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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Weisse Rose

Hoffnung für die Vernunft der Menschheit

(Dresden, 12.3.2022) Intimes Theater als Psychogramm des Widerstands: Die Semperoper führt „Weiße Rose“ des im Herbst verstorbenen Komponisten und Intendanten Udo Zimmermann wieder auf.

vonChristian Schmidt,

Warum geht man ins Theater? Zum Ausführen der neuesten Mode? Um Altbekanntes zu genießen? Um dem Alltag zu entfliehen? Oder doch um Neues zu erfahren, in Schicksale einzutauchen, nachzudenken über die aktuelle Welt? Gerade an kleinen Spielstätten, wie es die Kammerbühne der Semperoper ist, sitzen die Zuschauer quasi selbst mit auf der Bühne. Hier beweisen starke Stücke mehr denn je den Sinn des Theaters, der über eine austausch- und damit im Prinzip verzichtbare Freizeitgestaltung, über den reinen Konsum von Unterhaltungsgut weit hinausgeht.

Die Träume, Hoffnungen und Ängste von Hans und Sophie Scholl

Ein solch starkes Stück ist die „Weiße Rose“ von Udo Zimmermann, einem der wenigen Komponisten, die schon zu DDR-Zeiten in Ost wie West Erfolg haben durften, einfach weil ihre Werke gut waren. Noch als Student in seiner Heimatstadt Dresden hatte der im vergangenen Herbst verstorbene spätere Leipziger Opernintendant 1967 eine erste Fassung des Stoffs uraufgeführt und 1986 für Hamburg eine Kammeroper quasi neu komponiert, die sich ohne äußere Handlung ganz auf die zwei Protagonisten Hans und Sophie Scholl konzentriert. Die Geschwister sind bereits inhaftiert und lassen kurz vor der Vollstreckung des Todesurteils in ihrer Zelle den Sinn ihrer Rebellion noch einmal Revue passieren, offenbaren ihre Träume, Hoffnungen und Ängste.

Szenenbild aus „Weiße Rose“
Szenenbild aus „Weiße Rose“

Brennende Fragen nach dem Aufbegehren hier und heute

Noch auf der Zuschauertribüne lässt einen die Frage nicht mehr los: Wie viele junge Menschen wären heute bereit, gegen ein unmenschliches System aufzubegehren, dem sie zuerst gern gefolgt sind und dessen unmenschliches Wesen sie aber nun erkannt haben? Braucht es dafür überhaupt politisches Bewusstsein, das Udo Zimmermann schon vor 35 Jahren schwinden sah, oder würde schon der pure humanistische Idealismus reichen? Erschöpft sich das Wollen heute nicht eher im Befriedigen individualistischer, konsumtiver Ziele? Wie bequem ist dafür doch der Konformismus, sich hinter vermeintlich „richtigen“ Positionen verstecken zu können, ohne selbst denken zu müssen.

Blick in die Seelen der Protagonisten

Mit vielen in Perfektion angepassten Anleihen aus der Musikgeschichte und im Kontrast zwischen lyrischem Duktus und maschineller Todesmaschinerie rückt Udo Zimmermann die Gewissensentscheidung seiner Helden in den Fokus, die gar keine Märtyrer sein wollen, sondern „einfach nur“ das tun, was sie für notwendig halten. In der Inszenierung seiner 16 Szenen durch Stephan Grögler sehen wir dabei Hans und Sophie direkt in die Seelen. Je stiller die ohnehin karge Instrumentalbegleitung wird, desto klarer treten die Menschen hinter den Figuren hervor – und desto schwerer wird es für die Protagonisten, stimmlich wie mimisch.

Szenenbild aus „Weiße Rose“
Szenenbild aus „Weiße Rose“

Authentizität junger Sängerdarsteller

Hier den Anforderungen standzuhalten, ist gerade für junge Künstler nur dann möglich, wenn sie sich auf ihre Vorbereitung verlassen und ganz auf ihre Rollen konzentrieren können. Dass dies für Franz Xaver Schlecht und Elisabeth Dopheide eine routinierte Sache wäre, hieße, ihnen Unrecht zu tun. Denn gerade die intensive inhaltliche Beschäftigung der beiden, deren Gesangsstudium noch sehr frisch ist, merkt man ihnen an, und sie macht ihre Darstellung zutiefst menschlich und authentisch. Vor einer kahlen Zellenwand, nur hin und wieder durch Lichtstimmungen verändert, lässt die Regie ihnen jeden Raum, den sie brauchen. Hat schon das Stück so gar nichts von großen Opernnummern, versteht sich auch seine Deutung eher als Psychogramm. Sie braucht nicht ein einziges Gramm interpretierende Aktualisierung. Die Substanz reicht völlig, um einen ganzen Gedankenkosmos zu eröffnen.

Szenenbild aus „Weiße Rose“
Szenenbild aus „Weiße Rose“

Die standhafte Haltung im Herzen

Behutsam geführt von Korrepetitor Johannes Wulff-Woesten, scheinen wirklich Sophie und Hans ihre Tagebucheinträge vor uns szenisch auszubreiten, den sicheren Tod vor Augen und die standhafte Haltung im Herzen. Auch die Mitglieder der Giuseppe-Sinopoli-Akademie sind überwiegend studierende Aspiranten der Staatskapelle, die hörbar für das Werk und seine Aussagen brennen. Kurzum: ein Stück intimes Theater, dessen Ausnahmeerscheinung hoffen lässt – für die Vernunft der Menschheit, aber auch für die Zukunft des Theaters selbst.

Semperoper Dresden, Semper Zwei
Zimmermann: Weiße Rose

Johannes Wulff-Woesten (Leitung), Stephan Grögler (Regie) & Bühne), Véronique Seymat (Kostüme), Marco Dietzel (Licht),  Bianca Heitzer & Juliane Schunke (Dramaturgie), Franz Xaver Schlecht, Elisabeth Dopheide, Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Sächsischen Staatskapelle Dresden

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