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Interview Hilary Hahn

„Was kann ich dafür, dass ich nun mal eine Frau bin?“

Schönheit hin oder her: Star-Geigerin Hilary Hahn hält nichts von Marketing-Gags und aufwendiger Verpackung

vonChristoph Forsthoff,

„Schönes Kind, was bist Du ernst!“ denkt der Besucher unwillkürlich beim Anblick von Hilary Hahn auf dem Konzertpodium. Und auch im Gespräch vermag die US-Amerikanerin diese Ernsthaftigkeit kaum einmal abzulegen – fast scheint es, als sei die Violinistin das wandelnde Pflichtbewusstsein. Dass ihre Violine da ausgerechnet den Spitznamen „Die Kanone“ trägt, mutet angesichts ihrer Beherrschtheit schon beinahe bizarr an – auch wenn das zarte Persönchen mit den sanften Katzenaugen und den Korkenzieherlocken sehr wohl von Entladungen ihrerseits zu erzählen weiß: „Meine Kamera habe ich vor Wut schon mal gegen die Wand geschmissen! Und Sie werden sich wundern – sie funktionierte noch …“

Sollen wir lieber die Rollen tauschen? Auf Ihrer Website finden sich mehrere Gespräche, in denen Sie Musikerkollegen interviewen – wären Sie im Grunde Ihres Herzens lieber Journalistin als Geigerin geworden?

Natürlich möchte ich die Rollen nicht wirklich tauschen. Aber ich liebe es, Menschen zu befragen und hatte ursprünglich mal die Idee, regelmäßig solche Interviews auf meiner Website zu platzieren. Das ließ sich dann aber doch nicht verwirklichen und insofern ist es mehr zu meinem eigenen Vergnügen. Denn oft treffe ich im Laufe einer einzigen Woche so viele faszinierende Menschen, dass ich es als ein großes Glück empfinde, Zeit mit ihnen bei einem gemeinsamen Gespräch zu verbringen.

Gut, dann übernehme ich die Fragen. In Deutschland wird gern die Krise der Klassik beschworen – erleben Sie das auch so?

Nein, das habe ich noch nie so gesehen. International betrachtet, genießt doch die Klassik von allen musikalischen Genres die größte Aufmerksamkeit. Es gibt heute mehr Konzerthäuser als vor 50 Jahren, mehr Konzertreihen und Orchester. Die Klassik wird weiter ihren Weg gehen, ganz gleich, welche Krisen noch auf uns zukommen.

Ihr Optimismus in allen Ehren, aber muss die Klassik angesichts der Überalterung des Konzertpublikums sich nicht stärker um die jungen Menschen bemühen?

Natürlich können wir auf aufwendige Werbekampagnen setzen, die neues Publikum bringen und Klassik populärer machen sollen. Doch am nachhaltigsten erreiche ich neue Zuhörer über das Herz der Klassik: über ihre Vielfalt, Qualität und Unterschiedlichkeit. Bieten wir den Leuten nur immer wieder das Gleiche an, werden wir potenzielle neue Zuhörer eher verlieren. Klassik, das ist vor allem die Chance zur Entdeckung – und der sollten wir uns nicht selbst berauben.

Dennoch zählt nun mal in unserer Zeit nicht allein der Inhalt, sondern auch die Verpackung. Lässt sich über aufwändige Fotoproduktionen, wie sie inzwischen für viele Alben gerade jüngerer Künstler üblich sind, die Klassik besser verkaufen?

Wie bei jedem Produkt kann auch hier ein Bild und ein Image dem Konsumenten eine Ahnung davon vermitteln, was ihn erwartet. Wobei ja nicht ich verkauft werden soll, sondern meine Arbeit – nur die lässt sich eben anders als meine Person nicht auf einem Foto festhalten.

Am Ende ist also auch die Klassik ein ganz normales Business …

Auch wenn viele die Kunst ungern als Geschäft betrachten, am meisten beunruhigt die Leute doch bei der Frage nach dem „Überleben“ der Klassik die finanzielle Seite. Keiner sorgt sich ernsthaft, dass die klassische Musik aussterben könnte, sondern es ist vor allem die Sorge, keine Tickets mehr verkaufen zu können, keine finanzielle Unterstützung für die Orchester mehr zu bekommen, nicht mehr genügend CDs zu verkaufen. Oder auch die Sorge um sinkende Einschaltquoten für die Klassiksendungen im Radio und Fernsehen: Denn in der Folge würden Werbekunden wegbleiben und damit wäre das Überleben dieser Programme gefährdet. Die Klassik an sich wird überleben, solange Menschen musizieren – und sei es auch nur daheim – und komponieren – und sei es auch nur für sich selbst.

Ein Plädoyer für die Klassik als Geschäft – oder für die Klassik als Kunst?

