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Opern-Kritik: Oper Köln – Turandot

Hörenswertes Spektakel

(Köln, 2.4.2017) Lydia Steier inszeniert Puccini doppelbödig und kunterbunt, auch Claude Schnitzler lässt am Pult keinen Effekt aus

vonAndreas Falentin,

Seit fast zwei Jahren befindet sich die Kölner Oper jetzt im Ausweichquartier im Deutzer Staatenhaus, einer ehemaligen Messehalle mit Atmosphäre, aber ohne klassische Theatertechnik, ohne Züge oder Hubpodien, sogar ohne nennenswerte Hinter- oder Seitenbühne. Dieser Situation, deren Ende noch nicht abzusehen ist, hat Lydia Steier jetzt ein großformatiges, knallbuntes, wirkliches Spektakel abgetrotzt. Ihre „Turandot“-Inszenierung ist eine logistische Meisterleistung sondergleichen, eine pompöse China-Show, die bei wohl nicht einmal zehn Meter Bühnentiefe immer wieder 150 Bühnenakteure lustvoll hin und her bewegt und sich dabei um kein Klischee schert.

Catherine Foster sieht als Turandot aus wie eine Figur aus einem Tim-Burton-Film

Manchmal wähnt man sich fast auf einer Themen-Karnevalsveranstaltung, wenn man die verschiedenen Typen ansieht, die prügelnden Schergen in besticktem Schwarz, die weißgekleideten Garden mit ihren „Pickelhaubengesichtern“, die Massen in stilisierter Reisbauern-Tracht oder die Minister in ihren zwei Meter fünfzig lange Roben, in denen sie auf Podesten hin und her geschoben werden. Optischer Höhepunkt von Ursula Kudrnas Kostümen ist aber sicher Turandots erstes Outfit: ein riesiger Glockenrock aus pinkem Samt, dazu eine Louise-Brooks-Frisur, auf der ein Butterlecker mit Goldquasten sitzt. Catherine Foster sieht aus wie eine Figur aus einem Tim-Burton-Film.

Szenenbild aus "Turandot"
Martin Muehle (Kalaf), Alexander Fedin (Altoum) und Catherine Foster (Turandot) © Bernd Uhlig

Claude Schnitzler heizt mit dem Gürzenich-Orchester und dem klangprächtigen Chor mächtig ein

Eine große Bühne wird spektakulär hereingefahren und enthält sogar eine kleine Drehbühne. Zwei Tribünen kommen dazu, und der rotgewandete, symmetrisch hüpfende Kinderchor wird in einer Art Dschunke über die Bühne gezogen. Und alles mit reiner Muskelkraft. Auch Claude Schnitzler lässt keinen Effekt aus. Mit dem hinter den Bühnenraum verbannten Gürzenich-Orchester und dem klangprächtigen Chor heizt er mächtig ein, bringt Puccinis viele Exotismen druckvoll zu Gehör, klingt aber in den Tutti-Passagen etwas breiig und in den Konversationsszenen etwas flach, was zweifellos der Akustik und ungünstigen Positionierung geschuldet ist.

Ein Spiel im Spiel, aber von wem?

Neben dem Spektakel wartet Lydia Steier mit einem Deutungsrahmen auf. Vor dem ersten Ton ziehen Statisten auf, westlich gekleidet, in Zylinder, Gehrock und dezent raschelnden Kleidern. Die ersten beiden Akte sind sie immer wieder präsent. Es entsteht der Eindruck, als würde das Spektakel für sie inszeniert, ein Spiel im Spiel, aber von wem? Über der Bühne prangt die Leuchtschrift „Pekino“.  Ein Hinweis auf den Ort der Handlung auf Italienisch oder ein plump medienkritischer Wortwitz? Turandots stummer Auftritt im ersten Akt jedenfalls ereignet sich ausschließlich auf der Leinwand. In die Pause wird der Zuschauer mit einer Vielzahl von Fragen entlassen, vor allem die Rolle des Kalaf betreffend, der wie Timur und Liu optisch aus einer konventionellen „Turandot“-Inszenierung entlaufen scheint.

Hoch spannendes Schluss-Duett im gekürzten Alfano-Finale

Szenenbild aus "Turandot"
Martin Muehle (Kalaf) und Catherine Foster (Turandot) © Bernd Uhlig

Nach der Pause fehlt der doppelte Boden. Jetzt konzentriert sich Steier auf die Personenführung, die sie hervorragend beherrscht. Das Duett aus dem gekürzten Alfano-Schluss war selten so spannend zu erleben wie hier. Am Ende, wenn Turandot, jetzt im Marlene-Dietrich-Outfit, mit ihrem Volk versöhnt ist, tritt einer der Statisten herbei und bittet Kalaf um eine Unterschrift, was natürlich Erklärungsmöglichkeiten eröffnet und vermutlich eine kritische Sichtweise auf die Vorgänge der Handlung beglaubigen soll. Es bleibt der Eindruck, dass hier sehr viel gewollt, auch einiges erreicht wurde, sich die Regisseurin in ihrem Spiel der Ebenen aber auch mehrfach verirrt hat.

Gefeierte Sänger

Das Publikum am Premierenabend focht das nicht an. Es feierte das Spektakel und – durchaus zu Recht – die Sänger, Catherine Fosters sehr bühnenpräsente, souverän ihre hohen Cs schleudernde Turandot  sowie Martin Muehle, der ein Gänsehaut-„Nessun dorma“ hinlegte und durch sein attraktives, flüssiges Timbre ansprach, das unterhalb des Mezzoforte allerdings deutlich an Kraft und Farbe verliert. Grandios die fantastisch auf Linie gesungene Guanqun Yu als Liu, angenehm entspannt Mika Kares als Timur, umwerfend charmant und hochmusikalisch Wolfgang Stefan Schwaiger, John Heuzenroeder und Martin Koch als Ping, Pang und Pong, deren große Szene, sonst oft ein großer Langweiler, hier als Backstage-Spiel inszeniert zu einem absoluten Höhepunkt geriet.

Oper Köln im Staatenhaus
Puccini: Turandot

Ausführende: Claude Schnitzler (Leitung), Lydia Steier (Regie), fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Möller, Bühne und Video), Ursula Kudrna (Kostüme), Andrew Ollivant (Chor), Catherine Foster (Turandot), Alexander Fedin (Altoum), Martin Muehle (Kalaf), Mika Kares (Timur), Guanqun Yu (Liu), Wolfgang Stefan Schwaiger (Ping), John Heuzenroeder (Pang), Martin Koch (Pong), Michael Mrosek (Mandarin), Chor und Extrachor der Oper Köln, Mädchen und Knaben des Kölner Domchores, Gürzenich-Orchester Köln

 

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