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Porträt Poppe / WIdmann

Zweimal neue Musik in Hamburg

Werke von Enno Poppe und Jörg Widmann sind im Mai in der Hansestadt zu hören

vonThomas Jakobi,

Ich finde es gut, wenn ich dabei Überraschungen erlebe“ – Enno Poppe hat keine fertige Vorstellung im Kopf, wenn er ein neues Stück erarbeitet, und oft entwickelt sich das klingende Ergebnis in eine ganz unerwartete Richtung. Im direkten Austausch mit den Musikern habe er die besten Ideen, meint Poppe, und damit sind er und das Ensemble Resonanz wie füreinander geschaffen: den intensiven Kontakt zwischen Komponisten und Ausführenden haben beide zum Prinzip erhoben. Außerdem schätzt Poppe das Ensemble, weil „die Mitglieder ausgewiesene Solisten sind und jeder eigenverantwortlich denkt.“

Mit den beiden Werken, die im Mai im Rolf-Liebermann-Studio zu hören sein werden, würdigt Poppe die Gattungstradition des Streichquartetts und führt sie gleichzeitig ad absurdum. Die „flexible Gestaltung des Einzeltons“ steht für ihn in seinem 2002 komponierten Quartett Tier im Vordergrund: Die zentralen Töne werden in vierteltönige Glissandi aufgefächert. „Ich wollte, dass der Ton liegt, sich aber doch gleichzeitig verändert. Daraus soll sich eine organische Bewegung ergeben, die für den Hörer allerdings unberechenbar ist. So wie eben Tiere sich bewegen: Für uns ist das oft nicht nachvollziehbar, aber für das Tier völlig natürlich.“

Für gleich vier Streichquartette schrieb Enno Poppe das Werk Wald, vom Ensemble Resonanz in Auftrag gegeben und 2010 uraufgeführt. Ein „Meta-Streichquartett“ nennt der Komponist dieses Stück: Die vier Quartette sind ihrerseits wie ein Quartett angeordnet, so dass jedes die Funktion einer der vier Quartettstimmen übernimmt. 16 Streicher müssen also perfekt koordiniert werden, und da lässt Enno Poppe es sich nicht nehmen, selbst am Dirigentenpult zu stehen – das tut er nicht nur bei seinem eigenen, sondern nicht weniger gern und mit besonders großem Interesse auch bei den Werken anderer Komponisten, die ebenfalls auf dem Programm stehen werden.

Auch Jörg Widmann arbeitet immer eng mit seinen Musikern zusammen – kein Wunder, schließlich wechselt er als international renommierter Klarinettist oft genug die Seiten und ist dann selbst einer von ihnen. Er könne sich nicht vorstellen, auf eines zu verzichten und nur als Komponist oder nur als Interpret zu arbeiten, meint Widmann – nur phasenweise konzentriert er sich ganz aufs Schreiben, wenn gerade ein Werk im akuten Stadium der Fertigstellung ist. Kompositorisch ist er in verschiedenen Genres zuhause und beherrscht auch den großen Orchesterapparat. Diesem verlangt er immer wieder ungewohnte Spieltechniken ab, aber dennoch schätzt er es, wenn die Klangkultur am klassisch-romantischen Repertoire geschult ist. In langjähriger Kooperation ist ihm das NDR Sinfonieorchester ans Herz gewachsen, und so hat Widmann sich besonders gefreut, dass der neue Chefdirigent Hengelbrock eines seiner Werke aufs Programm gesetzt hat.

Der sinfonische Hymnos Teufel Amor wird im Mai, wenige Wochen nach der Wiener Uraufführung, in der Laeiszhalle zu hören sein. Die Anregung bekam Widmann durch ein verschollenes Gedicht Friedrich Schillers, von dem nur noch die erste Zeile erhalten ist: „Süßer Amor, verweile, im melodischen Flug“ – Widmann entwickelt daraus eine Liebes-Hymne, die natürlich nicht nur Teuflisches beleuchtet. Die Spielanweisung „Mit Geheimnis. Feierlich“ erinnert nicht zufällig an Robert Schumann. Der nämlich spielt eine besondere Rolle für den Komponisten Widmann: „Eigentlich gibt es in meinen Werken immer einen Schumann-Bezug. Hier ist es kein direktes Zitat, aber die Grundhaltung, das latent dramatische, die besondere Empathie für die Liebe.“ Das Orchester hat damit einiges zu tun: „Vom Teufelstanz bis zum gelösten Singen“ sei alles dabei, verspricht Widmann – ein emotional intensives Konzerterlebnis ist also garantiert.

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