Herr Konieczny, Sie haben das Baltic Opera Festival 2023 ins Leben gerufen. Was war Ihr persönlicher Beweggrund, gerade die Waldoper in Sopot zu diesem Zentrum eines europäischen Opernfestivals zu machen?
Tomasz Konieczny: Im Frühjahr 2020, als alles stillstand und die Welt den Atem anhielt, gehörten freischaffende Künstler zu den am stärksten betroffenen Berufsgruppen. Uns wurde damals das Recht auf Arbeit entzogen – mit Verweis auf vage und unklare pandemiebedingte Regelungen, die in vielen Fällen zudem gegen die Verfassungen der einzelnen Staaten verstießen. Als Gemeinschaft suchten wir nach Wegen, in dieser schwierigen Situation zu überleben, aber vor allem auch nach Möglichkeiten, uns künstlerisch auszudrücken. In dieser Zeit beschloss mein Kollege Peter Svensson, ein österreichischer Heldentenor, den Versuch zu unternehmen, unsere Szene zu mobilisieren. Mit sehr einfachen Mitteln organisierte er ein Opernfestival an der österreichisch-tschechischen Grenze, in Mikulov. In einem offenen Betonamphitheater spielten wir zweimal „Der fliegende Holländer“ und zweimal „Tristan und Isolde“. Es traten prominente Künstler auf. Es war ein Hauch von Freiheit und Hoffnung – auch wenn sich nach dem improvisierten Festival schnell herausstellte, dass leider keine Mittel zur Auszahlung von Honoraren vorhanden waren. Doch Peter Svensson inspirierte mich. Wir begannen nach Open-Air-Spielstätten zu suchen, denn dort war mehr möglich als in geschlossenen Räumen. Ich erinnerte mich an meinen Auftritt im Jahr 2009 in der berühmten Waldoper in Sopot an der polnischen Küste – in einer konzertanten Aufführung von „Das Rheingold“. Dieser besondere Ort wurde bereits 1909 für ein Sommer-Opernfestival entdeckt und erlangte in den 1920er und 1930er Jahren den Ruf als „Bayreuth des Nordens“. Die Spielstätte zeichnet sich durch eine hervorragende natürliche Akustik aus, bietet Platz für 5000 Zuschauer, verfügt über einen großartigen Orchestergraben und wurde nach einer Renovierung in den Jahren 2010–2012 auch zu einem architektonischen Juwel der Dreistadt. Bereits im Herbst 2020 nahm ich Gespräche mit der polnischen Regierung auf. Damals war Jarosław Sellin, ein gebürtiger Danziger und Musikliebhaber, stellvertretender Kulturminister – und wie er selbst sagte, kam ich mit meiner Idee eines Baltic Opera Festivals für ihn „wie gerufen“. Die Vorbereitungen für das Festival dauerten lange, aber schließlich konnten wir im Sommer 2023 starten – und erzielten schon zum Auftakt große Erfolge, sowohl was das Publikum als auch die künstlerische Qualität betrifft. Über unseren „Fliegenden Holländer“ berichtete die internationale Presse ausführlich.
Welche Rolle spielen die besonderen Aufführungsorte für die Umsetzung der Opernproduktionen – sei es die Waldoper oder die historischen Räume in Gdańsk?
Konieczny: Spielstätten wie die Waldoper in Sopot erfordern von den Regieteams eine besondere Vorstellungskraft. Wenn man in einer natürlichen Umgebung inszeniert – im Wald, umgeben von Hügeln – darf man diese Szenerie nicht außer Acht lassen. Richtig eingesetzt, zahlt sie es mit großem Gewinn zurück. Auch der Galerie- und Clubraum „100cznia“ in den ehemaligen Werfthallen in Danzig ist ein ganz besonderer Ort. Vor einem Jahr hatten wir die Ehre, ein Freiheitskonzert des Ukrainian Freedom Orchestra in einer riesigen, noch immer produzierenden Halle der Crist-Werft in Gdynia aufzuführen – einer Halle, in der täglich Schiffe gebaut werden. Schirmherr dieses Konzerts war der ehemalige Präsident Lech Wałęsa. Die Atmosphäre war äußerst feierlich, und die Kombination aus klassischer Musik und der rauen Werftumgebung – mit ihrem natürlichen Rost – hinterließ bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck. Sowohl die Waldoper als auch andere Festivalorte in der Dreistadt besitzen etwas zutiefst Authentisches, das hervorragend zur Oper als Kunstform passt. Es liegt darin auch ein Hauch von Geheimnis und eine neue Qualität. Diese Orte ziehen Besucher direkt vom Strand an, Touristen – oft Menschen, die noch nie zuvor eine Oper oder ein klassisches Konzert gehört haben. Auf diese Zugänglichkeit und den egalitären Geist – bei gleichbleibend hohem künstlerischen Anspruch – bin ich besonders stolz.
