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Interview Jugend & Klassik

„Es gibt auch klassische Musik die total scheiße klingt“

Fehlt der Zugang oder gibt es schlicht kein Interesse? Eine Diskusssionsrunde über Jugend & klassische Musik

vonEmilia Kröger,

Junge Gedanken und alte Musik: Vier norddeutsche Teenager sind an diesem Vormittag in der Hamburger concerti-Redaktion zu Besuch – und entsprechend entspannt ist die Atmosphäre. Gekommen ist das Quartett, um mit concerti-Mitarbeiterin Emilia Kröger im Rahmen ihres Projektes zum Freiwilligen Sozialen Jahr über „Jugend und Klassik“ zu diskutieren. Laut der concerti Klassikstudie 2016 hat die musikalische Prägung im Elternhaus die größte Relevanz für junge Klassikhörer. Doch auf welche Vorurteile trifft die Klassik-Branche in der jungen Generation? Und wie könnten sich diese Vorurteile abbauen lassen? Fragen, denen sich die Gruppe, bestehend aus Niklas Mansen, Marie Lunkenheimer, Anna Buchert und Lina Lewejohann ebenso konzentriert wie interessiert stellt.  

Jugendliche und klassische Musik – passt das in unserer Zeit noch zusammen?

Niklas: Als Jugendlicher hat man kaum Zugang zu klassischer Musik, da diese in unseren Medien nur wenig vertreten ist.

Welches sind Eure Medien?

Niklas: Musiksender im Fernsehen, Radiosender oder soziale Netzwerke – und dort liegt der Fokus eher auf Unterhaltung, dafür ist die oft sehr gefühlsvolle klassische Musik nicht geeignet.

Anna: Ich glaube, dass ganz viele Jugendliche klassische Musik hören, vor allen Dingen jene, die auch selber ein Instrument spielen. Dadurch hat man dann sofort einen Zugang, da man ja praktisch zwangsweise auch mal klassische Musik hört. Außerdem könnte der fehlende Zugang daran liegen, dass der Musikunterricht in der Schule total nachlässt, oft wird Musik nur als Wahlpflicht-Fach angeboten.

Wenn ihr an klassische Musik denkt, welche Bilder habt ihr da im Kopf?

Niklas: Einen alten Mann im Sessel, der Pfeife raucht und dabei klassische Musik hört.

Anna: Bei mir kommen da mehrere Bilder auf einmal, das kann man gar nicht so direkt auf ein einziges Bild reduzieren.

Niklas: Aber man assoziiert doch eigentlich immer alte Leute mit klassischer Musik, oder?

Lina: Wenn ich an klassische Musik denke dann sehe ich in meinem Kopf  einen großen Konzertsaal mit einem Orchester. Für mich heißt klassische Musik auch immer live erleben.

Anna: Meine Gedanken sind da viel spezifischer – ich denke an konkrete Werke, an romantische Stücke, wie zum Beispiel Schuberts Winterreise. Und ich denke daran, welche Wirkung das Stück auf mich hat und was die verschiedenen Epochen und Stilrichtungen ausdrücken können.

Euch scheint also klassische Musik gar nicht so fremd, wie es mit Blick auf die junge Generation immer behauptet wird.

Anna: Viele denken, dass man komisch beäugt wird, wenn man in einem klassischem Konzert keinen Anzug oder kein Kleid trägt. Dabei hat sich das längst geändert. Und für eine Konzertkarte muss man als junger Mensch inzwischen auch kein Vermögen mehr ausgeben.

Marie: Oder, dass klassische Musik eine Hochkultur ist, die einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht vorbehalten ist…

Niklas: … ein großes Klischee ist auch, dass klassische Musik etwas Ernstes ist, nicht etwas zum Spaß haben. Dass man sich beim Hören hinsetzen und konzentrieren muss, um die Musik wirklich zu genießen.

