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Blickwinkel: Prof. Arndt Rolfs

„Eine rationalere Kommunikationspolitik hätte den Schaden in der Kulturszene nachhaltig reduziert“

Der Neurologe und Gründer des Biotech-Unternehmens Centogene Prof. Arndt Rolfs über Covid-19-Tests in der Kulturszene, politische Versäumnisse und die Vereinbarkeit von Kultur und Corona.

vonJohann Buddecke,

Sie als Neurologe sind mit Centogene eigentlich auf seltene Erbkrankheiten spezialisiert. Dann kam Corona und Sie begannen mit der Testung. Wie kam es dazu?

Im Wesentlichen aus zwei Gründen. Erstens hat uns die repetitive Informationspolitik unserer Gesundheitsverantwortlichen irritiert, die uns immer wieder erzählen, man könne nicht mehr testen. Als wirtschaftlich denkender Mensch setze ich mir ein Ziel und frage mich, was muss ich tun, um dieses Ziel zu erreichen. Schauen Sie, im erfolgreichen Kampf gegen Covid-19 haben wir drei Zielgruppen: Auf der einen Seite die älteren Menschen, auf der anderen Seite die infrastrukturrelevanten Einrichtungen wie Schule, Polizei, Ärzte, Krankenschwestern – und zum dritten die Wirtschaft. Wenn man das hochrechnet, kommen wir auf einen Bedarf von etwa 1,15 Millionen Tests pro Tag. Wir hätten uns gewünscht, dass die Politik eine Zielvorgabe formuliert und die ganzen kreativen Köpfe des Landes zusammenbringt, um zu evaluieren, wie rasch wir diese Zielvorgabe erreichen können. Stattdessen im vorauseilenden Gehorsam immer wieder zu kommentieren, was alles nicht geht, halten wir zumindest für ungewöhnlich. Der zweite Grund ist, dass wir aus der Erfahrung der Wissenschaft in den letzten zwanzig Jahre rund um Corona-Viren wissen, dass wir keinen schnellen Erfolg mit einem Impfstoff haben werden. Das heißt, dass uns das Thema Covid-19 mindestens noch 18 bis 24 Monate beschäftigen wird. Und hier war uns wichtig, für unsere Mitarbeiter den bestmöglichen Schutz anzubieten, was momentan einfach das hochfrequente präventive Testen ist. Das ist keine Raketenwissenschaft. Genetik ist etwas, das wir sehr gut können, und so haben wir uns in sehr kurzer Zeit zu einem großen Covid-19-Tester entwickelt.

Wie sind sie dann auf die Klassikbranche aufmerksam geworden?

Ich bin schon von Kindesbeinen an ein großer Klassikfan. Ich erinnere mich noch, wie ich als Vier- oder Fünfjähriger meine Eltern in den Wahnsinn getrieben habe, weil ich die Arie der Königin der Nacht immer gehört habe. Insofern ist es auf der einen Seite die Liebe zur Musik und auf der anderen Seite das klare Verständnis, dass die Kultur eine wesentliche Entwicklung unserer Gesellschaft der letzten Jahrhunderte ist. Ich sehe da momentan ein hohes Risiko, dass wir viele Ecksteine dieser Errungenschaften in der jetzigen Krise einfach ignorieren und damit auch irgendwann verlieren werden. Musik ist dazu auch etwas, was mich sehr motiviert. Es ist die einzige globale Sprache, die es gibt. Ich erinnere mich mit großer Freude an letztes Jahr, als das Jugendorchester aus Riga an der Rostocker Musikhochschule zu Besuch war. Die jungen Musiker sprachen Lettisch und Russisch. Die jungen Musiker hier sprachen Deutsch und ein wenig Englisch. Sie haben sich einfach nicht verständigen können, aber die Musik hat ihnen sofort erlaubt, miteinander zu spielen. Das fand ich ein so wunderbares Symbol!

Durch Ihre Tests konnten viele Musiker im Sommer wieder auf der Bühne stehen. Wie genau funktionieren diese „Massentests“?

Eigentlich recht simpel durch sogenanntes Self-Sampling. Wir haben sehr gute wissenschaftliche Daten, die zeigen, dass der selbst durchgeführte Abstrich genauso gut ist wie ein Abstrich, der von einem medizinischen Mitarbeiter gemacht wird. Das ist letztlich entscheidend und wird in der gesamten Diskussion um Covid 19 gerne ignoriert. Es ist nicht das Testen im Labor, das ein Problem darstellt, sondern die Erwartung, dass die Abstriche von medizinischem Personal gemacht werden sollen und es dann zu Engpässen in den Abstrichzentren kommt. Zudem lautet eine Grundregel, die wir aus anderen Pandemien kennen, dass der Test zum Anwender kommen muss. Wenn Sie erwarten, dass jemand eine Stunde zum Arzt fährt, dort noch zwei Stunde wartet und nach drei Tagen sein Ergebnis bekommt, wird es niemand machen. Schon gar nicht in einer Situation, wo 95 Prozent der Infizierten asymptomatisch sind. Entscheidend ist also, dass die Lösung so einfach wie möglich ist und dabei bestmöglich in den alltäglichen Ablauf integriert werden kann. Ich sage immer, Testen muss wie das morgendliche Zähneputzen sein. Das Zweite sind dann sehr kurze Analysezeiten, damit das Testergebnis im Idealfall am selben Tag wie der Test selbst vorliegt. Das muss auf einer digitalen Plattform geschehen. Und wenn man diese Aspekte zusammenführt, kann man eben auch ein Orchester ganz einfach testen. Das ist ein Modell, das wir gerade mit vielen einzelnen Häusern diskutieren – auch im Hinblick darauf, ein gesamtes Publikum zu testen.

