Opern-Kritik: Festspielhaus Baden-Baden – Der Rosenkavalier

Edelste Mutlosigkeit

(Baden-Baden, 27.3.2015) Ex-Octavian Brigitte Fassbaender inszeniert, Sir Simon Rattle dirigiert einen oberflächenpolierten Rosenkavalier

© Monika Rittershaus

Keine Rokoko-Perücken und kein Popo-Grabschen, kein orchestraler Zuckerguss und keine Walzerseligkeit – Brigitte Fassbaender und Simon Rattle sind eigentlich mutig. Denn sie wissen, was sie nicht wollen und wagen die gemeinsame szenisch-musikalische Klischeevermeidung. Die Regisseurin, einst selbst rund dreihundertmal der weltbeste Octavian, und der Dirigent, als Meister des Sinfonischen in Operndingen immer noch ein wenig fremdelnd, wollen ein anderes Bild dieser Traditions- und Renommier-Komödie präsentieren. All dies just auf Deutschlands glanzvollstem, teuersten, sponsorenstolzesten Festival seiner Art – mit den Berliner Philharmonikern im Graben und einer imposanten Liste großer Sängernamen auf der Bühne.

Wirklichkeit beißt Wille

Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis aus Wille und Wirklichkeit, ehrlicher Mut-Bezeugung und real existierender Luxus-Liebe war nun, wie es wohl kommen musste, nicht weniger und nicht mehr als luxuriöse Langeweile, edelste Mutlosigkeit. Wobei der Widerspruch szenisch stärker ins Gewicht fällt als musikalisch.

Intimität statt Sentimentalität

Sir Simon Rattle ersetzt mit seinen Berlinern Sentimentalität durch Intimität. Er outet sich als Pianissimo-Feinzeichner und heimlicher Kammermusiker. Man bekommt auf einmal ungeahnte Nuancen zu hören, lauscht einer Oboen-, Flöten- oder Klarinetten-Stimme nach, man bewundert das silbrige , intonationsperfekte Glitzern der hohen Streicher. Hier wird erwartungs- und standesgemäß hinreißend musiziert, zumal ab dem Zeitmonolog der Marschallin entsteht so durch maximale Zurückhaltung ein großer Gewinn. Dieses Musizieren passt perfekt zur Sopran-Lyrik der Anja Harteros, deren einmal gar nicht weinerlich-melancholische, sondern sexuell selbstsichere, moderne, fürwahr herrliche Fraulichkeit in schönstem Einvernehmen zum Ausdruck kommt. Was in solchen Momenten hinreißend glückt, taugt indes nicht zur Interpretation des ganzen Werks.

Farb-Ton-Häppchen allein machen nicht satt

Denn wo der derbe Herr Baron von Lerchenau polternd ins Geschehen platzt und das Blech sein Poltern unverhohlen als ordentlich lautes landadeliges Furzen kennzeichnet, bleibt Rattle Ästhet, ein echter Sir Simon eben. So könnte es klingen, wenn der Königin von England doch mal heimlich ein Lüftchen entfährt. Wo die Musik aber dem fetten Wanst des Ochs lautmalerisch Statur verleiht, muss ein Orchester, und sei es die Edelkappelle der Berliner, sich auch Bauchigkeit und Erdung, Blut und Fett trauen. In Baden-Baden hingegen tönt es auch an solchen Stellen in steriler Exzellenz, Rattle dirigiert, als serviere er ein zwölfgängiges Drei-Sterne-Menü – pointilistisch komponiert aus lauter wohl bekömmlichen Farb-Ton-Häppchen, die am Ende des Abends aber doch nicht satt machen.

Strauss stirbt im Wohlklang

Wo Strauss doch gern doppelbödig dialektisch, weil absturzgefährdet schwelgerisch im Wohlklang badet, erstirbt er hier im Wohlklang. Die Musik berührt nicht, sie bezaubert nicht, da ist null Gänsehauteffekt in der celestaentrückten Rosenüberreichung. Mit Ausnahme der alle überragenden Harteros können die Sänger dem wenig emotional Bewegendes entgegensetzen, einige extrem profiliert besetzten kleine und mittlere Rollen sind da rühmliche Ausnahmen: so die hochdramatische Leitmetzerin der Irmgard Vilsmaier, der baritonhelle Faninal des Clemens Unterreiner oder der belkantistische italienische Sänger des Lawrence Brownlee.

