kein anderes Leben vorstellen: „Ich spiele auch Gitarre und hatte eigentlich schon immer viel mit Musik zu tun. Dass wir im Chor gemeinsam singen, ist einfach ein Geschenk. Ich finde es schade für Leute, die das nicht erfahren können, was wir erleben.“

Vom Sandmännchen über Crossover-Projekte bis hin zur geistlichen Musik

Scharen von Kindern haben seit 66 Jahren ihre Schulzeit mit dem Chor verbracht. Das Ensemble – bis heute der einzige Kinderchor einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt – wurde 1948 von dem Musikwissenschaftler und Arrangeur Hans Sandig gegründet und bis zu seinem Tod 1989 auch geleitet. Berühmt wurde der Chor für seine Einspielung der Sandmännchen-Melodie: Unter Sandig stand vor allem Kinderliteratur und Zeitgenössisches auf den Programmen; sein Nachfolger Gunter Berger bezog ab 1990 auch Crossover-Projekte und klassische geistliche Musik in die Arbeit ein. Letztere bildet heute für Ulrich Kaiser das zentrale Aktionsfeld – nicht nur, weil er ein persönliches Faible dafür hat, sondern auch aus musikerzieherischen Gründen: „Die Klang- und Stimmschulung, die ich mit den Kindern anstrebe, braucht einfach bestimmte Literatur.“

Aber Kaiser wünscht sich nicht nur kräftige, intonationssichere Stimmen, sondern auch einen „richtigen“, einen gemischten Kinderchor – anstelle eines Mädchenchores mit nur ein paar Jungs. „Boys only“ heißt es daher seit zwei Jahren bei der gezielten Nachwuchssuche – im Ergebnis gibt es inzwischen in den Vorchören für Kinder ab drei Jahren mehr Jungen als Mädchen. Einer, der es schon bis in den Konzertchor geschafft hat, ist Frederik. Gerade neu auf dem Gymnasium, hat der Zehnjährige zwar mit dem Spagat zwischen schulischem und chorischem Anspruch zu kämpfen. Und doch macht ihn der Chor glücklich: „Singen lenkt mich vom Alltagsstress ab, weil man – nach Noten natürlich – einfach mal drauflossingen kann. Und dabei fühlt man richtig die Harmonie.“

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