Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Tanz der Rocky Horror-Vampire

Opern-Kritik: Der Vampyr – Staatsoper Hannover

Tanz der Rocky Horror-Vampire

(Hannover, 25.3.2022) Mit allzu bunt konstruierten Ansätzen überfrachtet Ersan Mondtag Heinrich Marschners Opern-Rarität „Der Vampyr“. Dirigent Stephan Zilias wirkt dem entgegen und bringt immer wieder reinstes romantisches Musiktheater zum Vorschein.

vonAndré Sperber,

Nach dem Berliner „Antikrist“ und dem Kasseler „Freischütz“ ist Heinrich Marschners große romantische Schauergeschichte „Der Vampyr“ bereits das dritte Opernprojekt von Ersan Mondtag in diesem Jahr. Die Arbeit des Regisseurs und Bühnenbildners zeichnet sich in der Regel durch eine von Exzentrik geprägte ad-absurdum-Führung des jeweiligen Stoffs aus; viel Dämonisch-Diabolisches gemixt mit Laszivität. Auch in Hannover bleibt Mondtag seiner Linie treu – und verheddert sich im Netz der gesellschaftskritischen Fäden, die er dabei spinnt.

Das Bühnenbild ist vielversprechend: Im dunstig-düsteren Dämmerlicht ragt hinter einem Trümmerhaufen die beeindruckende Ruine eines alten sakralen Gemäuers empor. Ein halb erkennbarer Davidstern im zerstörten Frontfenster sowie ein Straßenschild mit der Aufschrift „Bergstrasse“ verweisen auf die Neue Synagoge in Hannover, die während der Progromnacht 1938 von den Nazis zerstört wurde und die dem bleichen, in ein mondsüchtig silbernes Gewand gehüllten Blutsauger Lord Ruthwen hier nun als „Vampyrhöhle“ dient. Der Vampyr selbst, sowie sein von Kostümbildner Josa Marx sehr fantasiereich ausgestaltetes, vieräugiges Dämonen- und Verdammtengefolge, werden zum Inbegriff der Ausgestoßenen. So wie die Juden, die von der Nazipropaganda ebenfalls als Kinderblut trinkende Monster dämonisiert wurden. Im Zusammenhang mit der eigentlich zugrundeliegenden romantischen Vampirgeschichte der Oper, in der der finstere wie verführerische Lord Ruthwen drei Jungfrauen aussaugen muss, um sein eigenes verdammtes Leben auf Erden noch etwas zu verlängern, lässt sich diese Assoziation jedoch nur schwerlich aufrechterhalten.

Szenenbild aus „Der Vampyr“
Szenenbild aus „Der Vampyr“

Zu weit hergeholt

Kaum besser funktioniert die etwas zu weit hergeholte Darstellung des Vampirismus im Sinne einer Öl und Ressourcen aussaugenden Habgiergesellschaft: Laird von Davenaut, Vater der dem Vampir zur Braut versprochenen, von jenem wiederum als drittes Opfer erwählten Malwina, erscheint als schwarz gehüllter Ölscheich. Er gibt sich als Gastgeber der ebenfalls gänzlich in Ölschwarz gekleideten Feiergesellschaft. Hier wird der Bogen zu Umweltthemen, Kapitalismus und Materialismus geschlagen, jedenfalls kurzfristig angerissen.

Immer wieder unterbrochen wird der Handlungsfortgang von neuverfassten Dialogszenen (geschrieben von Till Briegleb). Der Dichter Lord Byron (Vorlage des modernen Vampirmythos) und der sogenannte Ewige Jude Ahasver sowie die syrische Göttin bzw. Vampirmeisterin Ataserse – allesamt neu hinzugedichtete Figuren, deren Daseinsberechtigung ohne Programmheft nur schwer zu fassen ist – verkörpern in gewollt faustischer Weise drei Schutzengel der Hölle und bringen mit ihrer kommentierenden, teilweise auch interagierenden Funktion noch eine weitere Ebene in das ohnehin schon recht undurchsichtige Gesamtkonzept ein. Vor allem der als bewusst nervtötend „tuntige“ Diva im pinken Anzug à la Elton John auftretende Lord Byron sorgt für Kontroverse. Den erbosten Zwischenruf eines Herren aus dem Publikum erwidert Schauspieler Benny Claessens, der auch viel improvisierte, kaltschnäuzig: „Ich kann dich hören, ja? Das hier ist kein Fernsehen!“ Die humoristische Veranlagung der Figur, die eher in einen Film von Michael Bully Herbig gepasst hätte, bot allerdings nicht viel Neues, wirkte gerade durch ihre übertriebene Exzentrik eher stereotyp. Immerhin kamen so auch noch Sexistisches, Genderfragen, Freiheitskampf und Sexualität aufs reichgefüllte Themen-Tableau, gekrönt vom obligatorischen nackten Mann, der sich auf den grünen Grashügel vor dem Abbild des zur Shopping Mall ausgebauten Braunschweiger Stadtschlosses legt, zu dem sich das Bühnenbild im zweiten Akt gewandelt hat.

