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Isny Opernfestival 2021

Rank und schlank

Das Isny Opernfestival wirft überflüssigen Klangballast von Bord und konzentriert sich auf das Wesentliche.

vonRoland H. Dippel,

Schnapszahl! Seit 33 Jahren macht der heilklimatische Kurort Isny im Allgäu große Oper an atmosphärischen Aufführungsorten wie dem Innenhof des Schlosses, der Freilichtbühne am Alten Rathaus, dem Kurhaus am Park und der evangelischen Nikolaikirche. Das Isny Opernfestival wirkt spontan, schlank und flexibel. Als Beitrag zur Gedenkreihe „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ spielt man im August Pavel Haas’ „Šarlatán“ (Der Scharlatan). Zum Jubiläum „500 Jahre Reformation“ gab es 2017 Meyer­beers „Die Hugenotten“, eine der wenigen packenden Opern über Konfessionskonflikte, und zum Jubiläum „650 Jahre Freie Reichsstadt Isny“ wurde aus Rossinis „Wilhelm Tell“ das Musiktheater-Event „Befreiung von der Großmacht“. Immer bereichern Festivalkonzerte das thematische Spektrum wie dieses Jahr mit der Hohelied-Kantate „Flame of the Lord“ des amerikanischen Komponisten Simon Sargon.

Der Komponist, Dirigent und Festivalleiter Hans-Christian Hauser arbeitet mit Enthusiasmus an der eindrucksvollen Chronik des Festivals, in dessen Orchester Studierende süddeutscher Musikhochschulen mitwirken. Zum 30-Jahre-Jubiläum 2018 würdigte man dieses Lebenswerk mit einer Ausstellung. Hauser hinterfragt große Werke nach Kriterien, die in jüngster Zeit in Hochschuldiskursen mit zunehmender Dringlichkeit aufscheinen: Sind Chormassen und lange Besetzungslisten mit einerseits an die physischen Belastungsgrenzen gehenden Anforderungen und andererseits marginalen Randpartien in einer demokratischen Gesellschaft noch zeitgemäß? Hauser erstellt sinnfällige Spielfassungen, in denen er umfangreiche Partien wie in „Šarlatán“ den Wanderarzt Pustrpalk auf drei Sänger verteilt. Er hält massive, statuarische Chorballungen für entbehrlich und arrangiert für eine immer das originäre Werkkolorit bewahrende Kammerbesetzung.

Als Experte für slawische und jüdische Vokalmusik war Hauser nie auf das italienisch-französisch-deutschsprachige Kernrepertoire festgelegt. Auch deshalb haben seine Vernetzungsenergien eindrückliche Strahlkraft: Die alljährlichen Gastspiele in der Allerheiligen-Hofkirche München, im dortigen Innenhof der Glyptothek und im Stuttgarter Wilhelma-Theater sind Säulen metropolitaner Sommerkultur. Auch große Kompositionen Hausers gelangen zur Aufführung: Dessen Oratorium „Die Himmelsleiter“ und sein Musiktheater Kain und Abel, in dem er den alttestamentarischen Mythos des ersten Brudermordes an Euthanasie-Praktiken der Nationalsozialisten im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren gespiegelt hatte, bestätigen den ethischen Ernst des Isny Opernfestival.

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