Heldentaten und Amouren auseinander zu halten, darin besteht die wahre Lebenskunst. Nur wenigen Recken ist gegeben, solch‘ goldene Regel zu beherzigen. Schon gar nicht Giasone. Francesco Cavallis und seines Librettisten Giacinto Andrea Cicogninis Opernheros vergnügt sich jeweils Zwillinge zeugend in den Betten zweier Königinnen. Das Ziel der Expedition auf der Argo – der Raub des Goldenen Vlieses – gerät ihm zeitweise völlig aus dem Blick. Regisseur und in Personalunion Bühnenbildner Michiel Dijkema zieht am Theater Münster aus dem Widerstreit zwischen Liebesabenteuern und Berufung zu Heldentaten reichlich Profit. Noch in Waffen und Harnisch lässt Dijkema den Argonautenchef als triebgesteuertes Fähnchen im Wind flattern. Es kommt daher auf die Frauen an. Medea muss die Geister der Unterwelt beschwören, um dem Geliebten einen Zauberring zu verschaffen, mit dessen Hilfe ihm überhaupt erst jenes das Goldene Vlies bewachende Untier zu erlegen und das geheiligte Widderfell zu rauben gelingt.

Tragödie und Komödie im Wechselspiel
Die Prinzessin aus Kolchis wächst bei Dijkema zur beinahe ragenden Erscheinung, deren kühne und konsequente Entschlüsse zwar auch von Leidenschaften, doch letztlich von Vernunft gesteuert sind. Wenn sie final dem Kommandanten der Argo entsagt, um ihren treuen und tapferen Verehrer König Aigeus zu erhören, so in der Erkenntnis, an der Seite eines Gemahls auf Augenhöhe in den sicheren Ehehafen einzulaufen. Gefühls- und zugleich rationale Erwägungen veranlassen andererseits Medeas Ex-Rivalin Isifile (in Münster firmiert sie unter dem Namen Hypsipyle), dem Fließräuber das Jawort zu geben. Zwar hatte der sie beseitigen lassen wollen. Nun aber fesselt ihn Reue an die Königin von Lemnos. Überdies dräut – schließlich befindet sich Medea in festen Händen – weit und breit keine Konkurrenz.
Alles dies flicht Dijkema staunenswert behend und flink in die für das Uraufführungsjahr 1649 höchst avancierte Dramaturgie des Werks. Fallweise bis zur Ununterscheidbarkeit wirken darin Elemente aus Trauer- und Lustspiel zusammen. Nie sind die Zentralfiguren gänzlich ernst zu nehmen, doch keineswegs gibt Dijkema sie völlig der Lächerlichkeit preis. Mag immer das bei der Titelfigur nicht leicht fallen. Direkt aus der venezianischen Komödie übernimmt Cavallis Oper die Aufwertung der Dienerfiguren. Ob Nymphomanin, Hermaphrodit, Stotterer oder tumb-ergebener Diener seiner Herrin, Skurrilitäten wie diese täuschen keinesfalls über das für den Fortgang des Geschehens oft unerlässliche Eingreifen der Domestiken hinweg. Kein Zweifel, die Abhängig-Beschäftigten sind auf dem Vormarsch.
Bezwingende Optik
Dijkemas Bühne ist die pure Augenweide. Raffinierte Lichtstimmungen tauchen die Spielfläche in fallweise barocke Farbenpracht, dramatisches Helldunkel oder während der Beschwörung unterweltlicher Geister einen Feuerzauber, wie es darauf spezialisierte Maler des Goldenen Zeitalters in den Niederlanden hielten. Zur Andeutung des jeweiligen Schauplatzes genügen meist wenige Versatzstücke. Das Wächter-Monster des Goldenen Vlieses indessen ist eine Riesenspinne, deren Beine von der Rampe bis auf die Brüstung des Orchestergrabens übergreifen. Ein echter coup de théâtre. Für die Argo kreuzt Dijkema einen altgriechischen Segler mit einem Schlauchboot. Mariangela Mazzeo kleidet die Personnage in eine detailfreudige Mixtur aus barocker Opulenz und gelegentlichen Anleihen bei heutiger Mode. Die Recken bevorzugen antikisierende Muskelpanzer, Maschinenpistolen und Patronengürtel, Medea hüllt sich in höfische Prachtgewänder, Isifile übt stilsicher-vornehme Zurückhaltung.

Undogmatisch und höchst lebendig
Auch musikalisch verbuchen die Münsteraner ein mehr als hübsches Sümmchen auf der Habenseite. Anton Tremmel bewegt den Chor des Hauses, sich klangschön und spielfreudig seiner überschaubaren Aufgabe zu entledigen. Clemens Flick beflügelt das historisch bestens informiert aufspielende Sinfonieorchester Münster zu etlichen Freiheiten. Lyrisches darf beinahe romantisch tönen. Der Klangkörper scherzt mit Anleihen beim Sommernachtstraum-Hochzeitsmarsch oder Pink Panther. Im Graben vertritt man halt nicht die reine Lehre, sondern setzt auf Vitalität, Esprit und nicht zuletzt Charme. Wendig in Stimme und Spiel verkörpert Countertenor Benjamin Lyko den flatterhaften Giasone. Einerseits erotisch auf flottem Fuß, anderseits königlich noch in den Nöten der Seele, verleiht Wioletta Hebrowska ihrer Medea Statur. Auf der vokalen Linie der Schönheit wandelt Robyn Allegra Partons Isifile (Hypsipyle) als personifiziertes Lamento über die Bühne. Charakterfest und liebeskräftig nimmt Youn-Seong Shims König Egeo (Aigeus) tenorstark für sich ein. Ein Kabinettstück liefert Fritz Spengler als Medeas nymphomane Vertraute Delfa. Das gerade Gegenbild zur Titelfigur, gibt Gregor Dalal den herrlich bärbeißigen Löwenbezwinger und Keulen- respektive MP-Schwinger Ercole.
Theater Münster
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie & Bühne), Mariangela Mazzeo (Kostüme), Anton Tremmel (Chor), Ludwig Obst, Dora Pavliková, Kihoon Yoo, Benjamin Lyko, Gregor Dalal, Robyn Allegra Parton, Oscar Marin-Reyes, Wioletta Hebrowska, Fritz Spengler, Youn-Seong Shim, Sinfonieorchester Münster, Opernchor des Theater Münster
Do., 05. Juni 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie)
So., 15. Juni 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie)
Do., 19. Juni 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie)
So., 29. Juni 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie)
Di., 01. Juli 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Cavalli: Il Giasone
Clemens Flick (Leitung), Michiel Dijkema (Regie)