Szenenbild aus „Der Vampyr“
Szenenbild aus „Der Vampyr“

Die Musik muss es retten

Wie das Szenische kann leider auch das Musikalische an diesem Abend nicht wirklich überzeugen, was jedoch kaum dem Komponisten zuzuschreiben ist. Heinrich Marschner, der heute vor allem den Status eines Übergangskomponisten zwischen Weber und Wagner innehat und sich stilistisch irgendwo zwischen Biedermeier und Belcanto bewegt, war einer der großen Opernschöpfer seiner Zeit. Sein damals überaus erfolgreicher „Vampyr“ wurde 1828 in Leipzig uraufgeführt, drei Jahre bevor er als königlicher Hofkapellmeister nach Hannover kam.

Die Übergänge zwischen gesprochenen Dialogen und Musik sind bei Singspielen schon in den Originalfassungen teilweise holprig – das ist das ewige Manko dieser Gattung. Wenn sich die Dialoge allerdings wie hier einer extrem aktualitätsbezogenen Sprache bedienen, bekommt die Rückkehr in Wilhelm August Wohlbrücks gediegene Librettosprache beinahe etwas Albernes, was hier auch bewusst so dargestellt wird. Darunter hat allerdings auch die Musik zu leiden, man wird immer wieder – spätestens als Lord Byron den Song „Vampire in my bed“ durchsingt – herausgerissen aus der Stimmung der Oper, Marschners Werk wirkt wie zusammengeschnitten. Gerettet wird das Ganze von Stephan Zilias, der mit dem Niedersächsischen Staatsorchester bei den stets wechselnden Himmels- und Höllenmelodien reinstes romantisches Musiktheater zum Vorschein bringt. Auch der viel und vielseitig eingesetzte Chor läuft zur Bestform auf.

Szenenbild aus „Der Vampyr“
Szenenbild aus „Der Vampyr“

Das Gesamtbild ist kaum zu erkennen

Das Solistenensemble zeigt sich mitunter durchwachsen. Bariton Michael Kupfer-Radecky hat leichte Startschwierigkeiten und gibt den Vampyr eher als grobmaschigen Rüpel statt als geheimnisvollen Verführer. Norman Reinhardts Tenor bleibt sehr zurückhaltend in der Rolle des letztlich triumphierenden Bräutigams Edgar Aubrey. Seine im Finale ausgerufene Entlarvung („Das Scheusal hier ist ein Vampyr!“), die den Bösewicht schließlich zur Hölle fahren lässt, geht beinahe unter. Rund und vollmundig dagegen erklingt der Bass von Shavleg Armasi als Ölscheich Dervenaut, der zudem mit dezenter, aber punktgenauer Gestik und Mimik für eine positive Komik sorgt. Seine Tochter Malwina, stets in bunte 50er-Jahre-Kleider mit aufgedruckten Shell-Logos gehüllt, wird von Mercedes Arcuri stimmlich stimmig ausgestattet. Der unschuldigen, Lack und Leder tragenden Emmy, das zweite Opfer von Lord Ruthwen, gehört mit ihrer schaurig-schönen Vampir-Geschichten-Arie einer der Höhepunkte der Oper. Nikki Treurniet wird dem absolut gerecht und liefert einen der gesanglich stärksten Momente des Abends ab.

Szenenbild aus „Der Vampyr“
Szenenbild aus „Der Vampyr“

Ersan Mondtags Inszenierung will einer romantisch-biederen Schauergeschichte neuen, gegenwartswürdigen Anstrich verpassen und gerät dabei so bunt, dass man vor lauter Farben das Bild kaum mehr erkennen kann. Es entsteht ein Mischmasch aus Oper, Musical, Cabaret, und es werden dabei so viele gesellschaftskritische Themenfässer aufgemacht, die aber letztlich zu keinem Ergebnis führen, somit offenbleiben. Die großartige, viel zu selten gehörte Musik von Marschner gerät dabei leider immer wieder aus dem Fokus.

Die Inszenierung von Heinrich Marschners „Der Vampyr“ an der Staatsoper Hannover ist bis zum 25.9.2022 auf OperaVision auch im Stream zu erleben. 

Staatsoper Hannover
Marschner: Der Vampyr

Stephan Zilias (Leitung), Ersan Mondtag (Regie & Bühne), Josa Marx (Kostüm), Sascha Zauner (Chor), Till Briegleb (Dramaturgie), Shavleg Armasi, Mercedes Arcuri, Norman Reinhardt, Michael Kupfer-Radecky, Daniel Eggert, Petra Radulovic, Philipp Kapeller, Nikki Treurniet, Oana Solomon, Benny Claessens, Jonas Grundner-Culemann, Chor der Staatsoper Hannover, Niedersächsisches Staatsorchester Hannover

Auch interessant

Rezensionen

  • Singender Erzähler und erzählender Sänger: Julian Prégardien
    Blind gehört Julian Prégardien

    „Das holt mich nicht ab“

    Tenor Julian Prégardien hört und kommentiert Aufnahmen von Kollegen, ohne dass er weiß, wer singt.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!