Wäre es also möglich gewesen, den Schaden, den die Kulturbranche durch Corona erlitten hat, durch schnelleres Handeln zu verhindern? Hätte die Politik da aus ihrer Sicht besser reagieren können, indem diese Tests gefördert worden wären?

Absolut! Wobei wir dazu noch das Unglück haben, dass in den letzten Monaten vermehrt über Angst kommuniziert wird statt über Sachaufklärung. Daraus sind zwei Phänomene entstanden. Erstens sind Veranstaltungen nicht nur weitgehend unmöglich, sondern zweitens sogar dort, wo sie erlaubt sind, nur limitiert nachgefragt. Viele fragen sich, ob sie sich infizieren oder ob sie selbst vielleicht andere Leute infizieren. Und das ist aus unterschiedlichen Facetten schon ziemlich verrückt. Denn wenn wir mal nach Österreich schauen, haben wir in den letzten Monaten gesehen, wie eine Kultur-Szene zwar nicht auf vollem Level, aber dennoch sehr wohl funktioniert und dabei kein einziger Infektions-Hotspot entstanden ist. Wir müssen davon ausgehen, dass wir es hier mit einem disziplinierten Publikum zu tun haben, das natürlich weiß, dass es sich an bestimmte Regeln halten muss, um in den Genuss der Kunst zu kommen. Und ich finde, beides hätte deutlich besser adressiert werden können. Ich bin absolut davon überzeugt, dass eine rationalere Kommunikationspolitik und auch ein mutigeres Anerkennen von alternativen Lösungen sicherlich den Schaden in der Kulturszene nachhaltig reduziert hätte.

Also ist nach Ihrer Einschätzung ein kulturelles Leben mit Corona, in der Form wie wir es immer kannten, möglich.

Absolut! Schauen Sie mal: Wir leisten uns ja schon Analogien. Warum ist ein Nebeneinandersitzen in einem Flugzeug möglich, aber ein Nebeneinandersitzen – und wenn man vielleicht noch jeden zweiten Platz freiließe zu Beginn – in einem Konzertsaal nicht? Da ist medizinisch kein Unterschied. Das Einzige ist, dass man mit einer gewissen Rationalität argumentiert, dass es zum Fliegen kaum Alternativen gibt. Aber warum erlaube ich dann nicht genau die gleiche Herangehensweise auch in der Kulturszene? Wir wissen ja, wie das Coronavirus übertragen wird, nämlich durch Hyperventilation, das intensive Ein- und Ausatmen, sportliche Tätigkeiten und das Thema Alkohol. Das sind die klassischen Themen, die diese Hotspots verursachen. Alle drei Punkte treffen zu 99,9 Prozent in der klassischen Kulturszene nicht zu. Was blockiert uns also, dass wir Lektionen und Regeln, die wir in bestimmten Bereichen aus wirtschaftlichen Interessenlagen zulassen, nicht auch in anderen Bereichen genauso zulassen?

Was sagen Sie den Menschen, die argumentieren, dass die Testkapazitäten anderswo dringlicher gebraucht werden als in der Kulturszene?

Die lade ich gerne zu CENTOGENE ein, um ihnen zu zeigen, dass mit Flexibilität und Kreativität beliebig hoch skaliert werden kann. CENTOGENE hat gerade einen Vertrag mit dem Gesundheitsministerium eines Nachbarstaats unterschrieben, wo das Unternehmen aus dem Stand heraus 20.000 Tests am Tag zusätzlich übernimmt – das geht! Das zeigt, dass man mit Kreativität wirklich skalieren kann. Wenn man sich wie viele Laboratorien eher auf Wirtschaftlichkeit fokussiert als auf notwendige Innovation und Kreativität, dann fällt es natürlich schwer. Aber diesen Unterschied hätte die Politik in den letzten Monaten sehr wohl verstehen und lernen können – und dazu auch anerkennen müssen, dass es immer alternative Strukturen und Möglichkeiten gibt. Die Ansage, es gibt keine Kapazität oder der eine kannibalisiert die Kapazität des anderen, ist einfach ein Märchen, das man wirklich ignorieren kann.

Sie haben eben auch von Schnelltests fürs Publikum gesprochen.

Letztlich ist es nur eine Frage der Logistik. Wenn wir darüber nachdenken, dass wir ganze Fußballstadien innerhalb von 24 bis 36 Stunden testen, kenne ich kein Argument, warum das nicht auch für 500 oder 1000 Teilnehmer einer klassischen Musikveranstaltung gehen sollte. Die sogenannten Schnelltests haben zwar noch nicht ganz die Qualität, die wir brauchen, aber sogar die Standardtests lassen sich in der Zwischenzeit definitiv innerhalb von 12 bis 24 Stunden durchführen. Deswegen: 500 oder 1000 Besucher eines Konzerts am Vortag zu testen ist wirklich keine Raketenwissenschaft. Das geht!

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