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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Intermezzo

Wie eine Ehe von 1924 zu einer Ehe von 2024 wird

(Berlin, 25.4.2024) Regisseur Tobias Kratzer setzt seinen Strauss-Zyklus mit Fortune, leichter Hand und multiplen Verweisen fort und verdichtet „Intermezzo“ zu einer scharfsichtigen Ehestudie. Das Ensemble triumphiert, GMD Sir Donald Runnicles dirigiert die Strauss-Pracht.

vonRoland H. Dippel,

„Intermezzo“ ist Teil Zwei der Strauss-Trilogie von Tobias Kratzer für die Deutsche Oper Berlin – zwischen „Arabella“ und „Die Frau ohne Schatten“, die dann in der Spielzeit 2024/25 folgen wird. Die „bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“ geriet musikalisch fulminant, bleibt allerdings inhaltlich heikel. In schonungsloser Form setzte Richard Strauss im eigenen Textbuch seiner Ehefrau Pauline, geborene de Ahna, ein äußerst zwiespältiges Denkmal mitsamt jovialem Selbstporträt.

Das Ende des Kurzzeit-Zerwürfnisses von „Hofkapellmeister Robert Storch“ und seiner „Christine“ steigerte Strauss zum musikalisch betörenden Drahtseilakt des Schuldeingeständnisses der Frau und ihres Sichfügens in die inferiore Rolle à la „Der Widerspenstigen Zähmung“. Zur Sensation der Uraufführung im Schauspielhaus Dresden am 4. November 1924 geriet die Kopie der großbürgerlichen Garmischer Villa von Strauss.

Eine verkannte Zeitoper à la Hindemith und Weill

In seiner achten Oper versuchte der etablierte Komponist mit fast exhibitionistischen Lockungen an die großen Erfolge vor 1918 anzuknüpfen, als sich während der Weimarer Republik der Trendwind gegen ihn richtete. „Intermezzo“ ist eine verkannte Zeitoper à la Hindemith und Weill und zugleich ein Versuch, das Genre der anspruchsvollen Opernkomödie neben der Operette zu stabilisieren. Kompositorisch wurde dieser Dualismus von ausladender Sinfonik und brillantem Parlando ein ganz großer Wurf. Im November 2024 folgt die „Intermezzo“-Inszenierung von Axel Ranisch an der Semperoper – wie in Berlin mit der überragenden Maria Bengtsson.

Echte Ehekrise-Anlässe

In der Berliner Premiere legten alle voll und großartig los. Das Ensemble machte mit bei Tobias Kratzers wie immer genauem Vergegenwärtigungszugriff. Anders als bei „Arabella“ im Winter 2023 gab es keinen utopischen Ausbruch in eine positive, genderfluide Utopie. Dafür legte Kratzer mit einem schrillen bis herzlichen Porträt der Christine eine scharfe Kritik am bürgerlichen Ehemodell über Strauss‘ bitteres bis lahmes Happyend.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin

Bei Kratzer zwingt Hofkapellmeister Storch Christine, ihre finale Ergebenheitsdevotionale aus einem Klavierauszug zu singen. Durch Stellen wie diese und Arabellas „Und du wirst mein Gebieter sein“ passt Strauss nicht mehr ins 21. Jahrhundert der Zivilgesellschaften. Aber Kratzer macht in Rainer Sellmaiers überlegtem Gegenwartsdesign und der fundierten Video-Arbeit von Jonas Dahl und Janic Bebi deutlich, wie und wo vormoderne Ehekonzepte noch immer Gültigkeit beanspruchen.

Die Ungeliebte

Aus dem kontaktfördernden Crash von Christine mit dem arbeitsscheu herumlumpenden Baron Lummer auf der Rodelpiste wird ein Crash der aufpolierten Kleinwagen. Aus beider nur tuchfühligen Ländler beim Grundelseewirt kreiert Kratzer einen echten Seitensprung der von Strauss mit vielen kleinen Noten und großen Melodien auskomponierten wie redselig-sprunghaften Tonkünstler-Gattin. Statt Briefe mit Scheidungsdrohung hagelt es Smartphone-Nachrichten.

Es kommt auch ins Videobild, wie Hofkapellmeister Storch auf rotem Teppich an der Bismarckstraße Erfolge feiert, und Christine zeitnah durch paradoxe Kommunikationstiraden das Personal, aber vor allem sich selbst in den Wahnsinn treibt. Da wird Kratzers Komödienspaß zur ernstzunehmenden Psychostudie. Der achtjährige Elliott Woodruff (bekannt aus der Edeka-Werbung) liefert als Sohn Franzl ein kenntnisreiches „Drama des begabten Kindes“. Beim Dirigieren und Argumentieren eifert Franzl dem abwesenden Papa nach, was Christines Eifer und Qual noch mehr steigert. Auf sandfarbener Ledercouch und im Spot einer schlichten Stehlampe spielt ein wortreiches Drama der Ungeliebten – mit sich verengender Endlosschleife.

