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Interview Kit Armstrong

„Ich bin einfach ein neugieriger Mensch“

Warum der Pianist und Komponist auch Mathematik studierte und gerne Meeresfrüchte kocht

vonChristoph Forsthoff,

Alfred Brendel hatte den schmächtigen Jungen schon 2008 als Jahrhundertbegabung bezeichnet – inzwischen ist der Teenie zum Twen geworden und wird auf den Podien dieser Welt als brillanter Pianist gefeiert. Hat zwischenzeitlich sein Mathematikstudium abgeschlossen, sich im Selbststudium perfekt die deutsche Sprache beigebracht und für seine Alben eigene Kompositionen eingespielt. Und für sich selbst festgestellt, dass er das Denken nur auf der Bühne abschalten kann: „Im Konzert habe ich einen gänzlich freien Kopf.“

Was macht einen Jahrhundertkünstler aus?

Ich finde diesen Begriff ziemlich bedeutungslos. In einem Jahrhundert gibt es so viele Künstler, die etwas zu sagen gehabt haben – und das sollte man schätzen, anstatt eine Reihenfolge vom Ersten und Zweiten aufzustellen. Ich bin kein Anhänger des Kultes vom genialen Menschen.

Empfinden Sie es denn als Last, dass Alfred Brendel Sie einen Jahrhundertkünstler genannt hat?

Ganz ehrlich: Es ist das erste Mal, dass ich das höre – vielleicht werde ich ihn bei unserer nächsten Begegnung fragen, was er damit gemeint hat. Auch wenn ich mir schon meiner Verantwortung bewusst bin, etwas zu schaffen, dessen Aussage über den Tag hinausgeht.

Gidon Kremer hat in seinen „Briefen an eine junge Pianistin“ geschrieben, „entscheidend für die Karriere wird das Know-how, wie man seine Begabung am besten verkauft. Dass man seine Seele gleich mitverkauft, merken nur wenige“ – sehen Sie diese Gefahr auch?

Bei mir mischt sich da niemand ein. Wenn ich über die Musik oder meine Karriere nachdenke, heißt das für mich, Partituren zu lesen, Zusammenhänge zu entdecken oder neue Projekte zu entwickeln: Das bedeutet für mich Beschäftigung mit Musik – alles andere ist nicht meine Sache.

 

Sie bleiben sich also selbst treu und verkaufen nicht Ihre Seele?

Vielleicht habe ich meine Seele schon verkauft, aber ich merke es nicht … Nein, in meinem Fall hat diese Formulierung keine Bedeutung.

In der Tat haben Sie nach dem Lob Brendels, statt Plattenangebote anzunehmen, erst einmal Ihr Mathematik-Studium abgeschlossen – was fasziniert Sie an der Mathematik?

Die Mathematik hat genauso eine Seele wie die Musik. Man braucht Intuition, Begeisterung und einen Sinn für das Schöne, denn ohne diesen Sinn existiert die Mathematik nicht. Die reine Mathematik ist nämlich etwas ziemlich Unpraktisches: Man forscht nicht, um die Lösung für ein bekanntes Problem zu finden, sondern um schöne Sachen zu entdecken … 

… weshalb Sie sich nach wie vor auch mit der Mathematik beschäftigen?

Aktuell nicht mehr. Nach dem Abschluss meines Studiums 2011 habe ich mich gefragt, ob ich mich weiter der Mathematik widme – was bedeutet hätte, dass ich die Musikkarriere zumindest hätte einschränken müssen – oder ob ich versuche, ganz in der Welt der Musik zu leben. Da ich letzteres sehr schön fand, habe ich mich für die Musik entschieden – und es auch nie bereut, denn mein jetziges Leben bereitet mir unendlich viel Spaß!

Spaß bereitet Ihnen offenbar auch das Komponieren, mit dem Sie schon als Kind begonnen haben – erinnern Sie sich noch, was Sie seinerzeit gereizt hat?

Nein, diese Gefühle sind verblasst – geblieben ist hingegen die Musik, die ich damals geschrieben habe. Jüngst habe ich in einem großen Karton meine allerersten Kompositionen entdeckt, und ich freue mich schon sehr darauf, mir diese Werke einmal wieder anzuschauen, in die Gefühle jener Zeit einzutauchen und so vielleicht auch meine Vergangenheit besser zu verstehen.