Was ja zu einem anderen Klischee passt: Der typische Klassikhörer ist alt, elitär und ernst…

Anna: …auf gar keinen Fall! Ich sehe den typischen Klassikhörer als mittelalten Orchestermusiker, der beruflich und privat viel mit Musik zu tun hat.

Lina: Aber ich finde schon, dass die typischen Klassikhörer nun mal älter sind, im Durchschnitt mindestens über 50 Jahre.

Anna: Ich glaube, das denken die meisten Leute.

Niklas: Das liegt auch daran, dass die Leute, die klassische Musik vermitteln, meist älter sind – so wird dieser gewisse Oma-Touch immer gleich mitgeliefert. Wir bräuchten also ein paar mehr junge Leute auf beiden Seiten.

Anna: Aber die gibt es doch! Die Konzertpädagogen in jedem Konzerthaus sind geschätzt zwischen dreißig und vierzig Jahren alt.

Das Alter der Vermittler ist für euch also eine Komponente bei der Musikvermittlung – doch worin liegt der Hauptschlüssel?

Anna: Ich glaube, der springende Punkt ist, dass die Jugendlichen einen persönlichen Bezug zur Musik herstellen müssen. Und das geht eben nur durch neugieriges Ausprobieren, an das man auch herangeführt werden kann.

Lina: Genau, schon im jungen Alter sollten Kinder spielerisch die ganze Welt der Musik entdecken können, um so positive Erlebnisse damit zu verbinden.

Niklas: Aber ich finde in punkto Musikvermittlung wird eigentlich schon genug getan. Wir müssen halt auch einfach bedenken, dass sich die Art Musik zu hören, heutzutage völlig gewandelt hat.

Kannst Du das näher erläutern?

Niklas: Dadurch, dass wir jeden Tag einer kolossalen Reizüberflutung ausgesetzt sind, hat sich unsere Wahrnehmung verändert. Von überall kommt Werbung, kommt Musik, kommen Bild und Ton und wir müssen viel mehr selektieren als früher – wodurch wir aber viel weniger Zeit haben, die interessanten Dinge dann auch wirklich bewusst wahrzunehmen.

Anna: Ja, da stimme ich zu. Kaum jemand aus meinem Freundeskreis würde sich hinsetzen und intensiv eine Stunde lang nur Musik hören. Viel eher tritt Musik im Hintergrund auf, zum Beispiel wenn man mit Freunden unterwegs ist: Das nervt mich dann immer total!

Marie:  Ganz anders als bei unseren Großeltern oder auch Eltern: Da gab es ein Radio und man ist vielleicht ein paar Mal im Jahr ins Konzert gegangen. Heute ist der Medienzugang einfach unglaublich leicht und schnell: Wenn man das mal vergleicht, merkt man erst, wie sehr sich das gewandelt hat!

Lina: Ich erinnere mich noch, wie meine Eltern mir erzählt haben, dass es beim Hören von Schallplatten total fatal war, unaufmerksam zu sein. Wenn man die Platte nicht rechtzeitig umdrehte, dann ging die Nadel kaputt. So etwas kann man sich heute kaum mehr vorstellen: Wir machen einfach die Stöpsel rein, drücken auf Play und müssen uns nicht mehr kümmern – sogar die Musikauswahl können Geräte für uns treffen…

…da die meisten jungen Menschen heute über Streaming-Dienste oder direkt aus dem Internet hören.

Anna: Das führt auch dazu, dass Musik unglaublich günstig geworden ist! Früher war es ein Privileg, ein Radio oder einen Plattenspieler zu besitzen, geschweige denn in ein Konzert zu gehen! Vielleicht ist davon auch noch dieser elitäre Hauch kleben geblieben.

