Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Amor vien dal destino

Archäologie trifft Ironie

(Berlin, 23.4.2016) René Jacobs bringt Agostino Steffanis unbekannte Barockoper mit Liebe ins Schillertheater

© Thomas M. Jauk

Robin Johannsen (Venere, Giuturna), Jeremy Ovenden (Enea) und Mark Milhofer (Nicea)

Einen verständlichen dramaturgischen Rahmen um eine barocke Opera seria zu legen, ist schon von jeher keine Kleinigkeit. Und Agostino Steffanis Amor vien dal destino dauert geschlagene dreieinhalb Stunden und widersetzt sich auch in anderen Aspekten der Annahme, dass man Barockoper schon immer irgendwie modernisieren könne. Nein, hier handelt es sich wirklich um das ermüdende Liebeswirrwarr mit antiken Göttern und Helden. Regisseur Ingo Kerkhof hat die Herausforderung der sperrigen Gattung angenommen. Er rettet das sperrige Genre lieber mit klug eingesetztem archäologischem Theatersinn ins Heute, als es mit dem Instrument behaupteter Modernität zu zertrümmern.

Kluger Verzicht auf behauptete Modernität

Da sind die Götter, die in einem Prolog entscheiden, dass sie den ehemaligen trojanischen Helden Aeneas (hier: Enea) vor der italienischen Küste nicht kentern lassen, sondern ihm eine Königstochter und Italien als neue politische Spielwiese geben. Schauspieler in barocken Kostümen sieht man zunächst, die sich dann eine Lockenpracht auf den Kopf stülpen, die halb nach Wolke, halb nach Ancien-Régime-Perücke aussieht. Archäologie und Ironie des Regisseurs und seines Kostümbildners Stephan von Wedel gehen Hand in Hand. Das Papierschiff ihres Schützlings lassen die Götter über einen flachgelegten Spiegel gleiten, machen ein bisschen Wind, entscheiden im Labor über Wohl und Wehe des Menschleins auf dem Mittelmeer.

Vokale Höchstleistungen

Wenige Minuten später sind die Götter in Menschen verwandelt und spielen die Personen des Dramas: Neben dem Koloraturen wie Blitze um sich werfenden Jeremy Ovenden als Enea fällt hier stimmlich vor allem Olivia Vermeulen auf. Der Figur des kriegischen Turno, Eneas Konkurrenten um die Gunst der latinischen Königstochter Lavinia (ein höchst zarter Mezzosopran: Katarina Bradić), leiht sie einen Sopran von betörend abgerundetem Timbre, dramatischer Wucht und doch Leichtigkeit in der Führung. Vermeulen sticht heraus, wohl auch durch die Aggressivität, die ihr ihre Rolle verleiht (mit Ovenden liefert sie sich einen tollen Fechtkampf, der einer Samurai-Filmszene in kaum etwas nachsteht), und doch kann man ähnliches über alle Stimmen dieser neuen Barockpremiere sagen: die US-Koloratursopranistin Robin Johannsen etwa, die in einer Doppelrolle als Liebesgöttin Venus und verschmähte kleine Schwester Giuturna stimmliche Klarheit, Attacke und Präsenz zeigt, die schon allein alle anderen zu Höchstleistungen anspornt.

Die allgemein-menschlichen Liebesnöte barocker Adeliger

Den Gott Amor, sozusagen die Titelfigur, lässt Kerkhof in einer stummen Rolle (großartig empfindsam und tolpatschig: Konstantin Bühler) das Setting des Ganzen entwerfen: Die Personen, die sich in die Liebeswirren hineinbegeben, werden von einem Bühnenvorhang umzingelt, der aber eine harte, glatte Wand ist: Man kommt nicht hinaus. Wer zurückprallt, befindet sich wieder im goldgelben Getreidegestrüpp der Gefühle, welches Amor wachsen und am Ende die Bühne unentwirrbar überfluten lässt. Eine klug ausgedachte Klammer um das ausufernde Drama, welche die eigentlich uninteressanten Liebesnöte barocker Adeliger zu etwas Allgemein-Menschlichem umzuformen weiß.

Kurzweilige dreieinhalb Stunden

Steffanis Musik, sorgsam und mit Liebe präsentiert von der Akademie für Alte Musik unter René Jacobs, ist vielgestaltig in der Instrumentation und nicht selten kurzweiliger als die 20-minütigen Da-Capo-Arien seines Nachfolgers Händel. Vielleicht auch deshalb muss man diese Barockoper nicht in falsch verstandener Modernität zersetzen, um sie interessant zu machen.

Staatsoper Berlin

Steffani: Amor vien dal destino

René Jacobs (Leitung), Ingo Kerkhof (Regie), Dirk Becker (Bühne), Stephan von Wedel (Kostüme) Marcos Fink, Katarina Bradić, Robin Johannsen, Olivia Vermeulen, Jeremy Ovenden, Mark Milhofer, Gyula Orendt, Rupert Enticknap, Konstantin Bühler, Akademie für Alte Musik Berlin

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