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„Der Gipfel ist gleichzeitig ein Startpunkt“

Dresdner Musikfestspiele

Die 46. Dresdner Musikfestspiele regen mit ihrem Motto „Schwarzweiss“ zum Nachdenken an und widmen sich vom 18. Mai bis 18. Juni mit 63 Veranstaltungen an 22 Spielstätten den Spannungsfeldern in Musik und Gesellschaft.



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Die Dresdner Musikfestspiele werden ein Fest der Begegnungen und Impulse. Jan Vogler und Kent Nagano stellen zwei besondere Projekte vor. Eine besondere Aufführung ist bereits vor dem offiziellen Festival-Start zu erleben.

Die Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Hamburg lebt in einem Sonderkonzert auf, bei dem unter anderem das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, die Alsterspatzen, die Audi Jugendchorakademie, der Dresdner Kreuzchor sowie der Chor des Young ClassX Ensembles ein neues Werk des Komponisten Sean Shepherd aufführen. Wie finden die beiden Städte musikalisch zueinander?

Kent Nagano: Dresden und Hamburg haben eine historische Verbindung durch die Elbe, den Handel und den kulturellen Austausch. Das Konzertprojekt, das in New York, Hamburg und Dresden zu hören sein wird, zelebriert das, was heutzutage so wichtig ist: soziale Kontakte und Kommunikation.

Jan Vogler: Kent Nagano und ich pflegen seit fünfzehn Jahren eine musikalische Freundschaft. Mit seiner Idee, für den Kompositionsauftrag an Sean Shepherd Klangkörper aus den Städten zu verknüpfen, in denen wir beide musikalisch wirken, festigen wir diese Partnerschaft.

Der amerikanische Komponist Sean Shepherd hat das Stück „On a clear day (An einem klaren Tag)“ für Cello, Orchester und Chöre nach Versen von Ulla Hahn kreiert. Wie ist der Charakter dieses Werkes? Die Liste der Mitwirkenden klingt bombastisch …

Vogler: Wir glauben, dass die Zukunft der Musik weniger im Bombastischen liegt, sondern in ihren Botschaften. Das Stück ist ja auch in ein klassisches Programm mit Werken von Brahms und Beethoven eingebunden. Es soll Denkanstöße geben, wie wir in der Zukunft Brücken bauen und Gegensätze überwinden können.

Nagano: Uns war schnell klar: Die Stimme als Träger der Botschaft sollte der nächsten Generation gehören. Deshalb ist der große Kinderchor dabei. Wir brauchen neue Impulse, und die sollen auch von jungen Menschen kommen, komponiert von einem lebenden Komponisten. Neben den Stimmen, die Ulla Hahns Texte interpretieren und in den Orchesterklang eingebettet sind, „spricht“ Jan Vogler als recitativo lirico und lässt das Cello den Inhalt ohne Worte erzählen.

Wie kam es zum Kompositionsauftrag an Sean Shepherd?

Nagano: Es klingt merkwürdig, aber in unserer Welt mit all der Kommunikationstechnik war es tatsächlich die gute alte Mundpropaganda. Der Komponist George Benjamin, den ich während meiner Studien bei Olivier Messiaen kennengelernt habe, empfahl mir die Musik dieses jungen amerikanischen Komponisten. Nach einer kreativen Schaffenspause ist dies eines der Werke, mit dem er seinen Wiedereinstieg auf die Konzertbühne in Angriff nimmt.

Wie kam es dazu, dass Ulla Hahn Teil dieses Projekts wurde?

Nagano: Ulla Hahn ist eine Literatin, die innerhalb der Szene fast den Status einer Ikone besitzt. Ich kannte sie schon aus meiner Zeit in Frankreich, dann traf ich sie zufällig bei einer Soirée in einem Hamburger Buchhandel wieder. Sie rezitierte ihre Verse in den musikalischen Kontext hinein, die Grenzen zur Musik waren fließend. Der Atem, die Phrasierung und der Rhythmus ihrer Poesie sind musikalisch. Seitdem arbeiten wir immer wieder zusammen.

Cellist Jan Vogler ist seit 2008 Intendant der Dresdner Musikfestspiele und seit 2001 Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals.
Cellist Jan Vogler ist seit 2008 Intendant der Dresdner Musikfestspiele und seit 2001 Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals.

Herr Vogler, was mögen Sie daran, mit jungen Menschen zu arbeiten?

Vogler: Wenn ich mit jungen Musikern zusammenarbeite, lege ich Wert darauf, die Musik partnerschaftlich zu entdecken und weniger eine Führungsrolle einzunehmen. In diesem Projekt finde ich es spannend, dass extrem viele junge Musikerinnen und Musiker mitwirken. Sie werden das Werk in der Carnegie Hall in New York uraufführen und vorher mit einem namhaften Dirigenten wie Kent Nagano arbeiten. Das ist schon ein Ritterschlag. Die Mitwirkenden selbst, ihr Zusammenwirken und die Einbindung in ein professionelles Setting sind eine Botschaft für sich.

Und was gefällt Ihnen an der Arbeit mit jungen Menschen, Herr Nagano?

