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Interview Auryn Quartett

„Quartettspielen macht süchtig“

Das Auryn Quartett über erfüllte Träume, Individualität und Entdeckungen nach über drei Jahrzehnten

vonArnt Cobbers,

Das Auryn Quartett ist nicht nur eines der besten Streichquartette, sondern inzwischen auch eines der ältesten: Seit 1981 musizieren Matthias Lingenfelder (rechts) und Jens Oppermann (Mitte links), Stewart Eaton (Viola) und Andreas Arndt (Violoncello) miteinander – und haben dabei nichts von ihrer Frische verloren.

Meine Herren, Sie hatten Ihre erste Probe zu viert am 8. März 1981. Feiern Sie jedes Jahr Geburtstag?

Arndt: Größer gefeiert haben wir den 20. und den 25. Geburtstag. Aber wenn wir am 8. März keine Probe haben, kommt ganz sicher eine SMS: Happy Birthday! Einer von uns denkt immer dran.

Das Auryn-Amulett aus Michael Endes Unendlicher Geschichte, das die Worte trägt „Tu was du willst“, war anscheinend der richtige Namensgeber.

Eaton: Quartett zu spielen war schon immer mein Traum. Der geht seit über 30 Jahren täglich aufs Neue in Erfüllung. Ich kann mir bis heute nichts Schöneres vorstellen, auch wenn es manchmal schwierig ist, wenn man so viel unterwegs ist. Aber man kann nicht aufhören, es macht süchtig. Und wir sind ja noch jung, es kann noch lange weitergehen.

Betreiben Sie das Quartettspiel noch so intensiv wie zu Anfang?

Oppermann: Wir sind damals nach Köln gezogen, um beim Amadeus Quartett zu studieren. Wir haben jeden Tag geprobt, haben viel Zeit miteinander verbracht, haben ganz nahe beieinander gewohnt. Das ist heute nicht mehr so. Wir haben Partner gefunden, Familien gegründet – heute wohnt nur noch einer von uns in Köln. Das war ein tiefer Einschnitt in unserem Quartettdasein, als wir uns geografisch voneinander entfernt haben.

Lingenfelder: Das ist sicherlich auch eine normale Entwicklung. Bis man ein Repertoire aufgebaut hat, bis das Zusammenspiel wie selbstverständlich läuft, das dauert einige Jahre. Danach braucht man diese tägliche Nähe nicht mehr. Und es ist vielleicht auch ganz gut, dass sich alle weiterentwickeln in unterschiedliche Richtungen.

Wird das Arbeiten einfacher oder schwieriger?

Eaton: Das ist auch von der Tagesform abhängig wie in jeder Beziehung. Wenn der Kollege etwas sagt, denkt man manchmal: Au nein, das schon wieder. Und am nächsten Tag denkt man beim selben Kommentar: Stimmt, das inspiriert mich jetzt.

Arndt: Im Konzert wird es einfacher, finde ich. Ich kenne die anderen sehr gut, ich kann mich auf sie verlassen, mehr denn je fühle ich mich frei, musikalische Gedanken spontan auszudrücken. Ich weiß, dass ich von den anderen gestützt werde und dass sie mir antworten.

Oppermann: Das Proben ist einfacher geworden. Es gibt viel weniger Grundsatzdiskussionen, es geht mittlerweile um Feinheiten. Wir arbeiten sehr effektiv, sehr zielgerichtet, wir gehen gut vorbereitet ins Konzert. Was sich geändert hat, ist der Aufwand beim Proben. Früher haben wir uns zwanglos getroffen, die Probe war der zentrale Teil des Tages. Heute haben alle noch anderes zu tun, es ist immer mit Reiserei und Planung verbunden.

Arndt: Aber das wichtigste bleibt das Quartettspiel, daran hat sich nichts geändert.

Es ist noch ein Fulltime-Job?

Oppermann: Absolut. Wir haben viele Konzerte, wir haben 2009 150 verschiedene Stücke gespielt: alle Haydn-Quartette für den WDR, drei Beethoven-Zyklen, dazu die normalen Programme. Das kann man nicht aus der Hüfte schießen. Das muss alles geprobt werden.

Arndt: 150 Stücke – hast du das gezählt?

Oppermann: Ja, sowas mache ich gern.

Eaton: Du hättest die Zeit lieber fürs Üben nutzen sollen. (alle lachen)

Arndt: Inzwischen leiten wir ja auch zwei Festivals künstlerisch, in Mondsee und in Este in Italien, da spielen wir viele verschiedene Stücke und müssen viel vorbereiten.

Lingenfelder: Und wir haben ja noch unsere Professuren für Kammermusik in Detmold. Wir unterrichten zwar nicht gemeinsam, haben aber gemeinsame Prüfungen, Vortragsabende usw. Wir sind eine Woche pro Monat gemeinsam in Detmold und proben dann auch da.

Eaton: Ich bin der einzige, der noch einen festen zweiten Job hat: als einer der Solo-Bratscher im Chamber Orchestra of Europe.

Entscheiden Sie alles einstimmig?

Oppermann: Entscheidende Sachen werden von allen besprochen. Aber man muss auch Vertrauen haben. Für Este ist Stewart verantwortlich, Mondsee macht programmatisch Matthias, Andreas macht die Koordination.

Arndt: Und Jens kümmert sich um die Finanzen. Wir haben ein gemeinsames Konto, ich weiß oft gar nicht, was ich verdiene. Matthias ist das Bindeglied zu unseren Agenturen, auch was die Programme betrifft.

Kann man auch in 30 Jahren Quartettspiel seine individuelle Stimme behalten?

