Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Die goldene Krawatte

OPERN-KRITIK: THEATER DORTMUND – DAS RHEINGOLD

Die goldene Krawatte

(Dortmund, 9.5.2024) Peter Konwitschny, der Altmeister des deutschen Regietheaters, entdeckt im „Rheingold“ den Wagner-Witz mit jugendlichem Übermut und analysiert dennoch bitterböse die Mechanismen der Macht. Der „Wagner-Kosmos“ der Oper Dortmund wäre Bayreuths würdig.

vonPeter Krause,

Alberich angelt. Er sitzt an der Rampe, lässt die nackten Beine in den Orchestergraben des Theater Dortmund baumeln und hält eine aus einem Ast selbstgebastelte Rute in den imaginären Rhein, den die Dortmunder Philharmoniker dann gleich (eher diesseitig als mystisch entrückt) aus dem für das „Rheingold“ berühmten tiefen Ur-Es allmählich anschwellen lassen. Ob der liebestolle wie machtgeile Zwerg sich einen kleinen Goldklumpen aus den Urgründen des deutschesten aller Flüsse fischen kann?

Der zauselig langbärtige Geselle, der direkt aus dem Fantasy-Bilderbuch der Wikinger zu kommen scheint, hat indes so wenig Glück beim Angeln wie in der Liebe. Denn die hinter dem roten Opernvorhang herauslugenden kessen Rheintöchter necken ihn zwar nach allen Regeln der Verführungskunst, entziehen sich seinem Werben aber ebenso erfolgreich. Da wird nun das Interesse des verspotteten kleinen Mannes an jenem gleißend glänzenden güldenen Tuch geweckt, das hier das Flussbett des stolzen Stromes bildet und nun hinter dem geöffneten Vorhang sichtbar wird. Er schnappt sich das Gold und steigt damit gleich einem fliegenden Teppich gen Bühnenhimmel.

Die volle Rolle rückwärts in den Mythos

Welch ein Vorspiel auf dem Theater. Ganz leicht, locker und lustvoll, mit viel Spielwitz steigt Peter Konwitschny in „Das „Rheingold“ ein. Beim Altmeister des deutschen Regietheaters kann man sich zumal im Satyrspiel seines erstmals und endlich als Ganzes geschmiedeten „Ring“ sicher sein, bestens unterhalten zu werden. Natürlich wird er dann bei allem ihm eigenen, sehr verschmitzten Augenzwinkern auch noch bitterböse, gewohnt kapitalismus- und systemkritisch, wie es sich für ihn, den Linken alter Bauart, aber auch für den Werkschöpfer Wagner, den Revoluzzer auf den Barrikaden von 1848, gehört.

Aber erstmal der Reihe nach. Nach dem wie mit leichter Hand hingeworfenen Vorspiel erlaubt sich Konwitschny die volle Rolle rückwärts in den Mythos: Wotans und Wagners Göttersippe zeigt er nicht, wie mittlerweile branchenüblich, als mehr oder weniger modernen nepotistischen Clan, der Wirtschaft und Politik perfekt zu eigenen Gunsten vernetzt.

Der Regisseur versetzt die Handlung in die quasi originalen Urzeiten des Mythos, als die germanischen Götter noch in aus Tierhäuten gezimmerten Zelten hausten, Tierfelle als Kleidung auch auf den Schultern trugen, das Fleisch direkt von den Knochen der erlegten Tiere nagten und ihren Met dazu aus echten Hörnern schlürften (dabei die archaischen Trinkgefäße dennoch sich zuprostend aneinanderstießen, ganz so wie die Premierengäste es mit den Sektgläsern der Gegenwart praktizieren).

Als Fricka (Ursula Hesse von den Steinen als mezzodramatische, scharf charakterisierende, ihrem Gatten Wotan weit überlegene Grande Dame der Steinzeit) ihren Mann mahnt, doch endlich aufzustehen, krabbelt der Boss auf allen Vieren aus dem Zelt, noch einen Knochen in der Hand, mit dem er sich auch mal am Rücken kratzt. Köstlich.