Werden Ihre ersten Kompositionsversuche denn vor Ihrem heutigen kritischen Blick noch Bestand haben?

Ehrlich gesagt, ist mir nur das Hauptthema des ersten Satzes meiner ersten Sinfonie in Erinnerung geblieben … Doch würde ich schon behaupten, dass es vom Handwerklichen her ein gutes Stück war, zumal ich mir vorstellen kann, dass ich mir bei meiner ersten Sinfonie ziemliche Mühe gegeben habe.

 

Was war es für ein Gefühl, als Kind die Uraufführung des eigenen Werkes zu erleben?

Ich glaube, es gab damals einige Probleme mit dem Satz der zweiten Flötenstimme, die ich mehrmals umschreiben musste, weil etwas nicht so klang, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wobei ich mich als Komponist da natürlich verteidigen muss: Vermutlich war das Orchester schuld – der Komponist hat schon immer Recht.

 

Was die Frage aufwirft: Spreche ich nun mit dem Pianisten oder dem Komponisten?

In erster Linie bin ich Musiker und in zweiter Linie Pianist – davon war ich schon immer überzeugt. Der Musiker arbeitet mit Klangvorstellungen und noch nicht verwirklichten Ideen – und der Pianist schafft daraus etwas auf dem Klavier. Insofern ist es uninteressant, die pianistische Technik zu studieren, weil es eigentlich eine leere Hülle ist.

Ohne die indes kein Klavierabend möglich wäre …

Natürlich ist es wissenschaftlich interessant, wie sich solche Klangvorstellungen dann auf dem Klavier umsetzen lassen – doch ich als Musiker will die Sprache studieren und nicht die Aussprache. Ich behaupte nicht, dass ich die Aussprache hundertprozentig beherrsche: In Konzerten passieren mir immer wieder Dinge, die ich mir nicht wünschte …

… die da wären?

Etwa falsche Töne – aber das ist nicht weiter schlimm, solange die Intention dahinter stimmt. Natürlich will ich keinen falschen Ton treffen, aber um im Bild zu bleiben: Es genügt, was ich auf dem Klavier kann. Woran ich hingegen arbeite, ist der Gedanke dahinter.

Das klingt, als sei am Ende für Ihre Interpretation der Kopf wichtiger als der Bauch?

Man kann den Kopf und den Bauch nicht trennen. Ist die Phrasierung eine Sache des Bauchgefühls oder des Ver-stands? Ist die Klangschönheit Intuition oder Verstand? Natürlich ist der Rhythmus eine Sache des Verstandes, weil man immer bewusst zählen und die Struktur im Kopf behalten muss – doch warum macht man das?

Verraten Sie es uns.

Weil es unserem Bauchgefühl entspricht, das wiederum aus der Tradition dieser Musik entstanden ist – diese Tradition indes ist eine Kopfsache. Mir fällt kein Beispiel ein, wo ich nicht verschiedene Argumente fände, um etwas entweder als Bauchgefühl oder als Sache des Verstandes zu bezeichnen: Es gibt immer ein Argument für beides.

Klar dürfte diese Frage hingegen bei einer anderen Leidenschaft von Ihnen sein: Sie essen und kochen für Ihr Leben gern. Was ist Ihr Lieblingsgericht?

Meeresfrüchte! Es gibt auf dieser Welt weniges, was in mir solch überragende Gefühle erregt.

Und in welcher Zubereitung?

Sie müssen ganz frisch sein – im besten Falle lebendig – und ohne aufwändige Zubereitung. Ganz einfach gedünstet, gebraten oder auch roh gegessen. Koche ich für mich selbst, kaufe ich mir einen Hummer oder einen Fisch und bereite diese ganz schlicht in einem Topf oder einer Pfanne zu, ohne Soße.

Ist diese Leidenschaft fürs Kochen und Essen ein Ausgleich für Ihre ja sonst doch sehr vom Geist dominierten Beschäftigungen?

Körperlich auf jeden Fall … Neulich habe ich gemerkt, dass ich, wenn ich Teig geknetet oder Nudeln selbst gemacht habe, keine gescheiten Tremoli mehr spielen kann. Ich kann mir diese Blockade zwar noch nicht wirklich erklären, aber es gibt offenbar Gegenbewegungen, die einfach nicht zusammenpassen.

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