Nagano: Ich kenne viele der Chöre bereits und weiß, dass wir es hier mit jungen Stimmen auf hohem Niveau zu tun haben. Sie bringen Neugier mit, sie wollen entdecken. Sie haben nicht so viel Erfahrung – und das ist gut so, weil sie noch nicht so viel Gelegenheit hatten, Grenzen zu ziehen. Auf diese offene Kommunikation freuen wir uns alle: Ulla Hahn, Jan Vogler, Sean Shepherd und ich.

Beethovens achte Sinfonie und das Schicksalslied von Brahms sind ebenfalls Teil des Programms. Steht Shepherds Werk eher im Kontrast zu diesen Werken oder im Zusammenhang mit ihnen?

Nagano: Die Sinfonie ist ein stilistischer Kontrast zu Shepherds Komposition, hat aber gleichzeitig eine starke Verbindung im Inneren. Beethoven hat mit seinen späten Sinfonien die Tür zu kommenden Jahrhunderten aufgestoßen. Gerade die achte ist sehr feinsinnig und hinterfragt gesellschaftliche Entwicklungen mit den Mitteln der Ironie. Und für mich als Hamburger Dirigent, der nach New York und Dresden reist, darf Johannes Brahms einfach nicht fehlen. Er hatte einen enormen Einfluss auf die gesamte Chorliteratur und Laienchorszene.

Ein weiteres Unterfangen von Ihnen, Herr Nagano, wird in Dresden fortgesetzt und bekommt neue Impulse: die „Wagner-Lesarten“, die das Concerto Köln 2016 mit Ihnen ins Leben gerufen hat. Das ist eigentlich ein Forschungsprojekt. Wie passt das zu den Dresdner Musikfestspielen?

Vogler: Die historische Aufführungspraxis hat mich in meiner Kindheit enorm fasziniert. Ich wollte immer dem Beispiel Harnoncourts folgen und habe mit dem Dresdner Festspielorchester die Reihe „Originalklang“ aufgebaut. Wir führen Werke auf Instrumenten ihrer Entstehungszeit auf, vom Frühbarock bis hin zu Richard Strauss. Als Kent Nagano mir die „Wagner-Lesarten“ vorstellte, war ich sofort Feuer und Flamme, dem Projekt hier eine neue Heimat zu geben. Concerto Köln und das Dresdner Festspielorchester werden quasi verschmolzen, und das Ergebnis dieser chemischen Reaktion soll über Dresden hinaus strahlen. Ein Team von Musikwissenschaftlern gibt die Erkenntnisse sofort an die Ausführenden in Workshops weiter. Alles gipfelt in einer konzertanten Aufführung von Wagners „Rheingold“.

Nagano: Der Gipfel ist gleichzeitig ein Startpunkt, denn selbstverständlich werden wir in den kommenden Jahren den „Ring des Nibelungen“ auf diese Art komplettieren. Die „Wagner-Lesarten“ sind kein einmaliges Programm, sondern ein neuer, fester Bestandteil der Festspiele.

Herr Nagano, was hat Sie dazu bewogen, Wagner auf diese Art zu „lesen“?

Nagano: Die meisten Ausführenden gehen an den Ursprung eines Werkes und zum Komponisten zurück und entwickeln von da aus ihre eigene Idee zum Stück. Jede Interpretation ist legitim. Olivier Messiaens Inspiration war sein christlicher Glaube. Muss man seinen Glauben teilen, um seine Werke zu verstehen und zu interpretieren? Nein! Aber man muss darum wissen. Mir ist es sehr wichtig, den Ursprung der Musik gut zu kennen. Mit den „Wagner-Lesarten“ wollen wir so intensiv wie möglich in die musikalische Welt Wagners eintauchen. Es gibt viele Wege, Wagner zu interpretieren, und alle sind legitim. Es ist also keine Kritik oder Wertung, ihn historisch zu interpretieren. Unsere bevorstehende Interpretation vom „Rheingold“ wird eine Entdeckung sein!

Wird ein Wagnerfan, der nicht so tief in die Forschung eingestiegen ist, den Unterschied hören können?

Nagano: Auf jeden Fall! Wagnerianer und Wagner-Spezialisten werden überrascht sein! Ihnen wird jetzt schon weltweit eine Bandbreite von Lesarten seiner Musik geboten. Wir bieten eine, die sehr nah dran ist an dem, was Wagner wichtig war. Welchen Dialekt schätzte er besonders? Was war die Art, auf der Bühne zu spielen? Die Instrumente entwickelten sich damals schnell weiter, und die Art zu singen war anders. Wagners Vorstellungen von Diktion, Parlando und Portamento – das wird nach eingehender Forschung klarer und hörbar.

Herr Nagano, Sie sind bei diesem Festival mit zwei beachtenswerten Projekten zu erleben, die mehr sind als reine Highlight-Konzerte. Gibt es eins, dass Sie ein bisschen mehr reizt?

Nagano: Es macht keinen Unterschied für mich, ob ich ein altes oder neues Werk spiele. Worauf das Publikum reagiert, ist die Qualität des Werkes. Ich blicke beiden Konzerten mit Freude entgegen. Wir alle wurden in den letzten Jahren daran erinnert, wie wichtig es ist, dass Interpreten und Publikum wieder zur selben Zeit am selben Ort sind. Das zelebrieren wir in Dresden.

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