Das diesjährige Thema „Die Einsamkeit des ausgegrenzten Wanderers“ greift hochaktuelle gesellschaftliche Fragen auf. Wie kam es zu dieser Schwerpunktsetzung?
Konieczny: Persönlich fühle ich mich zunehmend entfremdet – sowohl als Künstler als auch als Mensch – in einer Welt, in der brudermörderische Kriege wüten, oft direkt an unserer Grenze; in einer Welt fortschreitender Technologisierung des Lebens, in der das Smartphone oder Tablet zum Hauptbegleiter des modernen Menschen wird; und in einer Welt ökologischer Umbrüche und fortschreitender Umweltzerstörung. Der Hauptgrund jedoch, weshalb die dritte Ausgabe des Baltic Opera Festivals ein besonderes Motto erhalten hat, ist das diesjährige Programm. Am 11. und 13. Juli zeigen wir Richard Strauss’ Salome – eine Geschichte über die Einsamkeit der Titelfigur und des gefangenen Propheten Jochanaan. Einsamkeit – gewollt und ungewollt – ist in dieses Werk sowohl durch den Dichter als auch durch den Komponisten eingeschrieben. Zudem präsentieren wir zur Eröffnung des BOF am 10. Juli eine szenische Fassung von Schuberts Winterreise – eine Erzählung über eine einsame Wanderung des lyrischen Ichs. Am 12. Juli folgt in der Waldoper eine szenische Aufführung der Lukas-Passion von Krzysztof Penderecki – eines seiner genialsten Werke und ebenfalls eine Geschichte über die Einsamkeit eines leidenden Propheten. Ebenfalls am 12. Juli erklingt in der Baltischen Oper ein neues Werk des herausragenden Komponisten Aleksander Nowak – mit einem Libretto nach dem Drehbuch zu Agnieszka Hollands Film Europa, Europa. Auch hier geht es um Einsamkeit. Natürlich heißt das nicht, dass das Festival nur traurig sein wird. Im Gegenteil – es wird sehr spannend und kraftvoll. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass Strauss’ Salome eine ideale „Open-Air-Oper“ ist – wie gemacht für die Waldoper in Sopot. In Polen wird sie nur selten aufgeführt. Doch genau das wollen wir mit unserem Festival ändern. Wir möchten das internationale Repertoire zeigen, das in meinem Land viel zu selten gespielt wird – ohne dass man genau wüsste, warum.
Inwiefern sehen Sie das Festival als Plattform für gesellschaftlichen Diskurs?
Konieczny: Die Diskussion über unsere Existenz und unsere Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen sollten wir überall führen. Wir Künstler sind geradezu verpflichtet, aufzuklären und unbequeme Fragen zu stellen. Diejenigen, die über die Welt herrschen, vergessen oft den einfachen Menschen – und dessen Bedürfnis, Kultur zu erleben. Durch Versäumnisse in der Bildungs- und Kulturpolitik treffen Gesellschaften heute absurde Entscheidungen – wie etwa die Wahl des US-Präsidenten oder, vor Kurzem, die Wahl des Präsidenten in meinem Heimatland. Die Menschen wählen aus Trotz. Informationsüberflutung, Desinformation und Manipulation sind zu zentralen Werkzeugen der politischen Auseinandersetzung geworden. Ich bin jedoch überzeugt: Ein Mensch, der ein Kunstwerk persönlich erlebt, kann sich ein eigenes Bild von der Welt machen – er gewinnt an Selbstbewusstsein. Der Kontakt mit Kunst, mit sogenannter Hochkultur, gibt uns ein Gefühl von Würde und lässt uns stolz auf unser Erbe und unsere Identität sein. Deshalb ist ein Festival die richtige Plattform, um einen Diskurs über uns selbst zu führen – über unsere Zukunft und über das, was wir hinterlassen werden.
