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Blickwinkel: Änne-Marthe Kühn & Berthold Schneider – Critical Classics

„Wir wollen nicht, dass sich einzelne Gruppen unserer Gesellschaft im Theater beleidigt fühlen“

Änne-Marthe Kühn und Berthold Schneider erklären im Interview, warum sie eine alternative Textfassung von Mozarts „Die Zauberflöte“ vorgelegt haben.

vonPeter Krause,

In Ihrer „Zauberflöten“-Version bekommt die Pamina eine zweite Arie, wird damit eine deutlich differenziertere weibliche Hauptfigur. Die textlichen Änderungen allerdings stehen im Mittelpunkt Ihrer Fassung: Monastotos ist nun kein „hässlicher Schwarzer“ mehr. Und der Lobpreis der Liebe ist jenseits des heterosexuell normierten Bildes weiter gefasst. Statt „Weib und Mann,“ wird nun auch von „Frau und Frau“ und „Mann und Mann“ geschwärmt. Was möchten Sie damit primär erreichen?

Berthold Schneider: Die Fassung ist intendiert, dass sie als Grundlage sowohl für traditionelle Aufführungen im historischen Gewand, die zum Beispiel so aussehen können wie bei Schinkel, funktioniert, aber auch für aktuelles Regietheater, wo vielleicht alles in der Küche bei Sarastro spielt. Deswegen ist dieser Vorschlag „Mann und Mann“ und „Frau und Frau“ auch von uns nochmal mit einer Alternative belegt, wo wir dann quasi nur das Wort „Weib“ vermieden haben. Das ist uns auf jeden Fall wichtig, weil man an der Stelle nämlich sonst in einer traditionellen Inszenierung aus der Kurve fliegen würde.

Was hat Sie zu dem Projekt getrieben? Sie kommen ja aus der Theaterpraxis, kennen die Wonnen und das Weh des Betriebs …

Berthold Schneider: Wir wissen, dass im Rahmen einer einzelnen Produktion bestimmte Dinge möglich sind und bestimmte Dinge nicht möglich sind in der Vorbereitung. Und auch, dass eigentlich alle Theater, wenn sie bestimmte Stücke wie einen „Othello“ anfassen, sich fragen: Was machen wir mit dieser Hauptfigur, die als Person of Color gezeichnet ist? Es ist ja nun mal eine Tatsache, dass Antisemitismus oder Rassismus in den Libretti stehen. Damit muss man umgehen, wenn man sich einer Aufführung nähert.

Inwieweit hilft dann Ihre Arbeit für die jeweiligen Inszenierungen?

Berthold Schneider: Wir haben an den Häusern weder das Wissen noch die Expertise, um die Stellen zu identifizieren, bei denen es wirklich schwierig wird. Diese Expertise zum Beispiel durch einen Sensitivity Reader und eine Diversitätsexpertin, die wir in unser Team hineingeholt haben, müsste jedes Theater eigentlich nutzen, wenn es ein Werk angeht, von dem man ahnt, dass es da problematische Inhalte gibt. Das ist in der Realität nicht der Fall. Das können die Theater nicht leisten. Und es ist auch eigentlich nicht notwendig, denn das können wir auch exemplarisch machen. Unsere Fassung dient in allererster Linie dazu, dass man im Libretto in der uns wichtigen zweispaltigen Formatierung durch eine farbliche Markierung erkennen kann, welche Stellen kritisch erscheinen. Und allein diese Spalte ist für die Theater wahnsinnig hilfreich, weil sie dort sehen können, wo die Expertinnen und Experten Probleme sehen. In der rechten Spalte sieht man, wie wir mit diesen Problemen umgegangen sind. Dazu gibt es jeweils eine Erläuterung, warum und in welchem Sinn wir Änderungen vorgeschlagen haben. Dies zu übernehmen ist immer optional.

Das heißt also, ein Theater kann sich entscheiden und dann eigene Lösungen finden?

Berthold Schneider: Auf jeden Fall. Das ist aus unserer Sicht vollkommen legitim und vollkommen im Sinn dieses Projektes. Wir sagen: Es ist an der Zeit, dass wir uns diesen Themenkomplexen aktiv stellen, da gibt es Inhalte, zu denen müssen wir uns Gedanken machen. Es reicht unserer Ansicht nach nicht mehr aus, diese Inhalte im Rahmen einer Inszenierung zu framen.

Etwa die Ironisierung solcher aus heutiger Sicht schwieriger Stellen ist ja durchaus üblich …

Berthold Schneider: In der Regie kann ich zum Beispiel verdeutlichen und darstellen: Die Sarastro-Welt ist voller zweifelhafter Figuren, die sagen komische Sachen. Dies ist ja im heutigen Regie-Diskurs recht üblich. Doch unsere Meinung ist, dass dies nur bedingt möglich ist. Denn wenn lebendige Menschen von einer Bühne herunter Dinge sagen und wiederholen, die verallgemeinernd misogyn oder abwertend gegenüber diversen Gruppen sind, dann vertiefen sie die Problematik. Sie sorgen nicht dafür, dass das N-Wort verschwindet, wenn Sie es dauernd benutzen, selbst wenn Sie zu verstehen geben: „Aber das meinen wir nicht.“ Das funktioniert nicht mehr. Eine These dieses Projektes ist, dass die Zeit, in der wir durch ein Framing der Regie diese Probleme kontextualisieren konnten, langsam dem Ende entgegengeht, weil das Publikum einfach sehr viel sensibler geworden ist in den letzten fünf bis zehn Jahren. Es sind ganz andere Aufmerksamkeiten auf dieses Thema gekommen, sodass die Menschen inzwischen klar realisieren: Holla, der sagt ja echt krasse Sachen.