Eure Äußerungen klingen aber nicht so, als würdet Ihr ein Problem darin sehen, dass nur noch wenige junge Menschen klassische Musik hören…

Niklas: Natürlich ist es ein Rückschlag für die Klassik, wenn man denkt, dass diese früher die so ziemlich einzige Musikrichtung war – und die Klassik heute von Pop und Rockmusik „verdrängt“ worden ist. Und mit den Interessen hat sich dann auch das Publikum verändert, doch ich denke nicht, dass wir deswegen ein Problem haben. Leute, die prophezeien, die klassische Musik sterbe aus, sollten bedenken, dass auch die Klassik sich weiterentwickelt und noch weiterentwickeln wird – genauso wie andere Genres auch.

Anna: Man muss einfach sagen, dass es viel einfacher und eingängiger ist, einen dreiminütigen Pop-Song zu hören als eine halbstündige Sinfonie. Natürlich gibt es auch kurze klassische Stücke, aber dennoch bleiben einige andere Genres für mich irgendwie stumpfer und deswegen vielleicht auch beliebter.

Wenn Du Popmusik als einfacher bezeichnest, unterscheidest Du dann auch zwischen U- und E-Musik?

Anna: Nein, die Unterscheidung finde ich wiederum überflüssig. Letztendlich ist ja alles Musik und für mich hat einige Musik einen künstlerischen Anspruch und alles andere ist eben Kunsthandwerk, wie zum Beispiel Musik aus dem Computer. Dort geht es meist nur um Profit und darum, die Massen einzufangen.

Niklas: Das stellt für mich viel eher ein Problem dar: riesige Musikkonzerne und andere Akteure der Musikbranche, die wahre Kunst nicht mehr wertschätzen. Denn dadurch werden die Jugendlichen von Musik als Kunst abgelenkt.

Wäre es dann nicht sinnvoll, die Aufmerksamkeit junger Leute wieder mehr in Richtung Klassik zu lenken?

Niklas: Ja, natürlich – aber ich finde es wäre keine Lösung, den Musikunterricht von Klasse eins bis zur Oberstufe zu erzwingen. So wie es jetzt in Hamburg geregelt ist mit Wahlpflicht zwischen den künstlerischen Fächern, bin ich eigentlich zufrieden: Sonst kämen ja wieder die bildenden Künste oder das darstellende Spiel zu kurz. Die Angebote in der Schule sollten vorhanden sein und jeder Schüler sollte die Möglichkeit haben, klassische Musik zu entdecken. Und wenn dann die Begeisterung geweckt wird, sollte es weiterhin Unterstützung geben.

Anna: Das stimmt – Ausprobieren ist in der Hinsicht Gold wert! Und trotz Lehrkräftemangel und Unterrichtskürzung an Schulen gibt es in vielen Städten Konzerthäuser, die topfit in Sachen Musikvermittlung sind.

Wie kommt es, dass andere Musikgenres diese Art der Musikvermittlung überhaupt nicht brauchen?

Marie: Wahrscheinlich weil andere Musikrichtungen in den Medien viel präsenter sind. Kinder werden schon im jungen Altern mit Popsongs im Radio und Fernsehen konfrontiert.

Anna: Viele sehen in klassischer Musik auch noch immer etwas Altmodisches – obwohl es ja durchaus moderne klassische Stücke gibt. Zu erfolgreicher Musikvermittlung gehört für mich deswegen auch Neue Musik und das eigene Komponieren.

Niklas: Dann könnte klassische Musik hoffentlich bald auch mehr in den sozialen Netzwerken vertreten sein.

Niklas Mansen, 19 Jahre alt, hat dieses Jahr sein Abitur gemacht und plant ab Herbst in Hamburg zu studieren.

Die 19-jährige Anna Buchert macht gerade noch ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Elbphilharmonie und möchte Musiklehrerin werden.

Lina Lewejohann ist 19 Jahre alt und aktuell Freiwllige bei der  Hamburger Bücherhalle. Für die Zukunft plant sie in Richtung  Medienpädagogik zu gehen.

Marie Lunkenheimer, 20 Jahre alt, engagiert sich für ein Jahr im Atelier Freistil in Hamburg. Sie interessiert sich für die Bildende Kunst und für Musik.

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