Wagner: Das Rheingold – Der Ring des Nibelungen –
Weil drei Rheintöchter das Liebeswerben eines Zwerges im „Rheingold“ verhöhnen, nimmt Wagners „Ring des Nibelungen“ seinen dramatischen Lauf.
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Walhalla. Gemälde von Hermann Burghart/Entwurf für das Bühnenbild 1878
„Weia! Waga! Woge, du Welle! Walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!“ Was wie ein dadaistisches Gedicht à la Hugo Ball anmutet, ist der Beginn zu „Das Rheingold“, dem ersten Teil der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“. Mit dem bekannten Es-Dur-Akkord, der aus der Tiefe aufsteigend die wogenden Rheinwellen heraufbeschwört, beginnt der Vorabend des Bühnenfestspiels. In den Fluten tümmeln sich lasziv die drei Rheintöchter und bewachen den Goldschatz. Wie waren noch gleich ihre Namen? Wellgunde, Woglinde und Flosshilde! „Heia! Heia! Haha!“
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Doch zum Lachen ist den drei Damen im weiteren Verlauf dann gar nicht mehr zumute, und das große Drama und die Kontroversen um Macht und Liebe nehmen ihren Anfang. Der frustrierte Nibelung Alberich, der doch einfach nur ein wenig erotische Zuneigung will, ist so erzürnt über den Spott der drei reizenden Wassernixen, dass er das Rheingold raubt und – da ihn ja sowieso keine begehrt – die Liebe verflucht, denn nur so kann er aus dem Gold den endlose Macht versprechenden Ring schmieden. So weit, so gut. Oder auch nicht gut, denn das Unheil nimmt seinen Lauf.
„Das Rheingold“: Der verfluchte Ring zeigt seine Wirkung
Währenddessen haben die beiden Riesen Fasolt und Fafner auftragsgemäß die Burg der Götter fertig gebaut. Da Göttervater Wotan sich finanziell verhoben hat, bietet er den Brüdern als Pfand die attraktive Göttin Freia, von deren Geheimnis der ewigen Jugend sie sich Unsterblichkeit versprechen. Daraus wird allerdings nichts, denn am Schluss erschlägt Fafner den Fasolt. Warum? Weil sie von Wotan, der in der Zwischenzeit Alberich den verfluchten Ring mit List und Tücke entwendet hat – „Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid.“ – diesen im Tausch mit Freia ausgehändigt bekommen haben. Der Fluch zeigt also erstmals seine Wirkung.
Der Vorabend zum dreiteiligen Bühnenfestspiel nimmt hier sein Ende, die Götter schreiten über die Leiche des Riesen in ihre abbezahlte Burg und dem Zuschauer stellen sich drängende Fragen – wie in jeder guten Serie: Wie geht es weiter? Hat Wotan einen Plan? Wer wird das Spiel um Macht, Liebe und Habgier gewinnen? Da hilft es nur, die nächsten 14 Stunden von Wagners „Ring“ zu verfolgen, um zu erfahren, wie das desaströse Drama um Götter, Zwerge, Nixen und Riesen endet.
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Dramatiker und Komponist in Personalunion
Richard Wagners gewaltiger Opernzyklus entstand in einem Zeitraum von über 30 Jahren. Die altgermanische Mythologie war sein Steckenpferd und liebster Studiengegenstand, dem er mit dem „Ring“ ein gewaltiges Denkmal setzte. Seine Dimension überschritt alles bisher Dagewesene erheblich. Die vollständige Ring-Dichtung fertigte der Komponist bis 1852 im Züricher Exil an.
Die Komposition zu „Das Rheingold“ war bereits zwei Jahre später fertig gestellt, doch erst 22 Jahre später galt die Komposition des gesamten „Ring des Nibelungen“ als abgeschlossen. „Mit meiner Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus, breche für immer mit der formellen Gegenwart.“ Wagner hat gehalten, was er versprochen hat.
Die wichtigsten Fakten zu Richard Wagners „Das Rheingold“:
Die Uraufführung fand am 22. September 1869 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München unter der Leitung von Franz Wüllner und gegen den Willen Wagners statt, da dieser das „Rheingold“ lieber zur Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele im Rahmen des gesamten „Rings“ uraufführen wollte. Die Festspiele wurden schließlich am 13. August 1876 mit dem „Rheingold“ unter Leitung von Hans Richter erstmals eröffnet.
Orchesterbesetzung: 3 Flöten, 1 Piccoloflöte, 3 Oboen, 1 Englischhorn, 3 Klarinetten, 1 Bassklarinette, 3 Fagotte, 8 Hörner (davon 2 Tenor-Wagnertuben und 2 Bass-Wagnertuben), 3 Triangeln, 3 Posaunen, 1 Bassposaune,1 Kontrabasstuba, 2 Paar Pauken, 1 Triangel, 1 Becken, 1 Großtrommel, 1 Tamtam, 6 Harfen, 16 Erste Geigen, 16 Zweite Geigen, 12 Bratschen, 12 Violoncelli, 8 Kontrabässe, 16 Ambosse
Spieldauer: Ca. 2 ½ Stunden
Referenzeinspielung
Die Einspielung des „Rheingold” mit Hans Swarowsky stammt aus dem Jahr 1968. Sie besticht durch ein klares und plastisches Dirigat von Hans Swarowsky. Hervorzuheben ist neben dem hauptsächlich deutschen und österreichischen Sänger-Ensemble die tschechische Sängerin Nadezda Kniplova, die im Jahr zuvor von Herbert von Karajan entdeckt wurde und bis in die 80er Jahre eine bemerkenswerte internationale Karriere anstrebte.
