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Kunstfest Weimar 2022

Kurz vor 12

Das Kunstfest Weimar behandelt dieses Jahr in vielen seiner Programmpunkte die drängenden Fragen unserer Zeit.

vonEcki Ramón Weber,

Die Folgen der Klimakrise, des Artensterbens und der Umweltverschmutzung bekommen wir immer deutlicher zu spüren. Auch die Künste setzen sich mittlerweile verstärkt mit diesen Problemen auseinander und regen Diskurse an, wie angesichts dieser existenziellen Bedrohungen endlich und möglichst schnell umgesteuert werden kann. Die aktuelle Ausgabe des Kunstfests Weimar hat in den Bereichen Musiktheater und Konzert gleich mehrere Beiträge zu diesem Themenkomplex im Programm.

So hat der Dramatiker Falk Richter, der in seinen Stücken seit Jahren scharfsinnig und hellwach die sozialen und politischen Verwerfungen unserer Zeit seziert, sein erstes Libretto für die neue Oper von Jörn Arnecke, „Welcome to Paradise Lost“, verfasst. Der Text von „Welcome to Paradise Lost“ geht aus vom Versepos „Die Konferenz der Vögel“ des persischen Dichters und Mystikers Farid ud-Din Attar und aktualisiert das dort geschilderte Szenario: Die Vögel unternehmen ihre Reise zu den Menschen, um sie angesichts des verheerenden Zustands der Welt zu warnen und zum Umdenken zu bewegen. Die Regisseurin Andrea Moses macht daraus ein modernes Passionsspiel, das die fragwürdigen Narrative eines ungebremsten Wachstums und die Gewinner eines auf rücksichtslose Ausbeutung angelegten Systems den jungen Protestbewegungen, die um ihre Zukunft kämpfen, gegenüberstellt (3. und 10.9).

Radiofone Hörstücke beleuchten die Zerstörung der Natur

Als ein Detail dieses Themenkomplexes rücken die bildende Künstlerin Sigalit Landau, der Komponist Shushan Isaac und der Choreograf Nir de Volff in der Videoinstallation „Der Olivenhain“ den Bedeutungswandel des Olivenbaums in den Blick, vom verehrten Sinnbild in der Bibel bis zum Objekt globalisierten Profitstrebens heute. Klangkünstler Robin Minard wiederum präsentiert in zwei radiofonen Hörstücken Ergebnisse von Expeditionen in Weltgegenden, wo die Zerstörung der Natur besonders drastisch zu bemerken ist: bei den kanadischen Inuit in der Nähe des schmelzenden Polarkreises und bei den Kayapó im schwindenden Amazonas-Regenwald (2.9.). Auf die nach wie vor wachsenden Müllberge unserer Zeit mit halbherzigen und verlogenen Recycling-Konzepten weist ein partizipatives Studierenden-Projekt der Bauhaus-Universität Weimar kreativ hin: Das „Trashquestra“ baut Instrumente aus Weggeworfenem und präsentiert die Klangresultate. Das Publikum ist eingeladen mitzumachen.

Traditionell bezieht das Kunstfest Weimar Stellung gegen Diktatur und Totalitarismus, das KZ Buchenwald ist nur rund zehn Kilometer vom Hort der deutschen Klassik entfernt. Das diesjährige Gedächtnis-Buchenwald-Konzert zum Auftakt mit Musica Ficta und Raúl Mallavibarrena setzt das Requiem des spanischen Renaissancekomponisten Tomás Luís de Victoria in einen Dialog mit traditionellen sephardischen Gesängen und Texten des Buchenwald-Überlebenden Jorge Semprún (24.8.). Einige Tage später entlarvt das Musiktheaterprojekt „Aria di Potenza“ die Manipulationsstrategien aus Reden von Politikerinnen und Politikern, indem das Gesprochene an den dramaturgischen Zuspitzungen in Opernarien umschlägt (2.9.). Per se zugespitzt ist die Allmacht- und Totalitarismus-Groteske „Ubu Roi“ von Alfred Jarry. In Weimar gibt es eine Ausstellung darüber mit einem Klangstück von Robert Wilson (ab 25.8.). Politische Unterdrückung und Schicksale aus der Zeit des Kolonialismus behandelt das Gastspiel des Vuyani Dance Theatre aus Südafrika, mit seinem auratischen Leiter Gregory Maqoma und dem Komponisten Thuthuka Sibisi (25. + 27.8.). Das Kunstfest Weimar zeigt sich mit seinem Programm nah am Puls der Diskurse unserer krisenhaften Gegenwart. Es ist dringend nötig in diesen Zeiten.

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