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Interview Kit Armstrong

„Ich träume davon, Koch zu werden“

Der Pianist und Komponist Kit Armstrong über Struktur, Komplexität und Meeresfrüchte

vonArnt Cobbers,

Alfred Brendel nannte ihn das größte musikalische Talent, das ihm je begegnet sei. Mit neun begann Kit Armstrong ein Vollzeitstudium in Musik und Naturwissenschaften an der Chapman University of California. Inzwischen ist er 19 und nicht nur als Pianist, sondern auch als Komponist vielbeschäftigt. Beim Gespräch in einem Kölner Hotel wirkt der Sohn einer Taiwanesin und eines Briten, der lange in London gelebt hat, zunächst höflich und reserviert, wird aber im Laufe der Zeit merklich lockerer.

Herr Armstrong, sind Sie mehr Pianist oder Komponist?

Am Anfang dachte meine Mutter, ich sollte Musik studieren. Und so habe ich einen Kurs „Einführung in die Musik“ besucht. Daraufhin begann ich in Lexika Artikel über Musik und Notation zu lesen. Und begann zu komponieren. Meine Mutter sah das und stellte mir ein Klavier bereit. Seitdem spiele ich Klavier und komponiere.

Sie haben zuerst komponiert?

Das Komponieren ist die Basis, auf der ich über Musik nachdenke.

Warum begannen Sie zu komponieren?

Ich denke, wenn der kreative Geist etwas Interessantes sieht, versucht er es zu imitieren. Ich sah die Musik und dachte, ich mache meine eigene.

Sie waren also fasziniert von den Noten, nicht vom Klang?

Musik kannte ich fast nur notiert. Ich erinnere mich, als ich das Klavier bekam, war ich sehr neugierig, wie die Musik klingen würde. Ich habe oft einen einzigen Ton immer wieder gespielt, um mich an den Klang zu gewöhnen. Es gab zu Hause bei uns keine Musik.

Ich kann mir das schwer vorstellen. Musik handelt doch von Klängen.

Nicht unbedingt. Musik handelt auch von Struktur. Obwohl Musik durch Klang repräsentiert wird, existiert sie unabhängig davon.

Wie und wann komponieren Sie?

Für mich beginnt eine Komposition im Kopf. Es beginnt normalerweise mit einer Idee – einer Technik, die ich benutzen könnte, oder einem Thema, das ein Stück tragen könnte. Und dann entwickle ich Möglichkeiten, was ich mit dieser Idee machen könnte. Normalerweise entstehen viele verschiedene mögliche Versionen des Stückes, bevor ich entscheide, die attraktivsten Teile von jeder Version zusammenzubringen. Und wenn das Stück weitgehend fertig ist in den Details, schreibe ich es auf.

Sie schreiben es erst auf, wenn Sie es im Kopf fertig haben?

Ja, es lenkt mich manchmal ab, die Musik zu sehen. Da gibt es freie Systeme, man muss umblättern, es ist nicht so präzis.

Und wenn es ein längeres Stück ist?

Pianisten sind es gewöhnt zu memorieren. Wenn man mit einem Stück längere Zeit gelebt hat und es sogar von Anfang an entwickelt hat, ist das nicht so schwer.

Was heißt denn längere Zeit?

Ich komponiere normalerweise schnell. Auch wenn ich gern mit Stilen experimentiere – ich versuche nicht einen bestimmten Stil zu haben, der sofort wiedererkannt werden kann –, ist es wichtig, dass ein Stück stilistisch einheitlich ist und einen gewissen roten Faden hat, deshalb schreibe ich schnell. Das Ausarbeiten eines Stückes dauert eine oder zwei Wochen. Die Idee beschäftigt mich längere Zeit, aber das hat keinen Effekt auf die Einheitlichkeit.

Wie kommen die Emotionen in die Musik?