Eaton: Ich denke sogar, jeder von uns ist individueller geworden. Man kann den Kopf weiter aus dem Fenster strecken, wenn man einen sicheren Halt hat. Ich habe das Gefühl, ich kann heute mehr machen, weil ich die anderen besser kenne.

Lingenfelder: Am Anfang musste man gucken, dass es zusammenbleibt. Jetzt kann man freier spielen, weil man weiß, die anderen kommen mit und reagieren.

Arndt: Wir können einen gemeinsamen Puls herstellen. Da kann der, der an einer Stelle führt, den Puls bestimmen, und die anderen machen mit. Aber bis man dahin kommt, das braucht viel Zeit.

Gibt es Tricks, um Routine im negativen Sinne zu vermeiden?

Lingenfelder: Etwas zu machen, nur damit es für einen selbst spannend bleibt, das ist selten überzeugend. Ich persönlich brauche Abwechslung. Ich würde ungern zehn Mal hintereinander meinen Lieblings-Beethoven spielen, dann käme Routine rein.

Eaton: Wir machen unser tägliches Training, Zusammenspiel und Intonation muss man immer wieder üben. Aber mit der Musik machen wir immer weniger. Wir lassen sie sich frei entwickeln in unserem Spiel.

Arndt: Ich würde mich nicht gern blamieren vor meinen Kollegen. Die würden sofort merken, wenn ich mich nicht mehr anstrengen und ohne Herzblut spielen würde – und umgekehrt. Selbst wenn mal wenig Publikum da ist und man nicht wirklich Lust zu spielen hat: Wenn man anfängt und einer spielt richtig schön, dann ziehen alle mit und sind wieder voll da. Wir sind zwar älter geworden, aber ich fühle die Musik immer noch heiß und mit voller Intensität, das hat sich nicht geändert.

Üben Sie hinterher Konzertkritik?

Eaton: Nein. Wenn etwas nicht gut war, arbeitet man in der nächsten Probe daran. In den Proben kann jeder alles sagen, da schonen wir uns nicht. Und natürlich muss man drauf achten, dass sich nichts einschleicht an schlechten Gewohnheiten, die man selber nicht merkt, das ist ganz wichtig.

Arndt: So wie wir uns individuell einspielen müssen, müssen wir uns auch als Quartett einspielen, wir haben da ein Programm, das wir abspulen, und dann gehen wir auf die Bühne und fühlen uns frei. Was wir oft machen, ist: Wenn wir abends ein Konzert haben, spielen wir morgens das ganze Programm durch.

Lingenfelder: Früher haben wir vor den Tourneen viel geübt, jetzt üben wir auf den Tourneen. Wir müssen nicht mehr in jedes Museum gehen.

Arndt: Wir sind sehr viel disziplinierter geworden.

Sind Sie noch vier Freunde? Oder ist es eine Arbeitsbeziehung geworden?

Arndt: Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn wir aufhören würden, Quartett zu spielen – ob ich dann nicht in ein schwarzes Loch fallen würde. Wir haben inzwischen den größeren Teil unseres Lebens zu viert verbracht, die drei sind die Menschen, die mir am nächsten sind.

Eaton: Wir sind Freunde und Kollegen, es ist ein merkwürdiges Verhältnis. Wir machen privat nicht mehr so viel miteinander. Auf Reisen ja, aber zu Hause nicht mehr. Und wenn man dann auf der Bühne miteinander spielt, rückt man wieder ganz nah zusammen.

Sie haben gerade auf 22 CDs alle 68 Streichquartette von Haydn aufgenommen, an 75 Aufnahmetagen innerhalb von zwei Jahren! War das ein sinnvolles Projekt?

Lingenfelder: Es gibt zwei, drei, die man nicht unbedingt spielen müsste. Aber im Vergleich zu dem, was heute alles aufgenommen wird, ist Haydn zu spielen unvergleichlich sinnvoller. Selbst das schwächste Haydn-Quartett ist zehnmal besser als ein Boccherini-Quartett. (zum Teil vehementer Widerspruch von den anderen)

Oppermann: Im normalen Konzertprogramm ist Haydn der Aufwärmer. Wir haben auch früher schon Haydn mal an den Schluss gestellt, und da merkt man, was das für eine tolle und gehaltvolle Musik ist.

Arndt: Ich habe das Gefühl, dieser Zyklus hat uns einen Riesenschritt weitergebracht. Das war eine enorm intensive Arbeit, beispielsweise an den frühen Quartetten, wo man wirklich jedes Achtel auf die Goldwaage legen muss. Da waren Quartette bei, die hatten wir noch nie gehört. Die sechs Werke op. 50 und das f-Moll-Quartett op. 55 zum Beispiel sind fantastisch – und niemand kennt sie.

Gibt es für Sie überhaupt noch Repertoire zu entdecken?

Lingenfelder: Mozart ist uns anfangs schwer gefallen. Von ihm fehlt uns noch vieles. Auch Dvořák haben wir nicht viel gemacht.

Eaton: Die Mozart-Quintette würde ich gerne noch aufnehmen.

Oppermann: Wir wurden ja auch mal als die Spezialisten für Neue Musik gehandelt, wir haben bestimmt 200 zeitgenössische Werke gespielt. Da bin ich inzwischen die Bremse. Es ist oft sehr viel Arbeit, man spielt es einmal und nie wieder.

Arndt: Aber ein bis zwei neue Werke pro Jahr ist schon gut. Uns fehlt noch das erste von Janáček, einiges von Schostakowitsch, es gibt noch so einige Standards. Und Verdi haben wir aus dem Repertoire genommen, weil da der Funke nicht gezündet hat. Wir haben nicht den Ehrgeiz, alle Stücke zu spielen. Wir spielen ein Stück nicht, wenn einer von uns nicht damit warm wird.

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