Startseite » Oper » Unausgeglichene Ursuppe

Opern-Kritik: Ruhrtriennale – DAS RHEINGOLD

Unausgeglichene Ursuppe

(Bochum, 12.9.2015) Teodor Currentzis und sein Orchester MusicAeterna entfesseln unerhörte Wagner-Kräfte

vonAndreas Falentin,

Wenn Erda singt, ereignet es sich. Zusammen mit der Alt-Veteranin Jane Henschel und seinem Orchester MusicaAeterna gelingt Teodor Currentzis, dem neuen Wundertier der Klassik mit Residenz im weit entfernten sibirischen Perm, tatsächlich so etwas wie ein „Ur-Moment“. Tiefgründig. Zärtlich. Geheimnisvoll. Das Publikum folgt atemlos. Vermutlich braucht Jane Henschel die in der Bochumer Jahrhunderthalle wohl unumgängliche Mikrofonierung, um nach über 40 Berufsjahren noch diese souveräne Süße in der Stimme zu finden. Und diese – die elektronische Verstärkung überhaupt in der Oper – gilt ja vielen Puristen als Entsinnlichung, als schwelendes Ende der Kunstgattung überhaupt. Aber wenn solche strahlenden Momente gelingen…

Wenn scheinbare Improvisation die Partitur erfüllt

Das Orchester sitzt auf der mittleren Ebene von Bettina Pommers Vertikalbühnenkonstruktion, über Gründerzeitschutt in Wasserbecken, unter stilisierter (Walhall-)Gründerzeitfassade. Der Anfang kommt nicht aus der Stille, sondern aus den Sounds des DJs Mika Vainio, der Wagners Partitur dezent und nicht zwingend mit Elektrosounds aufzupeppen versucht. Für den Beginn heißt das: Ursuppe statt Urmoment. Currentzis und sein brillantes Orchester kommen schnell in einen kostbar schimmernden Fluss, bauen bewusst ein Klangbett für die dramatischen Vorgänge, den sie selber durch Zäsuren mitgestalten. Etwa, wenn die Musiker sich beim Auftritt der Riesen erheben und so die Raumatmosphäre entscheidend verändern. Wenn sich, während Mimes Erzählung, das Orchester zu verselbständigen scheint, was wie eine Improvisation anmutet, aber die Partitur erfüllt. Wenn, besonders mit den Interpreten der Götter, mit Maria Riccarda Wesseling als Fricka an der Spitze, unerhört differenzierte Phrasierungen gelingen. Und natürlich in den Handlungen und Haltungen hörbar reflektierenden Verwandlungsmusiken und am dynamisch ausgekosteten Schluss.

Uneingelöstes Versprechen: Johan Simons will Das Rheingold als Parabel auf die Geschichte des Ruhrgebiets erzählen

Die Inszenierung von Johan Simons hat diese Kraft nicht. Er findet einige starke Bilder, die Verdopplung der Rheintöchter durch Schaufensterpuppen oder das Schlusstableau, das die Wirkung sämtlicher die Handlung bestimmenden destruktiver Kräfte eindrucksvoll bündelt und beschreibt. Nur lässt er seine Akteure zu oft dekorativ über die verschiedenen Bühnenebenen und durchs Publikum flanieren und setzt damit die auf Wagners Privat-Mythologie zurück gehende Dreiteilung des Raumes außer Kraft. Vor allem scheitert Simons an seinem Hauptanliegen, Wagners epischen Vorabend als Parabel auf die Geschichte des Ruhrgebiets zu zeichnen. Es reicht nicht, wenn Alberich als Rheingold einen Kohlebrocken davonschleppt, oder wenn die Tarnkappe ein Grubenhelm im Bob-der-Baumeister-Format ist.

Eingeschobener Monolog führt von Walhall ins Jetzt

Auf dem Weg nach Nibelheim unterbricht Simons und lässt den hervorragenden Schauspieler Stefan Hunstein einen Monolog sprechen, der sich von Walhall-Fantasien aus der Edda schnell, das „kommunistische Manifest“ von ferne streifend, ins Hier und Jetzt begibt und dieses („Bruch von Verträgen, das ist die eigentliche Arbeit!“) im Elfriede-Jelinek-Stil kritisch aggressiv beleuchtet. Tatsächlich bekommt dadurch zumindest die Nibelheim-Szene eine plastische der-Mensch-ist-des-Menschen-Wolf-Gegenwärtigkeit, bei der alle vier Akteure in Bergwerksklamotten ständig auf der Bühne anwesend sind. Natürlich lebt diese Szene von der Präsenz, dem körperlichen Totaleinsatz und vor allem dem hellen, federnd expressiv geführten Bariton des Alberich-Darstellers Leigh Melrose. Mika Kares als Wotan, mit balsamischem Bassgesang, aber arg phlegmatischer Bühnenerscheinung, und Peter Bronder, der seinen Loge in einem Sammelsurium von clownesken Standardgesten versenken muss, erreichen diese Intensität bei weitem nicht. Ein auf vielen Ebenen spannender, aber arg unausgeglichener Musiktheaterabend.

Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle Bochum

Wagner: Das Rheingold

Ausführende: Teodor Currentzis (Leitung), Johan Simons (Regie), Bettina Pommer (Bühne), Teresa Vergho (Kostüm), Mika Vainio (Elektronische Musik), Will-Jan Pielage (Sounddesign), Mika Kares, Andrew Lee Foster-Williams, Rolf Romei, Peter Bronder, Leigh Melrose, Elmar Gilbertsson, Frank van Hove, Peter Lobert, Maria Riccarda Wesseling, Agneta Eichenholz, Jane Henschel Woglinde – Anna Patalong, MusicAeterna

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!