Prominente Sänger lösen Versprechen nicht ein

Magdalena Kožená in der Titelpartie steht mit ihrem artigen, zu leichten Mezzo meist neben der Rolle. Anna Prohaska gibt zwar ein erfrischend freches Töchterchen Sophie, kämpft aber auf oft erschreckende Weise mit den sehr hohen Tönen, denen es an himmelhochjauchzendem Eros komplett fehlt. Was ist mit der viel- und hochgelobten jungen Sängerin bloß los? Am klügsten und gesundesten klingt noch Peter Rose, der den Ochs ganz in der Bass-Buffo-Manier der komischen Oper und des Singspiels anlegt: enorm wortklar und schlank, freilich auch frei von Wienerischem Idiom.

Klischeevermeidungsregie

Just dieser Ochs mutiert in Fassbaenders Regie zu einer deutlich interessanteren Figur als üblich – jenseits des derben Deppen, der sich mit Vorliebe im Fummeln unter Weiberröcken ergeht. Verkörpert er, verwandt einem Sir John Falstaff, das positive Konzept der Vitalitäts-Maximierung? Statt abgewrackter Penner sind die ihn begleitenden Lerchenauer (seine Söhne?) eine Truppe von Teenagern, von pubertierenden Halbwüchsigen, sein Kammerdiener Leopold  gar rennt nicht, er saust auf Rollerblades über die postmodern die Zeiten des Rokoko, über die 50er Jahre bis ins Heute überspannende Bühne (Erich Wonder). Auf ihr ist die Fassbaender mit ihrer Personenregie wohl nicht ganz fertig geworden. Klar, sie kennt das Stück wie kaum jemand auf der Welt. Ihre Klischeevermeidungsregie kommt streckenweise zu geschickten wie gescheiten Lösungen.  So in der Anfangsszene, der sie das berühmte wie gern peinliche Bett nimmt, das sie durch eine Designer-Coach ersetzt. Das „Ich hab‘ Dich lieb“ zweier aufgeklärter Ehebrecher hat mit Liebe ja auch nix zu tun, eher mit der gegenseitigen Befriedigung des Narzissmus und der sexuellen Lust beider: der in diesen Dingen erfahrenen Marschallin und dem sich erotisch gerade findenden Octavian.

Den Ansatz einer Gender-Befragung gibt es auch. Das Intrigantenpaar Annina und Valzacchi wechselt dauernd das Geschlecht, ergo, es tauscht die Kostüme. Natürlich ist die Travestie ein Thema im Rosenkavalier. Doch warum nutzt die Fassbaender es nicht, um das Schillernde einer modernen Hosenrolle zum Beispiel im Lichte der lesbischen Liebe zu beleuchten? Schließlich wird Octavian von einer Frau gesungen, ist als Figur ein Mann, der wiederum  mehrfach auch als Frau Gelüste der Männer auslöst. Würde denn ein bisschen Bi wirklich schaden?

Zweifelsohne ist die Fassbaender ihrem eigenen hohen Anspruch nicht gerecht geworden. Die multiplen Maskeraden in ihrer Inszenierung sind zwar hübsch anzusehen. Zu einer echten Neudeutung haben auch sie nicht gereicht.

Festspielhaus Baden-Baden

Strauss: Der Rosenkavalier

Simon Rattle (Leitung), Brigitte Fassbaender (Inszenierung), Erich Wonder (Bühne), Dietrich von Grebmer (Kostüme), Anja Harteros, Peter Rose, Magdalena Kožená, Anna Prohaska, Lawrence Brownlee, Clemens Unterreiner, Irmgard Vilsmaier, Stefan Margita, Carole Wilson, Berliner Philharmoniker

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