Änne-Marthe Kühn: Diese Sensibilisierung aus dem Publikum würde ich tatsächlich als generationenübergreifend beschreiben. Also dass wirklich schon ganz junge Menschen merken, dass etwas schiefläuft, wenn eine Frau vom Mann „geleitet“ werden muss, oder wir von Schikaneder zu hören bekommen: „Ein Weib tut wenig, plaudert viel.“ Das wird heute von jungen Leuten schon sehr früh hinterfragt.

Wird das Publikum bei Ihnen also sehr viel stärker mitgedacht als in ursprünglichen Fassungen und auch weit mehr als in ursprünglichen Regieansätzen?

Änne-Marthe Kühn: Ja, es geht genau darum, das Publikum mitzudenken: Wer ist hier im Zuschauerraum, wer sieht dieses Stück? Jedes Haus wünscht sich ein sehr diverses Publikum, ein jüngeres Publikum, weil das alte dabei ist auszusterben. Wenn nun die Texte so bleiben, wie sie sind, dann kann es sein, dass diesem jüngeren, diverseren Publikum, das alle suchen und wollen, all das aufstößt, dass es angegriffen wird eben durch solch abwertende Aussagen. Wenn ich jetzt mit einem schwarzen Menschen in eine „Zauberflöte“ ginge, dann würde das nicht funktionieren, auch nicht aus einer Ironisierung heraus. Wir haben daher den Monostatos anders angelegt. Er hat jetzt einen anderen Beweggrund und Hintergrund, der ebenfalls schmerzhaft ist, der aber nicht mehr diskriminiert aufgrund der Hautfarbe. Und ein Konflikt der Figur wird eben dabei nicht geglättet oder weggelassen. Denn wir finden es auch eine sehr harte Bezeichnung, wenn Monostatos sich selbst einen „Bastard“ nennt, weil er in unserer Variante zum illegitimen Sohn Sarastros wird, der ihn jedoch nicht anerkennt. Das tut weh, aber es ist eine Diskriminierung unabhängig von irgendeiner Ethnie.

Berthold Schneider: Es ist einfach Sarastros Entscheidung, ihn zu diskriminieren. Wenn wir in Aufführungen der „Zauberflöte“ gehen, dann sehen wir heute nirgends mehr einen Monostatos als Person of Color. Wir sehen aber in der Regel eine Person, bei der nicht klar wird, was eigentlich ihr Problem ist. Wenn diese Figur jetzt gar kein Problem mehr hat und vielleicht nur ein Tattoo auf der Wange trägt, dann verstehe ich ihren inneren Konflikt nicht mehr, und dann werde ich auch den Autoren nicht gerecht.

Sie haben mehrfach das Publikum angesprochen. Dieses diverse Publikum als eine Opernzielgruppe zu entdecken, klappt ja zumal an der Komischen Oper Berlin exzellent. Führen Sie einen Diskurs, der gerade auch diese Zielgruppen erreicht? Kommt denn die türkische Community in die Oper, wenn wir alte Klischees ersetzen?

Änne-Marthe Kühn: Wir arbeiten direkt mit verschiedenen Communities. Ich bin ja an der Neuköllner Oper, da haben wir eine ganz starke Tradition, die diese immer wieder in einzelnen Stücken aufgreift. Ich würde schon behaupten, dass es genau darum geht, mit den Menschen in den Austausch zu kommen und nicht über deren Kopf hinweg zu entscheiden oder nur über sie zu erzählen.

Berthold Schneider: Als Initiative ist es allerdings nicht unsere Aufgabe, die Theater mit Leuten zu füllen, die sonst nicht ins Theater gehen. Wir wollen vielmehr eine Grundlage schaffen für Aufführungen, die niemanden diskriminieren. Es soll niemand beleidigt werden, wenn er ins Theater geht. Menschen dürfen sich gern in ein künstlerisches Spannungsfeld begeben, und es darf kontrovers und kritisch oder auch schmerzhaft zugehen, aber dass sich einzelne Gruppen unserer Gesellschaft im Theater beleidigt fühlen, ohne dass sie dazu Stellung nehmen können, das, gehört unserer Meinung nach einfach nicht auf unsere Bühnen. Wir wollen helfen, dass das nicht passiert. Und dies ist überhaupt erst mal die Voraussetzung dafür, dass sich jemand für etwas interessieren kann, was er vielleicht kulturell nicht in die Wiege gelegt bekommen hat, was ihn aber potenziell interessieren und berühren könnte.

Mehr zur alternativen Textfassung von Mozarts „Die Zauberflöte“ lesen Sie in Peter Krauses Opernfeuilleton.

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