Wenn wir darüber sprechen, wie sich klassische Musik verkaufen lässt, müssen wir die Kunst auch als ein Geschäft betrachten. Aus meiner Sicht würde ich die Kunst an sich zwar vom reinen Geschäft trennen, aber letztendlich sind diese zwei sehr verschiedenen Welten doch unmittelbar miteinander verknüpft. Bieten wir keine Qualität, wird keiner kommen – doch wenn wir die Qualität nicht entsprechend verkaufen, nimmt sie keiner wahr.

Nun, manchmal hält ein Kampagnenerfolg auch über ein Album hinaus – die Geigerin Vanessa Mae etwa, die einst für ein Coverfoto im feuchten Shirt aus dem Meer auftauchte, hat mit Blick auf ihre Verkaufszahlen einige Jahre von dem transparenten Look profitiert. Gilt auch in der Klassik der Marketing-Satz „Sex sells“?

Das ist ganz einfach zu beantworten: Langfristig zählt allein die Qualität. Natürlich kann jeder verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit offenbaren – und wenn jemand ein nasses T-Shirt tragen möchte oder ein anderer sich im Rollkragen wohl fühlt, warum nicht? Ein Problem wird’s nur, wenn es sich allein um einen Marketingeinfall handelt oder jemand allein um des Verkaufserfolgs willen ein falsches Bild von sich vermittelt.

Bilder spielen auch bei den Covern und Booklets Ihrer Alben eine Rolle – und die sind nicht selten aufwändig inszeniert. Mögen Sie die dazu gehörigen Foto-Shootings?

Welche Frau würde es nicht mögen, jede Menge Experten in Sachen Make-up, Frisur, Garderobe und Inszenierung um sich herum zu haben?! Ja, ich genieße das schon. Andererseits betrachte ich jeden, der an solch einem Foto-Shooting beteiligt ist, als einen Künstler auf seinem Gebiet – und insofern ist so etwas auch ein gemeinsames Werk.

Auch eine offenbar so ernsthafte Künstlerin wie Sie hat also Spaß an solch einer Selbstinszenierung.

Natürlich sind solche Foto-Shootings für jeden ermüdend, aber es ist doch eine schöne Abwechslung. Und am Ende stehen wirklich schöne Fotos – und das beinahe jedes Jahr aufs Neue! Wenn ich einmal alt bin, werde ich auf mein Leben zurückblicken können und auf diese Bilder, die bestimmte Lebensmomente festgehalten haben: Das ist doch eine wunderbare Sache!

Nun werden diese Fotos nicht nur für Ihre Alben genutzt, sondern auch für Konzertplakate und -flyer. Sie begegnen sich also bei Ihren Auftritten zwangsläufig immer wieder selbst – mögen Sie sich da noch sehen?

Am meisten stört mich, dass Veranstalter und Medien einige dieser Fotos über Jahre hinweg immer wieder benutzen – selbst wenn sie inzwischen neue Bilder erhalten haben! Vor einiger Zeit habe ich ein zehn Jahre altes Foto von mir in einer Zeitung gesehen! Ich möchte aber nicht mehr wie eine 20-Jährige aussehen, sondern wünsche mir ein aktuelles Foto, damit die Leute auch wissen, wer ich jetzt bin.

Fürchten Sie dabei als ausgesprochen hübsche Geigerin nicht, dass Ihre Musik gelegentlich mehr mit den Augen als den Ohren „gehört“ wird?

Ganz ehrlich, ich empfinde mich nicht mehr oder weniger hübsch als andere Menschen. Was kann ich dafür, dass ich nun mal eine Frau bin? Ich möchte meine Musik dem Publikum nahe bringen, möglichst viel von meinen Kollegen aufnehmen, um am Ende eine möglichst gute Künstlerin zu sein. Das ist einzig und allein mein Ziel als Musikerin.

Trotz all Ihres Bemühens um künstlerische Wahrhaftigkeit – heutzutage spielt gerade bei jüngeren weiblichen Künstlerinnen auch das Thema Image eine nicht zu unterschätzende Rolle. 

Damit habe ich mich nie auseinander gesetzt: Ich bin ich. Eine Illusion meiner Person könnte ich gar nicht aufrechterhalten – und es könnte auch frustrierend für alle Beteiligten sein, solch ein falsches Bild zu vermitteln. Nein, so wie ich auf der Bühne bin, bin ich auch im Leben.

Hat Ihre Plattenfirma denn nie versucht, Ihnen ein bestimmtes Image zu verpassen?

Aus unternehmerischer Sicht mag die Betonung eines Images Sinn machen – und Künstler sind insoweit Produkte, als ihre Arbeit verkauft wird. Doch letztendlich muss der Künstler die Zügel in der Hand behalten und sagen: So bin ich, und genau so möchte ich auch dargestellt werden. Andernfalls können sich die Dinge schnell verselbständigen und am Ende stünde ein ziemlich unglücklicher Künstler, verwirrt und verloren in den Widersprüchen seiner Identität.

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