Orchesterdienst, die letzte Männernische

Mit leichter Hand streut Kratzer Kommentare zur Gendersituation. Lilit Davtyan macht Lummers Bettgespielin zur lustigen Spaßkanone ohne Reue. Die sprichwörtliche Skatszene spielt im Orchesterprobensaal, wo die Herren Musiker gern unter sich bleiben und Kolleginnen mit eindeutiger Abkehr den Rücken zeigen. Nach wie vor ist das Aufgebot an tollen Ensemble- und Gastkräften an der DOB für kleinere Partien imposant.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin

Da gibt es keine grauen Flecken, sondern nur tolle Spiel- und Charaktermarken: Clemens Bieber als Lover des nicht auftretenden erotischen Minengebiets Mieze Mayer, Tobias Kehrer und Simon Pauly als Storchs Kollegen, Nadine Secunde als schrille Zimmerwirtin und Notarsgattin, Markus Brück als Notar, Anna Schoeck als Hausperle Anna mit Nerven aus Stahl.

Video-Kommentare und Strauss-Reminiszenzen

Zu den umfangreichen Intermezzi kommt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter GMD Sir Donald Runnicles immer wieder ins Videobild. Sie demonstrieren: Strauss‘ dichte Instrumentalsätze sind sogar in zartesten Momenten immer musikantische Schwerstarbeit. Die Premiere steht eher bei der ausladend prächtigen Münchner Strauss-Tradition als der filigran bis weich durchlüfteten am Uraufführungsort Dresden. Das verlangt vor allem den Hauptpartien einiges an Kraft und Trotzdem-Schmiegsamkeit ab.

Scharf gerät Christines Verführungsmanöver am in Stimme und Figur fabelhaft als Lummer passenden Thomas Blondelle. Von der Stange nimmt Christine die Kostüme der Strauss-Divenpartien „Ägpytische Helena“, „Salome“, „Capriccio“-Gräfin und schwingt bei der Scheidungsforderung im Notarbüro äußerst beeindruckend Elektras Rachebeil. Wie in einer Offenbachiade zelebrieren Kratzer und seine Kratzbürsten-Diva Maria Bengtsson hier „das Geheimnis des künstlerischen Schaffens“. Sie schieben Strauss und seinem Figurenzwilling Storch einen Großteil der Rosenkrieg-Schuld zu.

Christine und ihr Vorbild als Pauline Strauss-de Ahna sind Steilvorlagen für Strauss‘ Bühnen-Megären, -Xanthippen und -Mädchenblumen. Wunderbar dafür die Video-Reminiszenzen aus „Der Rosenkavalier“ mit Fassbaender & Jones, „Elektra“ mit Rysanek und „Intermezzo“ aus München von anno dazumal, in die Kratzer aus der eigenen Berliner „Arabella“-Arbeit eine Szene im Anneliese-Rothenberger-TV-Design der 1970-er einschleust. So steigert sich die „bürgerliche Komödie“ zur Studie mit Soziologie-Format.

Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „Intermezzo“ an der Deutschen Oper Berlin

Anti-Traumpaar

Das funktioniert nur in Synergie mit einem Hauptpaar, das Goldkehlen, Sensibilität und scharfen Verstand mitbringt. Ein Glücksfall als Storch wurde Philipp Jekal, der die Kronprinzen-Partie des Storch von Thomas Johannes Mayer übernahm. In nur wenigen Jahren schaffte es Jekal vom Eleven in die DOB-Ensemblespitze. Storch ist wie Mandryka in „Arabella“ ein Bariton-Assoluto-Spurt mit Deklamation und Fortissimo-Melos. Erst führt Kratzer lange Zeit mit Jekal auf die falsche Eheopfer-Fährte, bis Storch im Finale perfide Psycho-Daumenschrauben ansetzt, Christine die Worte für ihre berechtigten Mangelwahrnehmungen nimmt und das Einpressen in alte Frauenstereotypen also erst richtig losgeht.

Maria Bengtsson hat für die riesige Partie die unerlässliche Dauerkondition und holt aus den Paradoxien der Christine immer schöne Sympathie-Funken. Bengtsson ist ein Vulkan wie aus dem Vogue-Magazin und siegt auf ganzer Linie, obwohl ihre Partie weitaus schwieriger ist als die sprichwörtliche „Rosenkavalier“-Marschallin. Dass sie hinter der harten Schale immer poröse Emotionalität zeigt, macht sie zur idealen Protagonistin von Kratzers scharfsichtiger Ehestudie 2024. Jubelstürme ohne schlechtes Gender-Gewissen.

Deutsche Oper Berlin
R. Strauss: Intermezzo




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