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Porträt Antje Weithaas

Musik und Muskateller

Die Geigerin Antje Weithaas gehört zu den unverbesserlichen Utopisten

vonChristian Schmidt,

Das Kalbsfilet darf’s schon sein, bitt‘schön. Mit Trüffelpüree, gern! Und dazu ein guter Weißwein. Antje Weithaas, eine echte Brandenburger Pflanze, lacht gern. Macht aus ihrer Vorliebe für kulinarische Freuden keinen Hehl. Raucht sogar zum Genusse. Und ist Geigenprofessorin an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ in Berlin.

Geigenprofessorin? Und was für eine! Die es sich leisten kann zuzugeben, dass sie manchmal an ihre Grenzen kommt bei bestimmten technischen Schwierigkeiten. „Ich kann alle Stücke spielen, aber ich zähle mich nicht zu den Menschen, die ihr Instrument zu 120 Prozent beherrschen.“ Und wenn einer ihrer 14 Studenten mal etwas besser macht als die Frau Professor – die völlig ohne Gestelztheiten auskommt – „dann darf ich das auch zugeben. Austausch auf Augenhöhe ist mir wichtig. Auch ich lerne im Unterricht.“

Mit ihrer Professur an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler kehrte sie 2004 zu ihren eigenen Studienwurzeln zurück. Geboren 1966 in der damaligen „Wilhelm-Pieck-Stadt“ Guben, wuchs Weithaas in Cottbus auf und siedelte als Zwölfjährige ins Internat der Dresdner Spezialschule für Musik über. „Für mich kam die Wende genau zur richtigen Zeit: Ich hatte noch die Vorzüge des musikalischen Bildungssystems der DDR genossen, und als die Mauer fiel, öffneten sich viele Türen.“ Ihre internationale Karriere begann, nachdem sie 1991 den Violinwettbewerb in Hannover gewann: Seither tritt sie auf der ganzen Welt auf, spielt in hochkarätigen Kammermusikensembles und leitet seit 2010 die Camerata Bern.

Kämpferin wider den Perfektionswahn

Dabei steht Weithaas, zuweilen selbst als Jurorin tätig, persönlich Wettbewerben sehr ambivalent gegenüber. „All jene Talente, die die Jury polarisieren, haben keine Chance, und naturgemäß trifft man sich dann in der Mitte bei den Langweilern, den getrimmten Affen, den Seelenlosen.“ Die wirklich interessanten Leute würden da keine Rolle mehr spielen, und es gewönnen die, die letztlich doch austauschbar seien. „Und wer sehr sensibel ist, reagiert zu empfindlich auf solche Drucksituationen. Wenn er dann Schwäche zeigt, hat er schon verloren – eine Gedächtnislücke reicht da schon.“ Objektiv könne das nicht sein: „Es wird viel zu sehr auf die Perfektion geachtet. Aber was ist dahinter? Ich kriege richtig schlechte Laune, wenn jemand da vorne eine Show abzieht, aber nichts zu sagen hat.“

Weithaas selbst hat viel zu sagen mit ihrer modernen Geige von Peter Greiner – auch so ein Kontrapunkt im großen Chor der Bewunderer alter, oft nur deswegen wertvoller Instrumente. Ihr Spiel wird weltweit für seine Unverwechselbarkeit gelobt, für die starke Ausdruckskraft – und die große Tiefe. Eine Emotionalität, die nie aufgesetzt, sondern stets von innen zu wirken scheint. „Ich brauche ein Instrument, das nicht nur Schönheit verkörpert, sondern über eine viel größere Palette an Ausdrucksfarben verfügt. Meine Geige muss auch kalt, kratzig, ja hässlich sein können, je nachdem, was ich mir vom Stück vorstelle.“ Es ist kaum verwunderlich, dass Weithaas besonders die Stille im Saal schätzt, wenn ein Stück im Piano aufhört und keiner sich zu klatschen traut. „Das ist viel mehr wert als ein großes Bravogewitter. Das Publikum ist ja korrumpierbar: Wenn’s laut und schnell ist, hat man immer Erfolg. Aber darum geht es nicht.“ Worum dann – und vor allem: Was kann Kunst? „Den Menschen glücklich machen, ihn in eine Sphäre heben, die er nicht mehr erklären kann.“

Kinder sind das beste Publikum

Dieses Gefühl weiterzutragen, hat sich die Geigerin nicht ohne eine gute Portion Naivität vorgenommen. Mit ungestümem Verantwortungsbewusstsein für die Moderne und großem Engagement für das Projekt „Rhapsody in School“ treibt sie auch der Idealismus. „Kinder sind das beste Publikum, weil sie sehr direkt reagieren. Wenn sich von Klassik bisher Unberührte zum Schluss noch mal Bach wünschen, ist nicht alles zu spät – und umso schlimmer die Welt wird, desto größer ist allgemein das Bedürfnis nach Kunst.“

Damit trotzt Weithaas nicht nur dem grotesken Trend zur Verballhornung, sondern auch der Eventkultur im Allgemeinen. Qualität, sagt sie sehr ernst, werde sich immer durchsetzen. „Halten Sie mich für einen Utopisten. Wenn ich das nicht wäre, könnte ich hinschmeißen.“ Und kredenzt einen Muskateller.

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