Gefühle sind erklärbar durch strukturelle Prozesse, durch reduktionistische Herangehensweisen. Etwas Strukturiertes kann Emotionen erzeugen, und auf Musik reagiert man emotional, weil sie Dinge wie Schönheit beinhaltet. Die Natur zum Beispiel ist strukturiert. Aber die Menschen finden die Natur schön.

Der Ausgangspunkt ist also nie ein Gefühl, dem Sie Ausdruck geben wollen?

Von der Idee bis zu dem Punkt, wo das Stück wirklich existiert, muss man viele Entscheidungen treffen. Komponieren ist wie improvisieren, ich spiele ein Stück in meinem Kopf und überlege, wie soll es weitergehen. Nur ist beim Improvisieren das Stück sofort da, beim Komponieren kann man daran arbeiten. In diesen Prozess können viele Faktoren einfließen. Die Gestalt eines Baumes ist nicht schon im Samen festgelegt.

Aber das geschieht nicht bewusst?

Meine Musik folgt, denke ich, einer inneren Logik. Aber es könnte passieren, dass ich etwas sehe, wie ein abstraktes Gemälde, und dadurch inspiriert werde. Die Frage ist, wie man Erlebnisse in seine Arbeit transformiert. Der Prozess des Improvisierens, folgerichtig auch der des Komponierens hängt sehr davon ab, was man für gut hält. Wenn ich entscheiden muss, was ich in den nächsten vier Takten spiele, habe ich viele Möglichkeiten in meinem Kopf und muss eine auswählen. Und wenn ich gerade etwas Großartiges gesehen habe, werde ich die Möglichkeit wählen, die dem Stück eine großartige Geste gibt.

Wie lange brauchen Sie, um ein Stück auswendig zu lernen?

Es ist eine merkwürdige Sache mit dem Gedächtnis, dass das Gefühl für Zeit sehr verwirrt werden kann. Wenn man einen Text liest, liest man ihn schneller als man ihn sprechen könnte. Aber das merkt man nicht. So geht es mir mit Musik. Normalerweise lese ich eine Partitur ein oder zwei Mal. Und dann folgt der Prozess des Spielens.

Ohne Noten?

Ja, aber ich überprüfe mich manchmal anhand der Noten. Ich kann mich irren. Oder ich habe eine Entscheidung gefällt, ohne es zu merken, die vielleicht auch anders hätte ausfallen können.

Das heißt, der Prozess des Interpretierens beginnt schon beim ersten Lesen?

Natürlich ist es möglich, die Noten zu lesen und sie sozusagen nur zu kopieren in den Kopf. Aber auch wenn man die Musik im Kopf hört, hört man sie auf eine bestimmte Art und Weise. Da hat man bereits ein bestimmtes Tempo, eine bestimmte Stimmung.

Wie lang dauert es dann, bis Sie das Gefühl haben, so ist es stimmig, nun kann ich es vor Publikum spielen?

Wann man ein Stück vor Publikum spielen kann, ist eine philosophische Frage. Wenn man entscheidet, eine Aufführung sei dazu da, das Stück zu präsentieren, wie es der Komponist wollte, dann muss man es möglichst klar interpretieren und den Stil des Komponisten, die zeitliche Umgebung usw. einbeziehen. Manchmal ist es aber möglich oder sogar erstrebenswert, seinen eigenen Stempel auf die Interpretation zu setzen. Um ein Kunstwerk zu schaffen, das über das ursprüngliche Werk hinausgeht. Wenn man das Kunstwerk als Rahmen für eine Interpretation nimmt, dann erschafft man ein neues Stück.

Welches von beiden ist Ihr Ziel?