Ora
Etta Scollo (Gesang & Gitarre), Zoé Cartier (Violoncello), Daniel Moheit (Klanginstrumente & Akkordeon)
Ora
Etta Scollo (Gesang & Gitarre), Zoé Cartier (Violoncello), Daniel Moheit (Klanginstrumente & Akkordeon)
Wagner: Das Rheingold
Wagner: Das Rheingold
Wagner: Das Rheingold (Premiere)
Alexander Prior (Leitung), Jürgen Weber (Regie)
Wagner: Das Rheingold
Wagner: Das Rheingold
Wagner: Das Rheingold
Wagner: Das Rheingold
Alexander Prior (Leitung), Jürgen Weber (Regie)
Wagner: Das Rheingold
Alexander Prior (Leitung), Jürgen Weber (Regie)
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(UA Bayreuth 1876)
Im Anfang war – ein auf- und abwogender Es-Dur-Akkord, denn die erste Szene spielt auf dem Grund des Rheins. Drei Rheintöchter – im Idealfall nackte Nixen – bewachen einen blinkenden Schatz: das Rheingold. Alberich, ein zwergenhafter Nibelung, beäugt die Szene. Hin und her gerissen zwischen Sexualtrieb und Goldgier entscheidet er sich für das Gold (Loriot). Dann werden Wogen zu Wolken, denn die zweite Szene spielt am Rheinufer unterhalb der soeben von Riesen erbauten Götterburg Walhall.
Wagners Ideen sind fantastisch – sie nehmen sogar schon Überblendtechniken des Films vorweg. Aber wie soll man sie realisieren? Ob die Rheintöchter auf katapultähnlichen Wagen hochgehoben werden, ob sie an Seilen vom Schnürboden herabgelassen werden, oder ob sie in einem Gummibecken planschen und dabei singen (ohne zu gurgeln, bitte!) – von Anfang an barg im Ring die Realisierung des Erhabenen die Gefahr des Lächerlichen.
Mit dieser Fortsetzungsoper in vier Abenden eröffneten 1876 die ersten Bayreuther Festspiele. Es gab viele Pannen – so waren Teile des in London gefertigten Lindwurms, da niemand dort das Provinznest Bayreuth kannte, versehentlich nach Beirut verschifft worden.
Die farbenprächtige Partitur fordert zusätzlich zur romantischen Großbesetzung 4 spezielle „Wagner-Tuben“ (von Hornisten zu spielen, im Klang düster und unheimlich), 6 Harfen (für die Rheinszenen) und 18 Ambosse (für die unterirdische Zwangsarbeitsszene in Nibelheim).
Kompositorisch entwickelte Wagner für den Ring eine spezielle Technik: das Leitmotiv. Für Personen (wie Gott Wotan), für Orte (wie der Rhein), für Dinge (wie der Ring, den Alberich aus dem von den Rheintöchtern schlecht bewachten Rheingold schmiedet), aber auch für Emotionen (wie sein Fluch, als Gott Wotan ihm den Ring entreißt), für alles gibt es Motive. Wer gut aufpasst, kann verfolgen, wie sie sich verhalten: Sie entwickeln sich, werden deformiert, erweisen sich als korrosionsbeständig oder korrumpierbar – die Biografien der Leitmotive sind spannend!
Das Rheingold ist der märchenähnliche Vorabend der Tetralogie: Hier geht es um Nixen, Zwerge und Riesen, Götter, Burgen und Höhlen, Ring und Speer, Lindwurm und Kröte, aber auch schon um Macht, Gier und Neid, Lug und Trug, Gewalt und Mord. Als Wotan den geraubten, verfluchten Ring des Nibelungen nicht hergeben will, warnt ihn die aus der Untermaschinerie auftauchende Urwala Erda vor dem Ende: der Götterdämmerung (der Feuergott Loge ahnt schon, dass er später Walhall anzünden wird). Widerstrebend bezahlt Wotan die Riesen mit dem Ring, welche sich sofort um ihn streiten, bis Fafner Fasolt erschlägt – der Fluch des Ringes bewährt sich. Nach einem reinigenden Gewitter des Donnergotts Froh schreiten die Götter über einen Regenbogen in ihre neue Burg (auch ein Realisierungsproblem ersten Ranges!). Dieser Regenbogen ist, wie sich an den folgenden Abenden erweisen wird, kein Friedenssymbol.
Zweieinhalb Stunden Spieldauer ohne Pause bedeuten für Publikum, Orchester und Dirigent einen ziemlichen Stresstest. Immerhin kann der Dirigent in Bayreuth, wo man ihn nicht sieht, sich auf dem Pult neben der Partitur einen Traubenzucker bereitlegen.
(Mathias Husmann)