Sie programmieren sowohl große Klassiker wie „Salome“ als auch Werke zeitgenössischer Komponisten wie Łukasz Godyla. Welches kuratorische Prinzip steht hinter dieser Mischung?
Konieczny: Seit vielen Jahren arbeite ich als Sänger auf den größten Opernbühnen und Konzertpodien der Welt. Diese Erfahrungen haben mir viel beigebracht. Sie haben mir zum Beispiel gezeigt, dass wir als Künstler nach Höherem streben müssen – nach besseren Standards. Und dass die Oper als Gattung nicht überleben wird, wenn wir nicht neue Kompositionen in Auftrag geben und auf höchstem künstlerischem Niveau realisieren. Diese Grundsätze leiten mich bei der Auswahl des Repertoires und der Idee jeder neuen Ausgabe des Baltic Opera Festivals. Ich bin mir auch der Besonderheit des Ortes bewusst – der riesigen Kapazität der Waldoper (5000 Plätze) – und des tiefen menschlichen Bedürfnisses, etwas Schönes, Echtes und Authentisches zu erleben. Wie ich bereits gesagt habe: Das Baltic Opera Festival ist einerseits ein elitäres Ereignis, andererseits aber offen für ein sehr vielfältiges Publikum – auch für Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Opernaufführung besuchen. Auch diese Zuschauer müssen wir verzaubern und in den Bann der Oper ziehen – und das gelingt nur, wenn wir höchste Qualität bieten. Und genau hier sprechen die Namen unserer Besetzungen für sich: Jennifer Holloway, Claudia Mahnke, Olexandr Pushniak, Gerhard Siegel, Olga Bezsmertna, Adrian Eröd, Matthias Goerne, Rafał Siwek, Yoel Gamzou, Bassem Akiki. Solche Besetzungen könnten von jeder Opernbühne der Welt präsentiert werden – einschließlich der MET und der Wiener Staatsoper. Ich bin überzeugt: Nur durch Qualität können wir sowohl erwachsene als auch junge Zuschauer für die Oper gewinnen.
Das Baltic Opera Festival richtet sich sowohl an erfahrene Opernliebhaber als auch an Einsteiger. Wie gelingt Ihnen dieser Spagat ohne künstlerische Kompromisse?
Konieczny: Auf diese Frage habe ich im Grunde schon geantwortet. Aber ich muss ehrlich sagen: Es gibt hier eine gewisse Magie und ein Geheimnis – sowohl im Ort selbst, der Waldoper, als auch in der ganzen Dreistadt: Danzig, Sopot und Gdynia. Seit der ersten Ausgabe des Festivals spüren wir ein großes Interesse seitens des Publikums. Wir beobachten auch, dass unser Publikum deutlich jünger ist als das typische europäische Opernpublikum. Dieses Festival hat enormes Potenzial und könnte sich in Zukunft zu einer bedeutenden internationalen Veranstaltung entwickeln. Ich freue mich, dass unsere Bemühungen sowohl vom Kulturministerium als auch von den Verantwortlichen der Region Pommern gewürdigt werden. Besonders ermutigend ist die langfristige Unterstützung durch unseren polnischen Energie-Champion – die Firma Orlen. Dadurch können wir endlich wie zivilisierte Menschen planen. Das alles steckt noch in den Anfängen – aber die Blüte beginnt sich zu entfalten und kann in Zukunft sehr schön werden. Die Menschen haben genug von Politik, Stress und ständiger Konfrontation. Möge das Baltic Opera Festival ihnen helfen, sich von der Alltagsrealität zu lösen – möge es sie verzaubern und berühren. Schon die Antike wusste um die Bedeutung künstlerischer Erlebnisse für das gesunde Funktionieren der Gesellschaft. Wir versuchen einfach, aus den guten Erfahrungen früherer Generationen zu lernen – und etwas Schönes zu schaffen. Ich selbst lasse mich jedes Mal aufs Neue von der Waldoper verzaubern – und vielleicht bleibe ich deshalb so treu bei diesem Projekt, bei meinem manchmal sehr widerspenstigen Kind. Ich lade Sie herzlich ein zum Baltic Opera Festival vom 10. bis 16. Juli 2025. Ich bin sicher, dass wir bereits während der diesjährigen Ausgabe zumindest die wichtigsten Ereignisse des Sommers 2026 ankündigen können.