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Opern-Kritik: Opéra de Lyon – Tristan und Isolde

Heiner Mülllers Auferstehung

(Lyon, 18.3.2017) Das Déjà-vu einer legendären Bayreuther Inszenierung

vonPeter Krause,

Der ostdeutscher Intellektuelle wildert im Mekka der heil’gen deutschen Kunst: Natürlich musste es ein Skandal werden, als Heiner Müller bei den Bayreuther Festspielen 1993 als Opernregisseur debütierte und mit dem brechtianisch geschultem Blick des Dialektikers Richard Wagners größte Liebesgeschichte neu erzählte. Eigentlich war es aber nur auf spektakuläre Weise unspektakulär, was der Dichter des Dekonstruktivismus der Mythen damals gemeinsam mit dem großen Erich Wonder auf die Bühne des Festspielhauses gehievt hatte: Die Künstler übten sich in der Kunst des unopernhaften Weglassens, der klugen Stilisierung, des beherzten Entrümpelns.

Heiner Müller
Heiner Müller © Roger Viollet/Ullstein Bild

Für Wagnerianer war Heiner Müllers Regie des Wenigen zuviel

Magische Lichtstimmungen führen vom Orange des ersten, über das Türkise des zweiten zum Mausgrau des dritten Aufzugs. Unerreicht bleibt die schöne wie konsequente Reduktion der Personenregie des ersten Aufzugs mit ihren wenigen Blicken und Gesten, die alles sagen, nur kaum naturalistisch verdoppeln, was Text und Musik ohnehin wissen. Das No-Theater mit seiner unsere Sinne sammelnden Stilstrenge beweist hier seine allzu adäquate Anwendungsmöglichkeit auf den Gesamtkunstwerker Richard Wagner. Nach Jean-Pierre Ponelles berühmter Bayreuther Baum-Romantik war die Müller-Sicht den Wagnerianer damals dann aber doch des Wenigen zuviel. Sie brüllten den Dichter-Regisseur heftigst nieder und bejubelten die Inszenierung ein paar Festspielsommer später dennoch als legendären Wurf – was diese Inszenierung ist – und bleibt.

Die Inszenierungslegende lebt – wie sich die Bilder gleichen

24 Jahre später: Wie sich die Bilder gleichen. Beim Festival „Mémoires“ der Opéra de Lyon des genialischen Intendanten Serge Dorny feiert Müllers Meisterwerk seine Auferstehung. Nach dem Tode Heine Müllers zeichnet hier sein einstiger Assistent Stephan Suschke für die Einstudierung verantwortlich, die sich eng am Regiebuch der damaligen Arbeit orientiert. Die Bühnenbilder wurden perfekt nachgebaut. Nur dirigiert nun statt Daniel Barenboim der letztjährige Bayreuth-Novize Hartmut Haenchen, und es singen statt des einstigen Traumpaars vom Grünen Hügel, Waltraud Meier und Siegfried Jerusalem, die Neulinge im ganz schweren Wagner-Fach, Ann Petersen und Daniel Kirch. Ein direkter Vergleich mit den beiden übermenschlich großen Persönlichkeiten von damals verbietet sich. Entscheidend ist, wie sich die Interpreten von heute die Regie von damals anverwandeln. Und das gelingt vorzüglich.

Regiedetails in Kammerspieldichte sichtbar

Szenenbild aus "Tristan und Isolde"
Tristan und Isolde/Opéra de Lyon © Stofleth

Die in ihren Gesamtmaßen deutlich kleinere Oper von Lyon steuert durch die größere Nähe zwischen Bühnen und Zuschauerraum sogar eine besondere Intimität und Kammerspieldichte bei. Wir sehen mehr und wir sehen genauer, was Heiner Müller und sein Team sich in den 90ern vorgenommen hatten: Wie Tristan sich todessehnsüchtig in Melots Schwert stürzt, ist heute längst State of the Art der Regie, damals war es gewagt. Wie Isolde zuvor Tristan sein Schwert reicht und sich ihm wie eine griechische Tragödin als erstes Opfer anbietet, ist nun viel deutlicher wahrnehmbar als zu Müllers Lebzeiten.

Szenische Rekonstruktion – musikalische Neudeutung

Aufregendste Neuerung dieses bewegenden Wiedersehens mit einer Inszenierung, die Geschichte geschrieben hat, ist die Deutung durch Harmut Haenchen. Gilt im Szenischen hier gleichsam historische Aufführungspraxis, löst sich der Dresdner Kapellmeister deutlich von Daniel Barenboims Lesart. Haenchens Wagner ist schlank und kammermusikalisch, er hat ausgeprägte rhythmische Schärfung, was zumal Isoldens Sarkasmus und beißendem Humor im Anfangsakt sehr zu Gute kommt. Dieser Tristan kommt in flüssigen Tempi und aufregender Innenspannung daher. Das Wilde, das Kühne und Moderne der Partitur wird nie durch ein sentimentales Nachlauschen der Romantik getrübt. Zumal die französischen Holzbläser differenzieren die Farben aufregend neu. Nie verleitet Haenchen die lyrisch veranlagten Sänger der Titelpartien zum Forcieren. Die stimmliche Entdeckung des Abends ist die wunderbar wasserklar timbrierte Brangäne der Eve-Maud Hubeaux. Überlegen deklamiert Christof Fischesser König Markes Klage.

Opéra de Lyon
Wagner: Tristan und Isolde

Ausführende: Harmut Haenchen (Leitung), Heiner Müller (Regie), Stephan Suschke (szenische Einstudierung), Erich Wonder (Bühne), Yohij Yamamoto (Kostüme), Manfred Voss (Licht), Daniel Kirch, Ann Petersen, Christoph Fischesser, Alejandro Marco-Buhrmester, Eve-Maud Hubeaux, Thomas Piffka, Orchester und Chor Opéra de Lyon

Weitere Vorstellungen in Lyon: 25. & 28.3, 2. & 5.4 2017
Koproduktion mit dem Landestheater Linz: Vorstellungen ab 15.9.2018

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