Das Erstaunliche und Starke dabei: Konwitschny stürzt nie ins Krachledernde einer übertriebenen Komik ab. Er ironisiert mit den Mitteln des alten Brecht, aber er desavouiert die Figuren nicht. Denn seine Absicht ist ja letztlich eine Ernste: Er führt vor, wie Macht, wie Abhängigkeiten, wie Gewalt entstehen: Mit den Mitteln von Waffen (Wotans der Natur abgerungener Speer) und Runen (die in die Waffen eingeritzten Verträge), deren Regelwerk der Gott allen anderen aufzwingt, ohne sich freilich selbst an sie zu halten

Szenenbild zu „Das Rheingold“
Szenenbild zu „Das Rheingold“

Wotan, der Spieler, der nicht alle Züge vorausplant

Der Unterschied derselben Mechanismen zu allen Zeiten der Menschheit – von den frühzivilisatorischen bis zu den derzeitigen barbarischen postzivilisatorischen – besteht zwar, ist aber nur graduell: Wotan, den Tommi Hakala mit schöner herrischer bassbaritonaler Heldenpracht singt, ist der unschuldigen Naivität, die bis zu seinem Sündenfall herrschte, noch näher. Er handelt noch nicht, wie die Demagogen und Diktatoren der Gegenwart, mit vollem taktischem und strategischem Bewusstsein. Er ist noch ein Spieler, der spontan ausprobiert und nicht alle Schachzüge vorausplant.

Seine Frau Fricka ist da schon ein paar Entwicklungsstufen weiter, erinnert ihn mit weitsichtigem weiblichem Nachdruck an seine Aufgaben. Auch ohne seinen Chefstrategen Loge (Matthias Wohlbrecht mit charaktertenoraler Wortgewandtheit) würde Wotan es kaum schaffen, seinen Widersacher Alberich (Joachim Goltz mit hellem Heldenbariton und ganz präziser Wortmacht) des Goldes zu berauben, das jener mittlerweile mit Hilfe der Sklaven des kapitalistischen Systems akkumuliert und feinverarbeitet hat lassen.

Das Gold der Gegenwart ist jenes Uran, mit dem der Zwerg Alberich unzählige Atombomben hat bauen lassen

Und wozu? Konwitschny weicht in der Übersetzung des Goldes nicht ins zu oft gesehene Nebulöse aus, er benennt klar, welches Machtmittel Alberich hier geschaffen hat: Das Gold der Gegenwart ist jenes Uran, mit dem der Zwerg unzählige Atombomben hat bauen lassen, die ihm, klar, die Weltherrschaft auf Dauer sichern soll. Der Tarnhelm wird dazu zum Tablett, mit dem Alberich seine Gestalt in virtuelle Realitäten tauschen kann.

Der Showdown zwischen dem in einer Hochhausmetropole als Konzern- wie Politzentrale regierenden Alberich (dessen goldene Krawatte ziemlich exakt den Durchmesser und die Länge jenes meist roten Binders haben dürfte, wie ihn ein Donald Trump zu tragen pflegt!) und Wotan nebst Loge, die aus der sehr Alten Welt und Vorzeit in diese (nicht wirklich schöne) neue Welt eindringen, geht dann verblüffenderweise zugunsten der letzteren aus, da sich Alberich ungeschickterweise überreden lässt, sich mittels seines Zauber-Tabletts zur Kröte zu verkleinern. Die gesammelten Bomben, das sie lenkende Tablett und der Atomknopf in Gestalt des Rings gehen also an Wotan über.

