Wer glaubt, dass Hochkultur die Erdung verloren hat für die drängenden Themen unserer Zeit, dass elaborierte Kunstformen wie die Oper aufgrund mangelnder Aktualität nichts bewegen oder bewirken können und mahnende Debattenbeiträge aus dem philosophischen Elfenbeinturm lediglich wohlfeil daherkommen, der kann sich im Herzen von Basel vom Gegenteil überzeugen. Vom 13. bis 19. Oktober widmet sich das interdisziplinäre Festival Interfinity in seiner Sonderausgabe „BiodiverCity“ den zentralen Themen des 21. Jahrhunderts: Biodiversität, Nachhaltigkeit und Stadtökologie – lehrreich und vielseitig ausgestaltet mit Oper, Konzerten, Klanginstallationen, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen und Führungen sowie mit Kulinarik.

Fulminanter Einstieg
Gleich als Eröffnungskonzert kehrt mit „Le Sacre du printemps“ ein heidnisches Frühlingsritual in den Konzertsaal Gare du Nord ein. Igor Strawinskys Ballettmusik – im Rahmen des Festivals von den Pianisten Denis Linnik und Claudio Martinez in einer Fassung für zwei Klaviere interpretiert – gilt als revolutionäre Schlüsselkomposition der 1910er-Jahre. Neben der expressiven Musik und der außergewöhnlichen Choreografie von Vaslav Nijisky, die die Konventionen jener Zeit vollständig hinterfragte, sensibilisierte das in einem vorchristlichen Russland angesiedelte Thema des Werks bei seiner Uraufführung 1913 indirekt auch für eine naturverbundene Lebensweise archaischer Volksgruppen. Ein begleitendes Programm in Zusammenarbeit mit „BirdLife“ und „Basel blüht auf“, das sich mit der Bedeutung von Biodiversität in der Stadt beschäftigt, verankert das Konzert im aktuellen Diskurs (13.10.).
Doch was kann jeder Einzelne zur Artenvielfalt gerade im urbanen Raum beitragen? Diese Frage stellt Stadtimker Andreas Seiler und gewährt in der Halle 8 im Gundeldinger Feld Einblicke in den faszinierenden Mikrokosmos der Bienenwelt. Seiler vermittelt dort die Grundlagen der Imkerei und erklärt die hochkomplexe Organisation eines Bienenvolks (14.10.). Eng damit verbunden ist eine Podiumsdiskussion zum Thema nachhaltige Stadtentwicklung und Begrünung mit Architekten und Persönlichkeiten der Stadt- und Raumplanung (16.10.).
Beeindruckendes immersives Zukunftslabor
Was kann im Fall einer großen Katastrophe bewahrt werden, was muss zugrunde gehen? – Die neue Ausstellung von Michael Schindhelm im Kreislaufgebäude des Franck-Areals beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Welt nach einer großen Flut aussehen könnte. Statt sich auf tagesaktuelle Ereignisse zu konzentrieren, entwirft sie spekulative Zukunftsszenarien einer Gesellschaft im radikalen Klimawandel. Im Mittelpunkt steht der „Vault“, eine symbolische Arche für Pflanzen, Gegenstände und Ideen. Besucher dürfen alles, was sie als essenziell für eine postapokalyptische Welt ansehen, mitbringen – etwa Gedichte, wissenschaftliche Konzepte oder Musik. Bevor man diesen Raum betritt, führt der Weg durch den „Limbo“, in dem exemplarisch die Stadt Basel überflutet wird.
Ergänzt wird das Erlebnis durch den „Dream Room“, der eine immersive Vision einer Zukunft zeigt, in der Mensch und Natur im Sinne eines „Symbiocene“ wieder verschmelzen. Besucher können sich zudem im Statement Room mit eigenen Beiträgen einbringen – sei es literarisch, musikalisch oder medial (täglich ab 14.10.). Vorträge und Diskussionsrunden mit Schweizer Wissenschaftlern und Unternehmern sowie multimediale Installationen runden die Ausstellung als interaktives Zukunftslabor ab.

Mit Präzision und Tiefe die Sinne beleuchten
Die Ästhetik des Schlagzeugers Fritz Hauser zeichnet sich durch seine radikal reduzierte, aber hochpräzise Klangsprache aus. Sein Werk bewegt sich an der Schnittstelle von Musik, Architektur, Raum und Stille – oft entstehen seine Kompositionen in direkter Auseinandersetzung mit spezifischen Orten oder akustischen Räumen. Hauser nutzt Schlagzeug nicht primär rhythmisch, sondern als Instrument zur Erzeugung von Resonanzen, Texturen und Spannungen. Mit der eigens für das Festival Interfinity geschaffenen Komposition „Vier Wege in die Stille“ für vierzehn Schlagzeuger verspricht Hauser im Tanzhaus auf dem Franck-Areal – in vier einzigartigen Performances – Klang- und Biodiversität hörbar und erlebbar zu machen (14. & 15.10.).
Für das leibliche Wohl sorgt Cyrill Lang im Restaurant Rhyschänzli, wo er mit nachhaltigen Zutaten aus urbanen und regionalen Quellen ein biodiverses Menü kreiert. Ergänzt wird es mit Wein aus biodiversem Anbau. Zudem gewährt Lang Einblick in die Philosophie seiner umweltbewussten Küche (16.10.).
Verstehen und Unverständnis als philosophisches Opernsujet
Krönender Abschluss und zentrales musikalisches Ereignis des Festivals Interfinity ist die Uraufführung „Like Flesh“ von Sivan Eldar zu einem Libretto von Cordelia Lynn. Die Oper erzählt die Geschichte einer Frau, die sich in einen Baum verwandelt und dadurch zunehmend den Kontakt zur menschlichen Welt verliert. Die Hauptrollen übernehmen Maria Riccarda Wesseling, William Dazeley und Juliette Allen, begleitet vom Baseler Chor Voces Suaves. Für Regie und visuelle Gestaltung sorgen Dominique Pitoiset und Luca Scarzella, ein echter Baumstamm bildet das szenografische Zentrum. Dirigiert von Georg Köhler, wird die Oper in Kooperation mit Biologen und Wissenschaftlern entwickelt und durch wissenschaftliche Intermezzi ergänzt, die ökologische Themen von der Stadtökologie bis zu Mikrobiomen vermitteln – das renommierte IRCAM Centre Pompidou steuert dafür eine Klanginstallation mit 48 im Boden installierten Lautsprechern bei (17., 18. & 19.10.).