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Opern-Kritik: Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau – Krabat

Unentschiedene Düsternis

(Görlitz, 13.9.2025) Das Gerhart-Hauptmann-Theater versucht sich mit „Krabat“ tapfer an einer Uraufführung zeitgenössischen Musiktheaters, landet damit aber leider eine Bruchlandung.

vonChristian Schmidt,

Große Namen sind’s, die sonst als prominente Schauplätze auf Opernbühnen klingen: Verona und Sevilla, Rom und Wien, Provence und Brabant, Königshäuser und Herzogtümer… Vielleicht bietet Opernraum noch die Märchenzeit am Märchenort, wie es so schön heißt. Dass aber explizit das „Land zwischen Spree und Neiße“ mit prosaischen Ortsnamen wie Schwarzkollm und Kamenz den Mittelpunkt einer Opernhandlung böte – wo hätte es das schon mal gegeben? Das kann einen schon stolz machen, wenn man da lebt.

Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Gerade erst zum „Theater des Jahres“ unter den kleineren Bühnen Deutschlands gekürt, hat sich das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz – wohl auch dieses Lokalkolorits wegen – des sorbischen Krabat-Stoffes angenommen und bei dem Berliner Komponisten Marius Felix Lange eine „Familienoper“ bestellt, gesegnet wohl auch durch Fördermittel des üppiger ausgestatteten Lausitz Festivals. An sich schon eine große Tat: In welch anderer 55.000-Einwohner-Stadt würde man sich schon an eine Uraufführung wagen? Dieser Mut ist aller Ehren wert.

Die Lausitz als ferner, düsterer Ort

Dank Otfried Preußlers Roman von 1971 hatte die in Jugendromanform verpresste Krabat-Sage erstaunlicherweise zuerst im Westen Karriere gemacht und dort die Lausitz als fernen, düsteren Ort eingeführt, während ihn die Heimatregion des berühmten Müllerburschen erst nach der Wende touristisch auszubeuten verstand und sogar alte Mühlengebäude in den Koselbruch rund um Schwarzkollm versetzte, um den pseudo-authentischen Erlebnisfaktor zu maximieren. Heute steht am historischen Ort ein sagenhaftes Fantasialand mit neuer Toilettenanlage und schmucken Ferienhäusern, wo man Krabatliköre und schwarzes Kaffeepulver erwerben kann. Das Etikett hält und glänzt.

Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Nun also: eine Oper im nahen Görlitz – und bei weitem nicht die erste über Krabat, den Müllerburschen, der, mit seinen elf Azubikollegen in der Schwarzen Mühle gefangen, die düstre Magie vom Meister erlernt und sie schließlich gegen ihn verwendet, um am Ende dem Bösen Einhalt gebieten und die Mühle von ihrem Fluch befreien zu können. In der aktuellen Görlitzer Fassung immigriert Krabat per Mühlradzauber aus der Gegenwart in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, um dort die Rätsel des Zauberbuchs Koraktor zu entschlüsseln, damit die Bannmacht des magischen Müllers zu brechen und von seiner Mutter, die ihm traumgeführt auf der Zeitreise folgt, gerettet zu werden.

Zwischen Märchen, Fabelstoff und Historienschinken

Klingt krude, ist es auch. Man fragt sich, ob das als Familienoper ab zehn Jahren angelegte Stück wirklich von Kindern verstanden werden kann. Zumal Langes immerhin zwölfte Oper wie ein Sammelsurium verschiedenster Adaptionen des Stoffs wirkt – von den Übersetzungen und Romanen Jurij Brězans über Otfried Preußlers beliebtes Jugendbuch bis hin zu originalen Quellen. Unentschieden zwischen Märchen, Fabelstoff und Historienschinken sucht Lange möglichst viele Aspekte der sorbischen Sagenwelt unterzubringen, erweist dem fokussierten Kulturkreis damit aber keinen guten Dienst, zumal der Komponist sich recht glücklos zum eigenen Librettisten aufschwingt, was an den entscheidenden Stellen erst recht die dramaturgischen Leerstellen seiner unsteten Narrative freilegt.

Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Anstatt klar beim Kern der ohnehin schon gut deutbaren Geschichte zu bleiben – dass es nämlich Wissen, Liebe und Menschlichkeit sind, die Macht und Angst überwinden –, überfrachtet Lange den Stoff nicht nur mit zahllosen verzichtbaren Details, sondern vor allem mit allerlei christlichem Erlösungskitsch, behauptet etwa Verwandtschaften zwischen dem Dutzend Müllerburschen und den Jüngern des Abendmahls und überhöht die schon von Brězan eingeführte mütterliche Rettung zielsicher in maternalistischen Heroinendünkel mit Weihnachtsbaum und gut gefüllter Tränendrüse. Leider löst Lange damit seine großen Ambitionen nicht ein, weil er vor lauter Detailverliebtheit weder einen klaren Stil findet noch eine tragfähige Botschaft. Da vermag auch Rebekka Stanzels Regie nicht viel auszurichten.

Gemisch aus klassischer Moderne und filmmusikalischer Leitmotivik

Die unübersehbaren Schwächen der Dramaturgie und das teils bis über die Grenzen der Lächerlichkeit hinaus dahindilettierte Libretto kann auch Langes an einem Gemisch aus klassischer Moderne und filmmusikalischer Leitmotivik geschulte Musik nicht retten, die in düster flirrender Grundstimmung das deklamatorische Moment betont und – abgesehen von einigen wenigen an Volks- oder Weihnachtsliedern gemahnenden Chorszenen – kaum Ensembles kennt. Das wäre nicht tragisch, trügen die Solopassagen nennenswert zur Charakterformung bei. Zudem leidet die Partitur sehr unter den vielen überlangen quasi-rezitativisch gesprochenen Textstellen, auch wenn diese zuweilen melodramatisch untermalt werden. Das verstärkt den Eindruck, dass die Musik – ähnlich wie im Film – nur wenig mehr als illustrativen Charakter hat und selbst kaum am Erzählen der Geschichte beteiligt ist. Wie auch, wenn diese unentschieden bleibt?

Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Szenenbild aus „Krabat“ am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Gute Ensembleleistung und eine klanglich differenzierende Neue Lausitzer Philharmonie

Diese künstlerische Bruchlandung ist doppelt bedauerlich, weil das Ensemble des Görlitzer Theaters einschließlich des Produktionsteams sichtlich viel Engagement in die Erarbeitung des neuen Werks investiert hat. Insbesondere Peter Fabig als Schwarzmüller vermag seiner Figur nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch die Ambivalenz von bösem Magier und väterlicher Milde angedeihen zu lassen, während Buyan Li in der Titelpartie das Entwicklungspotenzial vom frustrierten Flüchtlingssohn zum durch Wissenserwerb gereiften Jüngling erkennt.

Auch um die guten Ensembleleistungen der übrigen Müllerburschen, des Chores und der um klangliche Vielfalt bemühten Neuen Lausitzer Philharmonie unter der Leitung des Görlitzer Generalmusikdirektors Roman Brogli-Sacher ist es schade, denn es bleibt so viel Potenzial liegen. Möglich, dass die Görlitzer „ihren“ Krabat doch noch ins Herz schließen, denn nun haben sie eine wirklich eigene Lausitzer Oper. Der Uraufführungsapplaus lässt das aber erstmal nicht erwarten.

Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Lange: Krabat (UA)

Roman Brogli-Sacher (Leitung), Rebekka Stanzel (Regie), Vinzenz Hegemann (Ausstattung), Felicia Bergström (Animation & Videoprojektionen), Peter Fabig (Der Schwarzmüller), Shoushik Barsoumian (Die Smjertnica), Buyan Li (Krabat), Lisa Orthuber (Měrćin), Yalun Zhang (Jona), Max Roomsky (Filip), Stanislav Zyskowski (Šimon), Jakub Malatinec (Handrij), Mykola Piddubnik (Jakub), Oliver Chubb (Tomaš), Ludwig Koch (Jan), Alexander Rampp (Macij), Holden Madagame (Jurij), Ferenc Sipos (Franc), Orest Kuropka (Michał), Yvonne Reich (Krabats Mutter), Opernchor und Statisterie des Gerhhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau, Neue Lausitzer Philharmonie






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