Es wäre falsch für mich, das zu entscheiden. Jeder im Publikum fühlt Musik anders und ist an etwas anderem interessiert. Als Komponist muss ich sagen: Ich möchte mein Werk nicht jeden Tag gleich gespielt hören – und da stimmen mir viele Komponisten zu. Das heißt, es gibt einen bestimmten Freiraum für den Interpreten. Man muss eine Balance finden zwischen den Intentionen des Komponisten, soweit man sie kennt, und dem Wunsch, bestimmte Aspekte herauszuarbeiten. Musik in der geschriebenen Form birgt in sich die Möglichkeit großer Komplexität, dass man immer neue Aspekte herausarbeiten kann, die darin verborgen sind – auch wenn sie nicht vom Komponisten angedeutet sind. Das können strukturelle Elemente sein – es ist ein beliebter Trick von Interpreten, thematische Aspekte in verschiedenen Teilen eines Werkes zu finden. Oder es geht um die Stimmung eines Stückes: Wenn man es ruhig anlegen will, betont man die Elemente, die Bewegung erzeugen, nicht. Das sind nur ganz grundlegende Beispiele. Es gibt kein korrekt oder nicht korrekt.

Reicht es Ihnen, Musik zu lesen, oder entsteht dann der Wunsch, sie auch zu hören?

Bei mancher moderner sinfonischer Musik ist der Eindruck, den man erhält, wenn man sie hört, sehr anders als der aus den Noten. Ein Komponist hört die Musik ja nicht, wenn er sie schreibt. Vielleicht bin ich dem Komponisten also näher, wenn ich die Musik lese, als wenn ich sie höre. Auch Beethovens Neunte klingt, denke ich, viel besser im Kopf als in der Wirklichkeit, die Notenschrift ist so kompliziert, vieles ist nicht klar, trotz der besten Versuche von Musikern wie Mengelberg.

Sind Sie dennoch auch fasziniert vom Klang?

Klang ist mir sehr wichtig. Menschen zu hören, die geschult sind an ihren Instrumenten und interessant als Interpreten, das ist für mich eine Freude. Ich höre viel Musik, aber nicht um die Musik zu genießen – das tue ich lieber mit den Noten –, sondern ihr Spiel. Letzten Endes ist das Hören von Musik das Erleben eines physischen, theatralen Aktes.

Haben Sie Lieblingskomponisten?

Seit ich mich mit Musik beschäftige, sind es Bach und Mozart, die mir am nächsten sind.

Nehmen Sie noch immer Stunden bei Brendel?

Ich schätze mich sehr glücklich, solch einen außergewöhnlichen Mentor zu haben. Er beeinflusst mich nicht nur als Musiker, sondern als Mensch. Er ist ein superlative guide to life.

Was lernen Sie von ihm?

Wir arbeiten an Stücken im Detail. Das hat in mir ein Verlangen nach Perfektion geweckt. Ich möchte eine Interpretation immer weiter entwickeln, um meine Neugier zu befriedigen.

Sie haben als „Wunderkind“ begonnen. Jetzt müssen Sie sich als „erwachsener Künstler“ beweisen. Ist das schwierig?

Manche Menschen mögen mich so gesehen haben, ich habe nie versucht, der Musik einen Wunderkind-Touch zugeben. Dass sich mit 15, 16, 17 etwas Grundlegendes geändert hätte, kann ich nicht sagen.

Sie haben auch Mathematik und Naturwissenschaften studiert. Kamen Ihnen nie Zweifel, ob Sie Musiker bleiben sollten?

Das Leben als Musiker kann sehr monoton sein, wenn man dieselben Stücke auf dieselbe Art spielt. Aber nur dann.

Wieviel üben Sie?

Das ist eine Frage, auf die ich nicht antworten möchte. (grinst)

Sie bleiben Musiker?

Ich habe den Traum, Koch zu werden. Ich liebe es, zu kochen und zu essen.

Wäre das eine ernsthafte Alternative?

Das hinge auch von der Erreichbarkeit von Seafood ab. Wenn die Voraussagen zutreffen und es bald kein Seafood mehr gibt, wird die Welt ein trauriger Ort werden. Und meine Kompositionen werden vermutlich sehr langsam, sehr leise, sehr depressiv werden. Aber wer weiß, was passiert. Mein Interesse geht dahin, weiterzuarbeiten als Kammermusiker, als Pianist, als Komponist. Vor allem Kammermusik macht mir viel Spaß und ist mir sehr wichtig.

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