Szenenbild zu „Das Rheingold“
Szenenbild zu „Das Rheingold“

Die ganze Göttergesellschaft landet in der Geriatrie

Allerdings, das Unheil nimmt seinen Lauf, gehören die Insignien dem schnell lernenden Gott nicht lange: Er muss sie zur Bezahlung seines Neubaus Walhall, das ihn aus den primitiven Indianerzelten in eine nun standesgemäßere Behausung führen soll, an die Bauunternehmer der beiden Riesen abtreten, die Denis Velev als berückend bassbelkantesker (und sehr glaubwürdig in Freia verliebter) Fasolt und Artyom Wasnetsov als bassgewaltiger Fafner zu Hauptrollen aufwerten. Konwitschny wäre nicht Konwitschny, wenn er bis zum Ende der in Selbstermächtigung in Walhall einziehenden, erwachsen werdenden Götter nicht immer neue Volten schlagen würde, die freilich alle dramaturgisch durchdacht und verblüffend stimmig sind.

Wotans bald von sechs Harfen reich umflortes „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ führt im Angesicht der „glänzenden Burg“ dazu, dass bei uns im Zuschauerraum (wie fast immer bei Konwitschny zu szenischen Wendepunkten, an denen dem Publikum ein Licht aufgehen sollte) die Beleuchtung gleißt. Der Regisseur traut hier freilich weniger dem Obergott als dessen listigem Loge-Berater, der weiß: „Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen.“ Für dieses Ende verfrachtet Konwischtny nun die ganze Göttergesellschaft in die Geriatrie: konkret in Rollstühle, die von den Krankenschwester-Rheintöchtern geschoben werden.

Auf offener Bühne vollzog der Wotan-Clan dazu den Umzug von den ollen Fellumhängen in den Schick der modernen Welt, der dieser Society im Endstadium ihres Zerfalls allerdings kaum das Überleben sichern wird. Das Brecht-Konwitschny-Lehrstück will es dann noch, dass in den Zuschauerraum zuletzt Flugblätter flattern, auf denen die Erkenntnis der Rheintöchter kundgetan wird: „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“

Zu all der szenischen Kurzweile und Klugheit steuern Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker ein Wagner-Bild aus dem transparenten Geiste Mendelssohns bei: nicht im Mischklang schwelgend, sondern harte Details im Spaltklang ausstellend, das Konversationsstück stärkend, in den Tempi dennoch den großen Bogen und das gefühlte Sprechtempo verschleppend.

Gültiges, Gegenwärtiges und Genialisches: Der Dortmunder „Wagner-Kosmos“ lebt

Bayreuthwürdig aber ist nicht nur die Inszenierung: Denn wäre Peter Konwitschny nicht einer der ganz wenige Regisseure gewesen, der dort noch mit echter Berechtigung Gültiges, Gegenwärtiges und Genialisches hätte sagen und zeigen können? So feiert die Oper Dortmund ihren Triumph und kann sich der internationalen Aufmerksamkeit sicher sein, wenn in der Saison 2024/25 mehrere Zyklen des „Ring“ in die Fußballstadt laden werden. Wiederum mustergültig, wie Intendant Heribert Germeshausen den „Ring“ eingebettet hat in den „Wagner-Kosmos“ – Symposium mit Diskussionsforen und Forum der Hörerweiterung durch Ausgrabungen von Wagner-Zeitgenossen: am Tag nach der „Rheingold“-Premiere etwa „La Montagne noire“ aus der Feder der französischen Spätromantikerin Augusta Holmès.

Oper Dortmund
Wagner: Das Rheingold

Gabriel Feltz (Leitung), Peter Konwitschny (Regie), Jens Kilian (Bühne & Kostüme), Florian Franzen (Licht), Bettina Bartz & Daniel C. Schindler (Dramaturgie), Tommi Hakala, Morgan Moody, Sungho Kim, Matthias Wohlbrecht, Ursula Hesse von den Steinen, Irina Simmes, Melissa Zgouridi, Joachim Goltz, Fritz Steinbacher,  Denis Velev, Artyom Wasnetsov, Sooyeon Lee, Tanja Christine Kuhn, Marlene Gaßner, Dortmunder Philharmoniker




Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!